Zu viele Informationen würden die Kundinnen und Kunden womöglich verunsichern. Und zu kompliziert darf ein Bier hier auch nicht sein, sagt Jascha Derr. Sein Kellerbier, erklärt der Brauer, sei auch eins „für Frauen, die sagen: Ich trinke kein Bier.“ Bernsteinfarben ist es, mit einer leicht süßen Dinkel-Malznote, dezent gehopft. Es ist eines seiner beiden Hauptbiere, erzählt Jascha. Er braut es obergärig. „Klar“, weiß er, „das ist ein Ale“. Er verkauft es dennoch lieber als Kellerbier. Auch das Dunkle und das Märzen sind Ales. „Ich braue nur obergärig“, sagt Jascha. „Ale kann ich das hier aber nicht nennen“, erklärt er. Hier, das ist Igersheim im Herzen des Taubertals, eine Gemeinde in Baden-Württemberg mit rund 5.600 Einwohnern.
Als Neuling auf dem Biermarkt habe man es hier eh schon schwer genug. Da seien die alteingesessenen Brauereien und ein Hang zum Bewährten. Dass er sein Helles „(k)ein Helles“ nennt, wirkt da schon wie eine gewagte Aktion. Aber insgesamt wollen Jascha Derr und seine Frau Ruth Langer die Menschen weder belehren, noch verwirren – sie wollen ihnen gutes, handgemachtes Bier verkaufen.
Das Brauen in Afrika gelernt
Im April vergangenen Jahres haben die beiden damit angefangen. Und die Reaktionen seien auch durchweg positiv. Die Menschen hier mögen es, wenn jemand etwas schafft, sich etwas aufbaut. Und mit dem, was sie getan haben und tun, haben sich Jascha Derr und Ruth Langer den Respekt der Menschen im Dorf verdient. Dabei war es nicht der Plan, eine Brauerei zu gründen, als die beiden, die in der Entwicklungshilfe im Niger gearbeitet haben, vor einigen Jahren aus Afrika zurückkamen.
Der Hof der Großmutter
„Anlass war das sich ankündigende Kind“, erklärt Jascha die Rückkehr nach Deutschland. Zunächst sind sie nach Wiesbaden gezogen, wo auch seine Mutter wohnt. Als die beiden darüber sprachen, dass sie sich auch ein Leben auf dem Land vorstellen können, habe seine Mutter den brachliegenden Hof der Großmutter ins Spiel gebracht. Während es für andere Menschen, die darüber nachdenken, einen alten Hof zu übernehmen, um grundlegende und finanziell schwerwiegende Entscheidungen gehe, sei das Ganze für sie erstmal „kostenfrei und unverbindlich“ gewesen. Der Hof war ja da und wurde nicht genutzt.
Es sei schnell klar gewesen, dass das ihr Ding ist. Im Gegensatz zu anderen Menschen aus der Region wollten die beiden aber nicht nach Stuttgart oder in eine andere große Stadt pendeln. Das hieß: Der Hof selbst muss auch für den Lebensunterhalt sorgen. Aus Afrika hat Jascha die Leidenschaft fürs Bierbrauen und die Kenntnisse dazu mitgebracht. „In Niger gab es kein Bier, wie es uns schmeckt“, erzählt er. Also habe er mit zwei Einkochtöpfen selbst gebraut.
Förderung durchs Land und die EU
Um eine Existenz aufzubauen, reichten die Einkochtöpfe aber nicht. Also haben Ruth und Jascha einen Antrag auf Förderung durch das Land Baden-Württemberg und die Europäische Union zum Aufbau einer kleinen Brauerei gestellt. „Das kann man ja mal hinschicken“, haben sie sich gedacht. Und dann kam tatsächlich die Förderzusage.
Ruth und Jascha haben sich einige kleine Brauereien angeschaut. Erfahrung Nummer eins: Sie wurden da freundlich empfangen. Erfahrung Nummer zwei: Sie haben dort richtig gute Tipps bekommen. Der wohl wichtigste, findet Jascha aus heutiger Sicht: Man braucht einen eigenen Schankraum. „Die Leute wollen nicht einfach ein paar Flaschen kaufen, die Leute wollen probieren“, habe man ihnen gesagt. Inzwischen wissen die beiden auch: „Über den Gastraum wird Geld verdient.“
Der eigene Schankraum ist wichtig
Im Schankraum treffen sich Wandergruppen, feiern Firmen und Vereine Feste und Menschen aus dem Dorf ihre Hochzeit. Manchmal gibt es auch eigene Veranstaltungen – mal ein Konzert, mal eine Lesung. Die eigene kleine Gastronomie ist eins der beiden Standbeine. Das zweite: Der Schankwagen, mit dem Ruth und Jascha auf Festen und auf dem Wochenmarkt Bier verkaufen. „Mit Kneipen, die unser Bier wollen, läuft es nicht so, wie wir es gerne hätten“, sagt Jascha ganz offen. Wenn mal ein Fass in die Gastronomie verkauft wird, dann handele es sich um „hochwertige Restaurants“ – also solche, in denen ein Bier auch mal etwas mehr kosten darf.
Anlage ist nicht ausgelastet
Das Problem mit dem Schankwagen sei aber: „Wenn ich den ganzen Tag auf dem Markt stehe, kann ich nicht brauen.“ Die Fünf-Hektoliter-Anlage und die 1000-Liter-Tanks sind nicht ausgelastet. „Ich könnte damit das Zwei- bis Dreifache machen. Aber da sind nur wir beiden“, erklärt Jascha. Und seine Frau hat auch noch einen Halbtagsjob – „der einzig feste Bestandteil unseres Einkommens“.
Das Leben mit zwei Kindern auf einem rund 250 Jahre alten Hof, auf dem es immer jede Menge Arbeit gibt, ist nicht einfach. Aber zum einen wollte er „etwas mit den eigenen Händen machen“, sagt Jascha. Zum anderen sei ganz wichtig: „Ich bin mein eigener Chef.“ Mit dem, was er und seine Frau innerhalb eines Jahrs erreicht haben, ist er nicht unzufrieden. Und es mache ja Spaß, Menschen von Bier zu begeistern.
(Die Bilder zeigen (von oben nach unten): Die Biere der Derr Brauerei, Ruth Langer und Jascha Derr mit dem Schankwagen und die Brauerei.)
(19. Mai 2024)