Leben ohne Alkohol – einige Stimmen zum „Dry January“

Martin Rolshausen

Es ist dunkel und kalt in Berlin. Kein Problem – so ist das eben im Januar. „Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin, musst du Element of Crime hören“, hat mir Charly Hübner im vergangenen Jahr gesagt. Wir haben uns über seinen Film unterhalten, in dem er diese Band würdigt, die davon singt, wie das ist, „wenn es dunkel und kalt wird in Berlin„. Element of Crime hören – das ist sicher ein guter Rat.

Noch besser ist es, wenn man in dieser Zeit auch noch ein paar wundervolle Biere im Kühlschrank hat. Gerade sind das bei uns zuhause Trappistes Rochefort 6, 8 und 10, Duvel, Chimay Bleu und Rouge, Dr. Raptor von Uiltje, das etwas leichtere dunkle Lager von Lemke – und, ja, auch Schultheiss-Pils in der Dose.

Ich mag alkoholfreie Biere – einige Brauereien zeigen eindrucksvoll, was da alles geht. Aber im Januar? Gerade im Januar, sagen mir einige Bierfreundinnen und Bierfreunde. Denn nach den üblicherweise etwas höheren Alkoholmengen an Weihnachten und Silvester tue es es doch dem Körper und dem ganzen Menschen gut, mal einen Gang zurückzuschalten, sich zu entgiften (und ein Gift ist Alkohol, keine Frage) und sich selbst bewusst zu zeigen, dass man auch ohne Alkohol auskommt. Dry January also.

Ich finden den Ansatz gut – aber ausgerechnet im Januar? Social-Media-Nachrichten von Michael Busemann, einem Biersommelier-Kollegen, und dem grandiosen Schorsch von Schorschbräu haben mich in meiner Skepsis bestätigt. Aber wie sieht das die Biergemeinde da draußen, habe ich mich gefragt – und dann die Community selbst mit der Frage konfrontiert: Wie haltet Ihr es mit der „Dry January“?

Michael Busemann

„Dry January“ – in Köln sei das „trockener Humor“, sagt Michael Busemann. Der Leiter der Sektion Rheinland des Verbands der Diplom-Biersommeliers hat da eine klare Meinung: „Seit ein paar Jahren versucht man uns den Dry January einzureden. Aber in Köln? Unrealistisch und sinnlos. Das wäre wie Karneval ohne Kamelle, Köln ohne Dom oder das Rheinland ohne Rhein.“ Vom 11.11. bis Veilchendienstag sei Kölsch nun mal „das offizielle Getränk“. „Danach können wir gerne über Verzicht reden – die Fastenzeit lässt ja genügend Auswahl: Fleisch, Süßes, Kaffee … aber Kölsch? Das wäre echte Selbstkasteiung. Und wenn die Fastenbiere kommen, haben wir eh wieder einen Grund zum Anstoßen“, gibt er zu bedenken.

In Köln stehe der Januar für Genuss: „Die Brauhäuser sind voll, die Kölschgläser klirren und das Lachen der Freunde ist nicht zu überhören. Ohne Kölsch würde im Januar etwas fehlen – diese einzigartigen Momente der Gemeinschaft, die Geschichten, die nur bei einem frisch gezapften Kölsch richtig rund werden, und das Gefühl von Heimat. Kölsch verbindet. Es ist mehr als ein Getränk: Es ist ein Symbol für Zusammenhalt, Lebensfreude und die kölsche Seele.“

Martin Krotki

„Bei uns in der Brauerei treten im Januar einige „kürzer“ – weniger Süßes oder keinen Alkohol“, sagt Martin Krotki, der CEO der Brauerei Lemke. Die ist allerdings auch nicht im Rheinland, sondern in Berlin. Aber Verzicht auf Alkohol müsse ja nicht bedeuten, dass man nicht genießt. Klar, dass Martin Krotki die alkoholfreien Biere aus seiner Brauerei empfiehlt.

