Wenn man in der Schweiz den Ort Rheinfelden und Bier zusammenbringt, gibt es eigentlich nur ein Resultat: Feldschlösschen. Die grösste und sicher bekannteste Brauerei der Schweiz ist aber nicht allein im Städtchen direkt am Rhein und in unmittelbarer Nachbarschaft zum grossen Kanton (Deutschland). Im Herzen der Altstadt in den Räumen der „Alten Milchzentrale“ entstehen innovative und trotzdem gut trinkbare Biere. Die Brauerei Nordsud ist dort seit fast 8 Jahren ansässig und aktiv. Um mehr über den Werdegang der Brauerei und seinem Gründer Richie Waldis (der Mann auf dem Foto) zu erfahren, habe ich mit ihm zu einem Interview verabredet.
Mathias: Hallo Richie, hier mal die klassische Einstiegsfrage. Wie bist Du eigentlich zum Bier und Brauen gekommen?
Richie: Ich bin ja Hauswirtschaftslehrer und in der Ausbildung dazu hat eine Kollegin von mir ein Kochbuch entdeckt, in dem ein Rezept für ein „Brennnessel -Löwenzahn-Bier“ steht. Und dann habe ich gefunden, das muss ich unbedingt machen. Denn ich bin biertechnisch nicht ganz unbelastet, denn mein Großvater ist Bierbrauer gewesen. Zwar nicht mehr aktiv, als ich ihn wissentlich kennengelernt habe, aber Bier war immer Thema in unserer Familie. Dieser erste Versuch des Brauens in der eigenen Küche ist zwar völlig verunglückt, doch die Lust nach Brauen hatte mich gepackt. So stand ich vor dem Problem, wie braut mal eigentlich Bier? In einer Buchhandlung wurde ich dann fündig, mit dem Buch „Bier aus dem eigenen Keller“ von Wolfgang Vogel. Das war im Jahr 1994. Und damit habe ich mit Schritt für Schritt das Handwerk selber beigebracht.
Mathias: Konntest Du noch auf Knowhow Deines Grossvaters zurückgreifen?
Richie: Leider nicht, denn er ist schon vor meiner Lust auf Bierbrauen verstorben. Er hätte mir sicher gute Tipps geben können, denn er absolvierte seine Lehre in der Basler Brauerei „Warteck“ und arbeitete danach 25 Jahren bei „Feldschlösschen“. Ich habe dann in der Küche angefangen zu brauen und noch andere Räume der Wohnung mit benutzen müssen. Freunde fanden die ersten Biere gut und wollten auch mehr davon und so ist es mit der Zeit zu viel geworden, mein Bier in der eigenen Wohnung zu brauen.
Mathias: Also musstest und wolltest Du Dir ein Heim für Deine Brauerei suchen.
Richie: Genau. Ich hatte riesiges Glück und konnte 2001 die „Alte Milchzentrale“ in Rheinfelden übernehmen, da diese nicht mehr vom Molkereiverbund gebraucht wurde. Dort hatte ich optimale hygienische Voraussetzungen und konnte auch eine voll funktionsfähige Kühlzelle übernehmen. Damit hatte und habe ich einen guten Grundstein für die Gärung und Lagerung meiner Biere. Es geht zwar nicht alles überall, doch findet sich immer eine gute Kombination. So habe ich dort mit einem klassischen bayrischen Weizen begonnen, dem ein Helles und ein Amber folgten.
Mathias: War das schon der Beginn von Nordsud?
Richie: Seit ich begonnen hatte in meiner Küche zu brauen und auch nach dem Umzug in die Milchzentrale war meine Brauerei unter dem Namen „Richie-Bräu“ steuerlich angemeldet. Dieses noch unter Nummer 78. Zweistellige Steuernummern gibt es nur schon lange nicht mehr, wenn man weiss, dass wir jetzt bei Steuernummern über 1500 sind. Wir waren zwischendurch als Brauverein eingetragen, mit mehr als 100 passiven Mitgliedern und ca. 10 Kollegen die aktiv gebraut haben. Das ging dann so bergauf, bergab bis 2015.
Mathias: Was hatte sich da verändert?
Richie: Ich hatte mich entschlossen, den Biersommelier zu machen und habe glückliche Umstände die mir halfen diese Ausbildung auch als aktiver Lehrer machen zu können. Denn wer gibt schon einem Lehrer an 8 Wochentagen frei. Damit hat sich für mich eine neue Tür in die Welt des Biers geöffnet und meine Motivation war wieder geweckt. Ich entschloss mich, mit einem neuen Brand noch einmal durchzustarten. So habe ich Nordsud als meine zweite Brauerei gegründet. Wir haben jetzt die Steuernummer 1073, was noch perfekt zum Geburtstag meiner Frau passt.
Mathias: Wie ist es, Deine Brauerei in Rheinfelden in Nachbarschaft zum allgegenwärtigen „Feldschlössli“ zu etablieren?
Richie: Da gab es am Anfang viele unterschiedliche Stimmen im Ort. Die einen fanden die neuen Biere interessant und freuten sich über einen frischen Wind. Doch waren viele klar der Meinung: „In Rheinfelden trinken wir nur Feldschlössli.“ Da spielt natürlich eine Rolle, dass die Feldschlösschen Brauerei der grösste Arbeitgeber in der Gegend ist und viele so verbunden mit ihr sind. Doch für meine Teilzeitberufung reicht es gut aus, neugierige Kunden mit meinen Bieren zu begeistern.
Mathias: Welche Biere begeistern Dich am meisten?
Richie: IPAs mag ich schon sehr und sie geben mir eine tolle Freiheit zum Experimentieren mit Malz und Hopfen. Mit anderen Brauer-Kollegen zusammen haben wir jetzt begonnen, Hopfen direkt zu importieren, was in den von uns benötigten Mengen erstaunlich gut funktioniert. Aber auch klassische deutsche untergärige oder englische obergärige Bierstile begeistern mich. Etwas Abstand nehme ich dann schon von belgischen Stilen, welche mir zu phenolisch mit zu viel Restsüsse sind. Grutbiere oder eben das Experiment mit Kräutern und Blüten finde ich sehr spannend. So sind auch Biere mit Rosmarin, Lindenblüten und Jasmin entstanden, auch ganz ohne Hopfen. Meine Maxime ist es, spezielle Biere zu brauen, die aber gut trinkbar sind. Dabei soll dann aber auch das gut wahrnehmbar sein, was ich auf dem Etikett verspreche.
Mathias: Wenn ich mir Deine Bieretiketten anschaue, springen mir die Gradangaben ins Auge. Sind das Breitengrade?
Richie: Es sind die Längengrade, diese habe immer einen Bezug zum Rezept. Das Vienna hat zum Beispiel 16, da Wien auf dem 16. Längengrad liegt.
Mathias: Zum Abschluss noch die obligatorische Frage: Wie siehst Du die Zukunft für Deine Brauerei?
Richie: Schwierig zu sagen. Wie allen Brauereien machen mir die gestiegenen Preise für Energie und Rohstoffe zu schaffen. Die Preise kann ich nicht mehr erhöhen, da ich sonst viele Kunden, vor allem bei den Restaurants und Getränkeläden, verlieren würde. Somit bleibt einmal abzuwarten, wie sich alles entwickelt. Ich investiere sehr viel Zeit in die Brauerei und auch wenn ich nicht davon leben muss, sollte am Schluss doch zumindest ein kleiner Gewinn übrigbleiben.
(Wir sind in diesem Interview bei der schweizerischen Schreibweise geblieben.)
(20. Juli 2023)