Axel Kiesbye

KOMMENTAR: Was ist gutes Bier?

Axel Kiesbye

Axel Kiesbye ist so etwas wie ein Bierdenker. Diplom Brauingeneur und Ober-Biersommelier ist er auch, Braumeister einer mittelständischen Brauerei in Österreich, und irgendwie auch Craft Beer Macher mit einem besonderen Faible für fassgelagerte Biere. Hier macht er sich nun ein paar Gedanken darüber, was gutes Bier ausmachen sollte. Und wer genau hinliest, wird sehen, dass viele seiner Punkte auch in der leidigen Diskussion über die Frage „was ist eigenlich craft“ angeführt werden könnten…

Das alte Qualitätsverständnis in der Bierbranche ist schnell plakativ zusammengefasst: Zunächst gilt es, ein „sauberes“, sprich mikrobiologisch einwandfreies Bier herzustellen. Als Lebensversicherung werden Kurzzeiterhitzungs- oder Pasteurisationsanlagen errichtet, um das Restrisiko von Infektionen auszuschalten. Genauso wichtig ist auch eine möglichst lange, gleichbleibende Qualität, die in entsprechend hohen Stabilisierungsgaben und scharfen Filtrationen mündet. Hinzu kommt der Wunsch, möglichst viele Zielgruppen und Märkte mit seinen Bieren erschließen zu können. Ecken und Kanten und Geschmacksspitzen sind störend und werden entsprechend weggefeilt. Vielfach gilt auch immer noch, sein Bier noch dem offensichtlich erfolgreichen „Market Leader“ auszurichten und die analytischen und sensorischen Werte des Branchenprimus zu kopieren.

Die NEUEN Qualitätsfaktoren für gutes Bier

Qualität kann wieder der neue Erfolgsfaktor für die Bierbranche sein. Nur mit einer außergewöhnlichen, erkennbar anderen Qualität kann Einzigartigkeit geschaffen werden, was dann auch einen höheren Verkaufspreis rechtfertigt. Bezogen auf das Produkt stehen mit den neuen Qualitätswettbewerben wie European Beer Star oder dem World Beer Cup, Ringanalysenkonzepten wie vom Forschungszentrum Weihenstephan oder den zahlreichen sensorisch sehr gut geschulten Diplom-Biersommeliers hervorragende Instrumente zur Verfügung, die Produktqualität objektiv bewerten zu lassen. Dazu kommen noch neue Qualitätsfaktoren, die entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg sein werden:

gutes Bier

Sieht gut aus. Ist es auch? (Foto: NAK)

  • Faktor 1:         Qualität ist Einzigartigkeit

Berühmte Marken wie Apple, Uhu oder Red Bull sind durch Produktinnovationen groß geworden. Diese Marken stehen für technische Finesse, außergewöhnliches Design und Mehrwert für die Käufer. Wo sind die kreativen Köpfe des Braugewerbes, die neue Verfahren entwickeln, Hopfenstopfen, Eisreifung, Stickstoffdosierung oder Holzfassausbau als Chance sehen und sich am Etikettendesign der Engländer oder Amerikaner orientieren und so auch neue Zielgruppen erschließen?

  • Faktor 2:         Qualität ist Vielfalt

Auch im Rahmen des Reinheitsgebotes lassen sich zahlreiche internationale Bierspezialitäten brauen. Wir leben in einer globalen Welt, die Menschen arbeiten und reisen um die Welt und der Trend zur Individualisierung ist ungebrochen. Es gibt für jeden Menschen sein Lieblingsbier – es muss nur angeboten werden.

  • Faktor 3:         Qualität hat eine Wirkung auf Körper und Geist

Bewusster Genuss wird immer wichtiger. Ob kalorienreduzierte Biere, 0,0% alkoholfreie Biere mit sehr gutem Geschmack (die Verfahrenstechnik dafür wird immer besser!), Anreicherung von gesunden Inhaltsstoffe, Biere für Allergiker (fruktose-, glutenfrei) oder Biere mit physiologischen Wirkungen (Bier mit nicht müde machenden Hopfen) geben dem Produkt neben dem Genuss einen hohen Mehrwert.

  • Faktor 4:         Qualität heißt Frische statt Konserve

Bei guter Arbeitsweise sind Biere auch ohne Filtration, Stabilisierung und Pasteurisation ausreichend lange haltbar. Bio- und Zwickelbiere erfreuen sich einer zunehmenden Beliebtheit.

Bierkrüge

Weil Bier nicht gleich Bier ist (Foto: NAK)

  • Faktor 5:         Qualität ist eine nachvollziehbare, ehrliche Produktion

Das Image des Produktes sollte mit dem Eindruck des Produktionsbetriebes übereinstimmen. Immer mehr Konsumenten wollen wissen, wo und wie ihr Bier hergestellt wird. Bier benötigt diesbezüglich eine glaubwürdige Heimat. Nicht ohne Grund bauen in Österreich zahlreiche Brauereien ihre Produktionsstätten zu Biererlebniswelten um.

  • Faktor 6:         Qualität durch Vernetzung

Lieferanten, Brauereien, Vertriebspartner und Konsumenten sollten sich enger vernetzen und gemeinsam am Erfolg arbeiten. Beispiele wie das „Community-Bier“, Beer on demand mit der Möglichkeit der eigenen Etikettenerstellung, Herstellung von exklusiven Boutiquebieren, Sicherung von besonderen Rohstoffen, Entwicklung von eigenständigen Verpackungsformen, Einsatz von ausländischen Guest Brewern oder das Blending des eigenen Bier mit Bieren befreundeter Brauereien – die perfekte Symbiose des Knows-Hows eines jeden vernetzten Partners erzeugt neue Qualität!

  • Faktor 7:         Qualität heißt Liebe und Achtung seiner Produkte

„Achte Deine Biere wie deine Liebsten“, so die Devise. Die Mitarbeiter merken schnell, wenn der Brauereichef gewisse Biere seines Sortiments präferiert. Biere, die „poor dogs“ sind und nur noch ein Schattendasein im Portfolio führen, können nicht mehr erfolgreich werden. Seine eigenen Biere zu achten heißt auch, die brauereigene Schank perfekt zu pflegen, den Brauereishop optimal zu führen und die diversen Kühlschränke im Betrieb nur mit frischer Ware gefüllt zu haben.  Achtung heißt auch, seine Biere nicht mit Limonade zu mischen (siehe Whisky- und Weinproduzenten)!

  • Faktor 8:         Qualität = Bier + Verpackung + Ausschank + Glas

Kein Konsument legt sich direkt unter den Zwickelhahn des Lagertanks! Es ist dringend anzuraten, die Wechselwirkungen zu beachten und Konzepte zu entwickeln, die Bierqualität bis zu den Geruchs- und Geschmacksrezeptoren des Kunden zu erhalten oder sogar zu optimieren. Dazu gehören Gastro-Schulungsmaßnahmen genauso wie ein neuartiges, auf den individuellen Genuss des jeweiligen Bieres abgestimmtes Glasdesign!

  • Faktor 9:         Qualität personifizieren

Die Konsumenten möchten den obersten Qualitätsverantwortlichen kennen – dann haben sie ein gutes Gefühl! Viele Winzer und Qualitätsköche stehen mit ihrer Person bildlich und namentlich gerade – Braumeisternamen hingegen werden nur selten gehandelt bzw. in die erste Reihe gestellt.

  • Faktor 10:       Qualität heißt auch Investition in Mensch und Maschine

Neue Braumethoden und Verfahrenstechniken, das umfassende Wissen über internationale Braumethoden, englische Sprachkenntnisse für den internationalen Austausch, sensorisch geschultes Personal für Qualitätskontrollen…..Qualität ist nur möglich, wenn entsprechend finanzielle Ressourcen für Mensch & Maschinen bereitgestellt werden.

[Dieser Artikel ist erstmals im österreichischen Bierig-Magazin erschienen]

frisch gezapftes Bier

Frisches Bier. Aufgenommen bei der „Pilsener Urquell Werkstatt“, einem Pop-Up-Brauworkshop in Berlin (Foto: NAK)