THE CRAFT BEER CHANNEL: Helles? Echt jetzt?

Nina Anika Klotz

Klein, wenig einfallsreich aber dafür qualitativ spitze: Der Engländer Jonny Garrett, Gründer und Gesicht von „The Craft Beer Channel“, hat sich ein paar Gedanken über die deutsche Craft Beer Szene gemacht.

Eigentlich mag  Jonny Garrett kein Bier. Und so kam er zum Craft Beer.

„Als ich an der Uni quasi zum trinken gezwungen war, habe ich angefangen, Real Ale zu trinken. Anstatt dieser langweiligen, bitteren Lager, die die anderen im Pub bestellt haben.“ Die kriegt er einfach nicht runter. Über die traditionellen britischen Fassbiere (Cask Ales) kam der damalige Journalismus-Student auf den Geschmack. Also darauf, dass Bier richtig viel Geschmack haben kann.
Vor fünf Jahren zog er nach London und begann als Online-Redakteur für den Fernsehkoch Jamie Oliver zu arbeiten. Right place, right time: Zeitgleich rollte die Craft Beer Welle über den Atlantik und traf das Königreich und durch seinen Job in der Foodszene lernte Jonny schnell mehr und mehr Biertrinker kennen, denen es ging wie ihm.
Vor einem Jahr startete der Journalist mit zwei Kollegen „The Craft Beer Channel“, einen Youtube-Kanal über die Londoner Craft Beer Szene. Und eigentlich über viel mehr, über Beer and Food Pairing, über Kochen mit Bier, über Craft Beer Herstellung. Nur was es da nicht gibt, sind zehnminütige Filmchen von Typen, die in ihrer Küche vor einem Glas Bier hocken und erzählt, wie das schmeckt. „So etwas machen wir nicht.“

Im Sommer war Jonny in Berlin und hat sich die deutsche Craft Beer Szene angeschaut. Und? Er fasst das einmal für uns zusammen:

Die größte Überraschung war vermutlich das ganze Helle. Ich hatte doch etwas mehr Vielfalt erwartet, als ich erstmals in die deutsche Craft Beer Szene eingetaucht bin. Tatsächlich aber hatten die meisten der kleinen Brauer, die ich in Berlin besucht habe, ein Helles und ein Dunkel in ihrem Sortiment. Ich meine: Ist das nicht, was alle deutschen Brauer machen? Die Craft Brewer in Großbritannien nehmen sich nur sehr selten die klassischen britischen Bierstiele wie Stout oder Porter vor. Oder wenn, dann nur, um sie weiter zu entwickelt, im Fass lagern oder so. Vermutlich liegt dieser Unterschied aber darin begründet, dass die Deutschen ihr Lager eben lieben – und es ohne Zweifel auch verdammt gut machen.

Was die Qualität angeht, gewinnt deutsches Craft Beer

Des Weiteren war ich ziemlich erstaunt, wie klein die Craft Beer Bewegung in Deutschland eigentlich doch noch ist. Ich hätte erwartet, dass es mehr Craft Beer Brauer gibt. Das liegt vermutlich daran, dass ich aus London komme, wo wir mittlerweile irgendwas um 100 Brauereien haben. Andererseits war ich dann aber sehr beeindruckt, welch große Qualität diese kleine Szene in Deutschland hervorbringt. Wirklich: Deutsches Craft Beer ist qualitativ extrem stark. Ich habe in keiner einzigen Berliner Brauerei oder Bar auch nur einen Schluck Bier getrunken, der einen Fehlgeschmack gehabt hätte.

Auch da bin ich als Londoner anderes gewohnt. Hier ist der Craft Beer Szene aus der Home Brewing Szene hervorgegangen. Das sind Amateure, die das Brauen nie richtig gelernt haben, denen passieren öfter mal Fehler, manche haben ihre Schwierigkeiten damit, ihre Rezepte im großen Stil zu umzusetzen. In Deutschland hingegen kommen die meisten Craft Brewer vom Fach, viele haben in der Industrie gelernt. Zum Beispiel Alexander Himburg von Braukunstkeller: Mit seiner Ausbildung hat er eine Menge Erfahrung darin gesammelt, konstant gutes und technisch einwandfreies Bier zu brauen. In der extrem grass-rootigen Craft Beer Bewegung Großbritanniens finden sich hingegen eine Menge Typen, die eher virtuos ans Werk gehen. Die sagen: „Lass uns doch einfach mal ein paar Ananas reinballern und schauen, was passiert“. Das kann klappen und hat seinen Charme – es kann aber eben auch passieren, dass der Craft Beer Trinker einfach mal ein schlechtes Craft Beer erwischt. Einen Sud, bei dem etwas schief gelaufen ist. (Auch wenn es natürlich eigentlich die Verantwortung jedes Brauer ist, einen misslungenen Sud nicht in den Verkauf zu bringen. So etwas könnte der ganzen Szene schaden.)

