Conrad Seidl, bekannt als „Bierpapst“, präsentiert in seinem Buch „Biermythen“ nicht nur viel Wissenswertes, sondern auch manch Überraschendes.
Ein Pils dauert 7 Minuten. Dass dies keine Weisheit, sondern ein historischer Mythos ist, ist unter Bierfreunden hinlänglich bekannt. Dass man die Qualität eines Bieres nicht mittels Hosenbodentest belegen kann, sollte auch klar sein. Wer möchte sich schon mitsamt seiner Lederhose auf eine Holzbank setzen, die zuvor mit Bier bestrichen worden war, nur um festzustellen, ob und wie lange er darauf kleben bleibt?
Ist Bier Frauen zu bitter?
Doch was ist mit „Bier macht müde“, „Bier ist Frauen zu bitter“ und „Zwei Bierfässer waren das erste Bahnfrachtgut in Deutschland“? Wurde das erste Imperial Stout für die russische Zarin Katharina die Große gebraut und gab es einen König oder gar Heiligen namens Gambrinus, der zum Schutzpatron der Brauer geworden ist? Bier auf Wein oder Wein auf Bier?
„Richtigstellungen zu unserem liebsten Getränk“
Diese und viele mehr Fragen beantwortet Conrad Seidl, in der Szene als „Bierpapst“ bekannt, in seinem neuesten Buch „Biermythen“. Der Untertitel verspricht „Richtigstellungen zu unserem liebsten Getränk“. Die knapp 250 Seiten bieten noch viel mehr: Anekdoten, persönliche Erlebnisse, Zitate, Legenden, praktische Tipps sowie Interessantes aus den Bereichen Geschichte, Wirtschaft, Braukultur und -technologie. Das alles verbindet Conrad Seidl zu einer ganz persönlichen Liebeserklärung ans Bier.
Großer Wissensschatz
Dass diese zwar sprachlich ansprechend, aber im Inneren optisch schlicht ausgefallen ist – kein Bilder, keine Grafiken, nur wenige Formatierungen – verzeiht man dem Experten, denn es geht hier um den großen Wissensschatz, den er im Lauf der Zeit angesammelt hat. Dabei ist Conrad Seidl ganz offensichtlich viel gereist: Er recherchierte in Südafrika zu Hirsebier und in Chile zu Chicha, dessen wichtigste Zutat angeblich menschliche Spucke sein soll. Er war auch in den USA, Belgien und vielen anderen Ländern unterwegs, um die jeweiligen Bierkulturen zu studieren oder auch, um Biermythen auf den Grund zu gehen.
Von Bock bis Zwickel
Beides tat er ebenso ausgiebig in Deutschland und seinem Heimatland Österreich, zwei Länder, in denen es in Sachen Hopfen & Malz vieles zu erzählen gibt: vom Zwickl, das einst besonders klar sein sollte, über den Radler, der entgegen dem gängigen Mythos nicht auf der bayerischen Kugler-Alm erfunden worden ist, bis zum Bock, der mit Ziegenböcken und anderen Tieren nichts zu tun hat.
Reinheitsgebot gilt nicht seit 500 Jahren
Selbstverständlich ist auch das Reinheitsgebot ein Thema in „Biermythen“: Dessen Urform aus dem Jahr 1516 sei weder das älteste Lebensmittelgesetz der Welt noch gelte es durchgehend seit mehr als 500 Jahren. Landshut habe bereits 1409 eine städtische Brauordnung herausgegeben. Es gab Zeiten, in denen Kräuterzusätze im Bier erlaubt waren, und während des Zweiten Weltkrieges durfte Molke verbraut werden, „um die wegen des Mangels an Braugetreide sehr dünnen Kriegsbiere vollmundiger schmecken zu lassen“. Dass die Hefe im Reinheitsgebot fehle, habe allerdings nicht damit zu tun, dass 1516 das Mikroskop noch nicht erfunden und der Mechanismus der Hefegärung nicht beschrieben war, sondern, weil für das berühmte Gesetz nur Gerste und Hopfen von Bedeutung waren. An den bayerischen Höfen habe man um die Hefe und deren Vermehrung bereits Bescheid gewusst.
Kein Bier auf erster Zugfahrt
Dass die erste Eisenbahn am 7. Dezember von Nürnberg nach Fürth fuhr und neben Passagieren auch zwei Fässer Bier transportierte, ist eine weiterer Punkt, den Conrad Seidl widerlegt: Datum und Fahrstrecke seien zwar richtig, an Bord hätten sich allerdings nur Menschen befunden. Nach dem größten Biermythos gefragt antwortet der Autor im HOPFENHELDEN-Interview ohne lange nachzudenken: „Dass Bier ein Durstlöscher ist.“ Es sei viel mehr „ein reines Vergnügen“.
Conrad Seidl, „Biermythen“, Verlag Der Apfel, 24,90 Euro.
(Das Foto zeigt Conrad Seidl. Foto: Credit-medianet-AG-APA-Fotoservice-Ludwig-Schedl)
(11. Juni 2024)