Schorsch von Schorschbräu

Schorsch von Schorschbräu, der Bayer, der sich den ganz starken Bieren widmet, findet: „Jeder sollte sich seine eigenen Rituale des Verzichts zurechtlegen. Wem es hilft: auch mit dem Dry January. Aber der allerbeste Schutz vor Abhängigkeit ist doch ein vernünftiger Umgang das ganze Jahr über.“ Seine persönlichen Regeln seien da: „Nicht oder kaum unter der Woche trinken. Nicht vormittags trinken. Nicht allein trinken. Nicht aus Frust trinken oder irgendwelche Sorgen mit Alkohol lösen wollen. Keine festen, kurzfrequenten Regelmäßigkeiten (jeden Abend ein Glas Wein, Bier…), denn das führt langsam aber schleichend in eine Abhängigkeit – „ach, ohne mein Bierchen kann ich gar nicht einschlafen…“ – Alarm!!“

Man müsse bereit sein, „kleine Anzeichen erkennen zu wollen und sofort mit 2- bis 3-wöchiger Abstinenz reagieren“. Er rede davon nicht „wie der Papst vom Beischlaf“, sondern habe „schon viele Jahre Erfahrung mit Alkohol und habe auch schon viele Menschen abgleiten sehen“, sagt Schorsch. „Und immer war es das langsame Einschleichen in den Alltag. Und immer war es die unscharfe oder fehlende Trennung der Aufgaben. Mit Bequemlichkeit und Bagatellisierung fängt es an. Wer mich kennt, weiß, dass ich es auch fürchterlich habe krachen lassen und immer noch gerne mal übertreibe – auch über die Maßen. Aber dann auch wieder Null.“

Björn Buresch

Wahrscheinlich sei das Thema für die „meisten, die sich mit Biervielfalt und Genuss beschäftigen, weniger relevant“, glaubt der Bier-Enthusiast Björn Buresch. „Dennoch gibt es Menschen, die deutlich zu viel Alkohol konsumieren. Meiner Meinung nach ist daher jeder Ansatz, der auch nur einen von ihnen dazu bewegen könnte, weniger zu trinken, ein Schritt in die richtige Richtung“, sagt er. „Es sollte eigentlich selbstverständlich sein, dass man im Jahr zumindest 2 bis 3 Wochen komplett auf Alkohol verzichten kann, ohne sich das explizit vornehmen zu müssen. Wenn das nicht der Fall ist, ist das zumindest bedenklich.“

Martin Dambach

Dry January? „Für mich persönlich ist das gar nichts. Ich trinke eher selten zu viel, so dass mir 1 bis 2 Tage ohne Bier zwischendurch reichen. Vielleicht belegt das ein großes Alkohol Problem? Wer das machen will, um zu sehen, ob er das wirklich schafft, und durchziehen will, soll das gerne machen. Januar als erster Monat im Jahr bietet sich da vielleicht an. Es hilft wohl, wenn auch andere diese Fastenzeit auf den gleichen Zeitraum legen. Mir ist das zu extrem und zu leistungsbezogen“, sagt der Bier-Experte Martin Dambach.

Stephan Gräfke

Stephan Gräfke, der Administrator der Bierfreundeskreis-Facebook-Seite, hält es so: „Ich habe einige Jahre vom 1.1. bis zum Gründonnerstag pausiert. Darauf habe ich im Moment keine Lust. Ich verzichte im Normalfall sowieso schon unter der Woche auf Alkohol (außer ich habe Urlaub). Ganz verzichten möchte ich nicht, man kann die Menge runterfahren, Freitag und Samstag nur noch 1 oder 2 Bier.“

Karsten Buroh

Für den Biersommelier Karsten Buroh ist der Dry January „genauso sinnfrei wie der Veganuary oder andere „Anfang-des-Jahres-Verzichtshypes“, die in den nächsten Jahren folgen, je nachdem was TikTok gerade an Blödsinn zu bieten hat“. Denn: „Abgesehen davon, dass diese Motto-Monate eh nur Alibifunktion haben. Ab dem 01. Februar wird dann einfach weiter gefr… und ges…. und manche werden dann ganz tief durchatmen, nach dem Motto: Uff. Endlich ist der Gruppendruck vorbei!“

Patrick Thiele

„Also, ich bin bei sowas völlig raus. Mich musst du da schon einsperren oder festbinden. Ich trinke seit fast 30 Jahren täglich Bier. Ich trinke morgens seit ein paar Wochen zwei Tassen Tee, bis vor Kurzem noch Kaffee. Im weiteren Tagesverlauf trinke ich fast ausschließlich Bier. Ab und zu trinke ich einen Ayran oder einen guten Wein. Wasser trinke ich nur, wenn im Sommer richtig Hitze ist. Auf der Arbeit trinke ich ab und zu Multivitaminsaftschorle. Für mich ist ein Tag ohne Bier einfach nichts“, schreibt Patrick Thiele, der Administrator der Facebook-Gruppe „Bierfreunde“.

Jörg Viehweger

Jörg Viehweger, Moderator dieser Gruppe, sagt, dass der trockene Januar „schwierig“ sei in seiner Gegend, dem nördlichen Teil des Allgäus – und im Rest des Allgäus bis nach Mittelschwaben auch.
Er erklärt: „Wenn es schon „Dry January“ heißt, sind wir hier raus. Des muss was Neumodischs sei, des hat kein Allgäuer erfunden!“ Und weiter: „In der praktischen Durchführung tun sich dann aber erst die wahren Probleme auf! Ich meine, da wird es Herbst im Allgäu, „Festwoch z Kempta“, da hauen sie ihre Festbiere raus. Alle anderen regionalen Brauereien auch, egal ob sie auf der Festwoche vertreten sind oder nicht, irgendwie ist da überall Festwoche zwischen Füssen und Günzburg. Des kannst ja jetzt nicht ignorieren, die Biere musst probieren, die sind einfach zu gut, jedes Jahr wieder! Irgendwann ist es dann November, endlich, danach kommt die stade Zeit. Aber da bleibst halt auch nicht „dry“, jetzt hauen se die ganzen Winter-, Weihnachts- und Festbiere raus. Ich hab s probiert, aber da kommst nicht dran vorbei.“

Viehweger: „Danach dann, endlich „Dry January“! Ja von wegen, dann ist Fasnet, Fasching, Fasnacht. Ja, da bleibst dann halt auch nicht „dry“, außer du bist der Fahrer. Dann kommt die Fastenzeit, des wäre noch, zumindest für die katholischen Allgäuer und Mittelschwaben, am ehesten ein Anlass, mal 40 Tage auf was zu verzichten was auch wirklich einen Verzicht bedeutet. Kannst vergessen, Fastenzeit ist Starkbierzeit! Die untergärigen dunklen Böcke und Doppelböcke, da kannst auch nicht „dry“ bleiben, beim besten Willen nicht! Dann wird es Frühling, endlich, die kalten und dunklen Zeiten sind vorbei! Dafür haben jetzt die Osterfestbiere und die hellen Maiböcke Saison. Des willst du nicht auslassen!“

Und weiter geht es: „Dann wird es langsam Sommer, es wird richtig heiß, Heuernte, die Gerste, die noch nicht weiß, ob sie Futter- oder Braugerste wird, wird langsam reif. Des ist die Zeit für die Hellen oder Export. Bis dich umschaust, werden die Tage kürzer, die Schulferien in Bayern sind rum, auf den Äckern steht nur noch der Mais für die Biogasanlage, die Herbstfeste gehen los und „z Kempta“ is wieder Festwoch, Zeit für Märzen und die Herbstfestbiere. Teufelskreislauf, da bleib mal einen Monat „dry“!
Für mich gibt es da nur eine Lösung: Ich muss oft genug „dry“ bleiben, aber halt nicht weil es grad „in“ ist und Januar auf dem Kalenderblatt steht.“

(Foto: Martin Rolshausen)

(13. Januar 2025)