Wenn man die Biergeschichte der beiden Länder vergleicht, wundert es letztlich nicht, dass die Craft Beer Revolution in Deutschland so viel langsamer voran kommt. Schließlich gab und gibt es dort immer gutes Bier, das für jeden erschwinglich ist. Überall in Deutschland konnte man zu jeder Zeit ein Augustiner Helles bekommen, ein hervorragendes Bier, Weißbier von Schneider Weisse oder Bier aus Weihenstephan. In UK hingegen gab es zwischen 1960 und 1980 gerade mal 70 Brauereien und all deren Bier war ziemlich schlecht. Deshalb ging die Craft Beer Bewegung, aus den USA kommend, hier so durch die Decke: Es war einfach großer Bedarf nach besseren Bieren da. (Heute steuern wir auf 1200 Brauereien landesweit zu.)

Craft oder nicht craft – das ist hier (und da) die Frage

Mir ist bewusst, dass es in Deutschland durchaus umstritten ist, ob Brauereien wie Schneider Weisse “craft” sind oder nicht. Eine ähnliche Dauerdebatte gibt es auch in England. Da geht es darum, ob die „Real Ale“-Bewegung zum Craft Beer Movement gehört oder nicht. Ich persönlich achte immer sehr darauf, diese „Älteren“ durchaus einzuschließen. Ohne die würde es die neue Craft Beer Bewegung nämlich gar nicht geben.

Wir vom Craft Beer Channel haben für uns folgende, eher lockere Definition festgelegt: „The Craft“ passiert in der Brauerei. Dementsprechend versuchen wir soweit möglich die Größe des jährlichen Bierausstoßes, die Art, wie jemand sich und seine Biere verkauft oder die Geschichte und die Tradition eines Marke zu ignorieren. Was hingegen wichtig ist, ist der Brauer selbst. Er ist „the craftsman“, er zeichnet das ganze Bild. Er kümmert sich um die Qualität der Rohstoffe, um die Technik, das ganze Produkt. Der gesamte Prozess liegt von vorn bis hinten in seinen Händen. Wir betrachten Craft Beer und Craft Brewery als zwei unterschiedliche Dinge. Insofern haben wir kein Problem damit, dass die amerikanische Brauerei Goose Island Anheuser-Busch gehört. Damit ist sie zwar keine Craft Brewery, was sie herstellen ist in unseren Augen aber nach wie vor Craft Beer.

Der Tap-Tippingpoint

Wir wollen nicht, dass die Craft Beer Bewegung elitär und exklusiv wird. Wir wollen die kleinen und die großen Brauer gleichermaßen mitnehmen. Schließlich kommt es ja auch vor, dass aus vermeintlich kleinen Brauern ziemlich große werden. Für mich gab es zwei Indizien für eine Art Tipping-Point der englischen Craft Beer Revolution, Momente, in denen ich plötzlich wusste, dass das kein Nischending mehr ist sondern richtig große Sache wird. Das eine war, als BrewDog anfing seine Bars im ganzen Königreich (und darüber hinaus) aufzumachen. Das ermöglicht es mir, in quasi jeder großen englischen Stadt ein gutes Bier zu bekommen. Das zweite war der Moment, ab dem Bier aus der Camden Brewery in so ziemlich jedem besseren Pub Londons zu haben war.

Ich denke, in Deutschland wird es noch eine Weile dauern, bis ein solcher Punkt erreicht wird. Zugleich sehe ich aber ein gewisses Potential für deutsches Craft Beer im Ausland, und zwar, wenn die Brauer ziemlich genau bei dem bleiben, was sie – für mich ja überraschend – ohnehin schon machen: klassische deutsche Biere nämlich wie Pils, Helles oder Dunkel. Ich glaube, das sind Biere, die englische Craft Beer Trinker gern von deutschen Brauer hätten. Oder Berliner Weisse, auch ein sehr spannender Stil. Ein gewisses regionales Element tut Craft Bieren eigentlich immer ganz gut. Das bewahrt Craft Beer Brauer nämlich auch vor diesem einem, globalen Problem, das wir sowohl hier in England als auch ihr in Deutschland habt: Was die fetten, hopfigen Sorten angeht, die dicken Pale Ales und IPAs, haben wir alle kaum eine Chance. Die machen die Amerikaner besser. Damit müssen wir alle uns abfinden.

Und das ist das „The Craft Beer Channel“-Video, das während Jonnys Berlin-Trip entstand: