Zwischen Start-Up und Stammhaltertum: Die Privatbrauerei Glaabsbräu in Seligenstadt rühmt sich, sowohl die älteste Brauerei Südhessens, als auch eine der modernsten Deutschlands zu sein. Das klingt nicht leicht, und ist es auch nicht. Brauereichef Robert Glaab über das gewagte, aber für ihn auch alternativlose Unterfangen, eine Traditionsbrauerei ins Craft-Zeitalter zu führen.
Eine Brauereineugründung in Deutschland 2017, das ist ein ganz schön fetter Brocken Arbeit, glaubt man den Craft-Beer-Start-Up-Gründern zwischen Kiel und Rosenheim. Anträge hier, Bescheinigungen da, Locationsuche, Finanzierung, Businessplan, Genehmigungszitterpartie und so weiter.
Da könnte schon mal der Gedanke aufkommen, dass die, die bereits in eine laufende Brauerei geboren werden, es doch viel leichter haben.
Stimmt aber nicht.
Tradition verpflichtet
Tradition, Verantwortung, Größe – das alles macht es um ehrlich zu sein ganz schön schwer, irgendetwas „from scratch“ zu starten, komplett umzustellen, Neuland zu betreten. Da gibt es Mitarbeiter, die seit 34 Jahren für diese Brauerei arbeiten – und die sollen jetzt einfach so neue Wege mitgehen? Craft Beer statt Premiumpils brauen, zum Beispiel? Da ist ein Sudhaus mit 100 Hektolitern oder mehr – damit kann man nicht einfach so mal einen Barley Wine machen. Und da ist eine seit Jahrzehnten mit bestimmten Werten aufgeladene, funktionierende Marke – die will man ja wohl nicht einfach so riskieren.
Nicht zuletzt ist da freilich dann auch noch die Frage, die sich jeder Brauereispross stellen und ehrlich für sich selbst beantworten muss: Will ich das wirklich? Will ich das übernehmen, hier einsteigen, das weiterführen? Wie viele Menschen, deren Eltern nicht zufällig Brauer sind, wählen, wenn sie große sind, ausgerechnet den Beruf von Mama oder Papa? So „natürlich“ und „auf jeden Fall“ und „sowieso“ ist das nämlich auch nicht.
Glaabsbräu: Aus alt neu gemacht.
Robert Glaab hat das alles durch. Die Entscheidungsfindung und das Thema „aus alt mach neu“. Der Chef der Privatbrauerei Glaabsbräu in Seligenstadt, Hessen, launchte im April diesen Jahres ein Craft Beer Sortiment sowie einen umfassenden Markenrelaunch. Dem ging ein Brauereineubau und damit natürlich auch ein immenses finanzielles Invest voran: Heute brauen sie in der wohlgemerkt ältesten Brauerei Südhessens (seit 1744) auf einer der modernsten Brauanlagen Deutschlands. So steht das auch in der Selbstbeschreibung der Brauerei. Es zeigt, was für ein gewaltiger Stretch das ist (gleich beide paradoxe Superlative, älteste und modernste) – und wie stolz der wagemutige Kapitän dieses Unternehmens darauf zu Recht ist.
Wir haben mit Robert Glaab über seine Erfahrungen gesprochen, eine Traditionsbrauerei ins Craft-Zeitalter zu führen.
Herr Glaab, war Ihre Zukunft eigentlich immer klar? So als Brauereisohn, mit Bierschaum am Schnuller groß geworden und so…
Robert Glaab: …neunte Generation, Urenkel des Namensgebers der Brauerei, mehr als 270 Jahre Tradition – ich weiß schon, was Sie meinen. Natürlich bin ich mit der Brauerei aufgewachsen, habe auch immer mal wieder da gearbeitet und ausgeholfen, aber nach der Bundeswehr habe ich mich dann erst einmal für ein Studium der Betriebswirtschaftslehre entschieden. Weil es für mich eben nicht alles klar war. Weil ich dachte: Jetzt guckst du erst mal.
Dabei klingt die Vorstellung verlockend, einfach in ein funktionierendes Unternehmen einsteigen.
Wenn man als Unternehmersohn geboren wird, möchte man auch selbst unternehmerisch tätig sein. Selbst etwas aufzubauen hat auch seinen Reiz. Das hätte mich auch in ganz andere Richtungen bringen können.
Wie ging es weiter nach dem Studium?
Obwohl ich gern nach München wollte, bin ich in Bremen gelandet.
Doch Brauerei? Becks?
Nein, andere Weser-Seite. Die süße Seite. Ich habe fünf Jahre im Vertrieb undMarketing bei Kraft Jacobs Suchard gearbeitet. Milka. Danach war ich zwei Jahre Marketing- und Vertriebsberater in Wiesbaden.
Aber die Familien-Brauerei in Seligenstadt war weiter Thema.
Klar, mehr und mehr war sie das, mein Vater wurde auch älter und irgendwann musste ich mich einfach entscheiden: Gehe ich dorthin zurück oder nicht? Letztlich habe ich mir einen Ruck gegeben, weil ich dachte: Wenn ich das jetzt nicht mache, kommt die Chance nicht wieder. Und so habe ich mich entschieden, ins Familienunternehmen einzusteigen. Ich habe am ersten Oktober 1998 in der Brauerei angefangen, im Jahr 2000, am 65.Geburtstag meines Vaters, habe ich die Leitung übernommen. Mein Vater hat sich wahnsinnig gefreut.
Und Sie? Wie ging es Ihnen? So nach Großstadt und Beraterkarriere können sich 250 Jahre Tradition und Südhessen ja auch ein bisschen nach „ausgebremst“ anfühlen…
Das stimmt, verglichen mit den fast moving consumer goods, mit denen ich bis dahin zu tun hatte, bewegte sich die traditionelle Bierbrache tatsächlich langsamer. Aber: Aktuell steht die Bierbranche unter großem Wettbewerb und erfährt glücklicherweise durch sogenannte Craftbiere einen kreativen Aufschwung. Das macht es sehr spannend!
Was haben sie also gemacht, um nicht zu schnarchig zu werden?
Ich habe mich hingesetzt und mich gefragt: Wie sieht der Markt in zehn Jahren aus? Und wie müssen wir uns aufstellen, damit wir in zehn Jahren vorn dabei sind? Wir haben eine lange Geschichte und sind stolz drauf – aber Tradition allein verkauft heute nicht mehr. Also bin ich dann schnell darauf gekommen, dass wir auf eine neue Brau- und Rohstoffphilosophie setzten sollten. Diese neue Philosophie kombiniert mit kleinen Chargen helfen uns bei der Differenzierung von den größeren Brauereien. Früher war es so, dass der kleine Bräu immer geschaut hat, was die Großen machen und dann hat er das kopiert. Das funktioniert aber nicht. Wenn ich gegen Klitschko in den Ring steigen, bin ich nach ein paar Sekunden KO. Klitschko kann ich nur außerhalb des Rings schlagen, in einem anderen Feld. Die größeren Brauereien kann ich als kleine Brauerei nur schlagen, wenn ich charaktervolle Biere in kleinen Chargen braue.
Ist doch leicht, brauen Sie halt einfach weniger.
So einfach war es aber nicht, weil wir bis dato ein 150-Hektoliter-Sudhaus hatten. Wie bei älteren Brauereien üblich, war da über die Jahrzehnte hier mal etwas angebaut worden und da, und am Ende war das ein sehr verwinkeltes Komplex, was für die Abläufe beim Bierbrauen ungünstig war und nicht jede Art der Modernisierung zuließ.
Darüber hinaus war für mich eine neue Rohstoff- und Brauphilosophie maßgeblich: Brauen von charaktervollen Bieren, Vielfalt bei den Rohstoffen, Einsatz von naturbelassenen Hopfen, Verzicht von Hopfenextrakt, Stabilisierungsmittel, PVPP und Farbebier.
Sie brauchten also eine neue Brauerei.
Ganz genau. Am alten Standort. Wir haben eine Stapelhalle geteilt und im November 2014 habe ich per Handschlag eine neue Brauerei am Stand der Firma Braukon auf der Brau in Nürnberg gekauft. 40 Hektoliter mit einer Produktionskapazität von 15.000 Hl und allem Schnick und Schnack. Hopgun und so weiter. Ist technisch eine der modernsten Brauereien Deutschlands. Mitte 2015 ging die an den Start.
Klingt jetzt super easy…
Nun ja, so easy auch nicht. Wir machen etwa 3 Mio. Euro Jahresumsatz und ich habe hier 3 Mio. in den Bau der neuen Brauerei investiert. Das ist schon ein großer Schritt und für mich war klar, dass man den ganz gehen muss. Wir haben die ganze Marke Glaabsbräu neu aufgestellt. Alle Biere, auch unsere regulären, werden auf der modernen Anlage charaktervoller und besser gebraut. Wir haben die ganze Verpackung verändert, weg vom Bügelverschluss, neue Kisten, andere Etiketten. Klar gab es da ein gewisses Risiko, bestehende Kunden zu verlieren.
Und? Ist das passiert?
Wir haben genau zugehört und die Reaktion der Kunden ist positiv.
Sicherlich ging es aber doch auch darum, neue Kunden hinzuzugewinnen.
Wir können nun, mit unseren neuen Sorten und der neuen Aufmachung, aus der Region herauskommen. Aber das lassen wir langsam angehen. Ich habe das alles dem Handel schon mal vorgestellt, der findet das gut – aber da legt man nicht von heute auf morgen den Hebel um. Unser Ziel ist es, mit der Brauerei zu wachsen.
Sie haben sich bewusst für die Verwendung des Begriffs „Craftbier“ entschieden.
Uns ist auch kein besserer eingefallen. Aber: Wir sind keine Hipsterbrauerei und wollen auch nicht so tun, wir stehen zu unserer Brautradition. Ich sehe das realistisch: Wir als Brauerei werden nicht entscheiden, welcher Gattungsbegriff sich durchsetzt – und aktuell führt Craft Bier.
Wie stehen Sie denn zu den „Hipsterbrauereien“?
So die Berliner Start-Ups und so? Die finde ich cool. Wirklich. Junge Leute, die Unternehmen gründen, finde ich per se super. Und die Craft Beer Brauer unter denen haben es geschafft, den richtigen Dreh in die deutsche Bierlandschaft zu bringen. Ich würde fast sagen, die haben einen Weg bereitet und uns Traditionsbrauern durchaus geholfen.
Die Sorten Ihres Craft Beer Sortiments sind gelinde gesagt – überraschend: Session Lager, Imperial Pils und hopfengestopftes Kristallweizen. What the…!?
(Lacht.) Das ist wieder der Klitschko-Effekt: Ich weiß gar nicht, wie viele IPAs es auf dem deutschen Markt gibt – alle mit derselben Geschichte. Warum sollten wir da in den Ring steigen? Machen wir doch etwas anderes. Mit den Ideen kam unser junger Braumeister Julian Menner um die Ecke, sehr kreativer Typ. Beim Kristallweizen habe ich aber zugegebenermaßen auch erstmal gestutzt. Dabei ist es genau das Richtige, um von eingedrehten Sorten und Mustern wegzukommen.
Welchen Tipp haben Sie für etablierte Brauerkollegen, die sich ebenfalls „craft“ machen wollen?
Es beginnt im Kopf des Chefs. Das ist der wichtigste Faktor. Man kann das nur ganz oder gar nicht machen. Und: Leicht ist es nicht, eine ganze Brauerei neu aufzustellen.
Noch ein wenig mehr plaudern wir mit Glaabsbräu in unserem Podcast „Hopfenhelden trifft“.
Auf einen Blick
Glaabsbräu
Robert Glaab
aus dem Craft Bier Sortiment (ganzjährig verfügbar)
- Tropic Thunder– gestopftes Kristallweizen
- Reifeprüfung – Imperial Pils
- Hopfenlust – Session Lager
Hopfenhelden-Tipp: Die rassig, knackige Reifeprüfung