Die vielleicht verrückteste Unternehmensgeschichte einer deutschen Craft Brauerei geht so: Wer hier ein IPA kauft, finanziert ein Altersheim, dessen Bewohner über den Sudkesseln wohnen und feiertags gern den fröhlichen Biergartlern beim „Prosit!“-Singen zuschauen. So schaut’s aus, bei der Spitalbrauerei in Regensburg
Tradition.
Beständigkeit, Zuverlässigkeit und Pflichtbewusstsein.
Es gibt viele Eigenschaften, die alteingesessene, bayerische Brauhäuser vereinen. Werte, die von Generation zu Generation weitervermittelt werden. Bei der Regensburger Spitalbrauerei läuft der Austausch zwischen den Generationen allerdings etwas anders ab. Andersherum, sozusagen. Die Jungen geben nämlich etwas an die Alten. Wird hier schon immer so gemacht. Nur dass dabei ein ziemlich unkonventionelles Bier eine Rolle spielt, das ist neu. Und freut ganz Regensburg. Und zu verdanken ist es dem durchsetzungsstarken Anton Miller und seiner Liebe zu riesigen Mengen Hopfen.
Es ist gut was los heute. Zwei ältere Gäste genießen den sonnigen Nachmittag auf einer Terrasse und folgen dem Treiben im Biergarten zu ihren Füßen. Es ist Vatertag und die Kapelle spielt groß auf. Typisch Bayerisches. Ein Prosit und so. Die Männer unten im Biergarten grölen, lachen und trinken ihr Helles. Warum die zwei Senioren da oben so interessiert zu uns herunterblicken, das muss Anton Miller erstmal erklären. „Wir haben eine extra Loge für die Bewohner“, sagt er.
Logie und Freibier für Brauerei-Obermieter
Ja, Bewohner. Bewohner einer Brauerei. Als Braumeister der Spitalbrauerei hat Anton Miller ganz besondere Obermieter, die davon profitieren, dass sich die Menschen da unten betrinken. Es möge nützen – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn das Gel, das unten im Biergarten ausgegeben wird, kommt den Senioren des Altenwohnheims darüber direkt zu Gute. Der Bischof und die Bürger von Regensburg machten dazu schon 1220 gemeinsame Sache. Sie gründeten das St. Katharinenspital. Ein Altenheim, das Senioren bis heute bezahlbaren Wohnraum bietet. Und beim Stichwort bezahlbar kommt eben die Brauerei ins Spiel: Als Stiftungsbrauerei hat sie die Aufgabe, mit ihrem Umsatz für den Erhalt des Heims zu sorgen. „Natürlich werden sie auch mit Bier versorgt“, betont Miller.
Es spricht für eine große Verantwortung des noch sehr jungen Braumeisters, wenn hier Bier gebraut wird, um das Altenheim zu finanzieren. Dabei bleibt aber wohl dennoch der Spaß am Brauen nie auf der Strecke. „Profitmaximierung ist nicht unser oberstes Ziel“, betont Miller. Trifft so grob auch auf die ursprüngliche Craft Beer Philosophie zu. Dachte sich auch der junge Braumeister, Tradition hin oder her. Da musste doch also auch in Sachen Dryhopping und Double Imperial whatsoever etwas gehen, im Untergeschoss des Altersheimes – oder nicht?
Ausgelernt hat man nie
Das mit dem Craft Beer entdeckte Miller schon vor seiner Zeit beim Spital für sich. Auf einer 14-tägigen Reise durch die USA machte er 2010 auch einen Abstecher nach Chicago. Das Bier dort blieb bei ihm hängen. So kreativ, frisch, unkonventionell. Die Brewpubs der Stadt, das Flair – das alles faszinierte den jungen Brauer. Für einen, der aus einer Brauer- und Wirtefamilie kommt, nach seiner abgeschlossenen Lehre bei der Klosterbrauerei Weltenburg anheuerte und dort die bayerische Brautradition aufgesaugt hat, ein prägendes Erlebnis. Eins das ihn nicht mehr loslässt. 2012 zieht es ihn dann aber erst einmal mitten hinein in die Regensburger Gemütlichkeit und er wird Chef des Sudhauses in der Spitalbrauerei.
Als Braumeister hat er hier quasi das Sagen. Wären da nicht die traditionsbewussten Brauerkollegen, die allzu kreativen Bierideen des jungen Meisters erstmal ein wenig skeptisch gegenüber stehen. Macht aber nix. „Ich habe in meiner eigenen Hausbrauerei drei Hektoliter IPA gebraut und die unseren Hotelgästen zum Verkosten angeboten.“ Und siehe da, Zeichen und Wunder: „Den Leuten hat’s super geschmeckt“, erinnert sich Miller. Sein Chef wiederum, der Spitalmeister Willibald Koller, findet’s auch gut, den hat er damit auf seiner Seite.
Spitalbrauerei Stammkundschaft: „Nach nem IPA reicht es denen auch schon“
Den Bierzelttest allerdings besteht das IPA nicht. „Gewöhnungsbedürftig“ ist noch das beste, was den Besuchern des großen Regensburger Volksfest, der Dult, dazu einfällt. Die Spitalbrauerei versorgt nun mal auch dort die Massen mit Bier und die wollen eben ihre Mass Helles. Basta. Bittere Ales passen da nicht rein. Damals nicht, 2012/13 so. (Mittlerweile, alle Achtung, gibt es auf der Dult allerdings ein eigenes Craft Beer Zelt.)
„Am Anfang waren wir hier in Regensburg halt die Vorreiter und wurden belächelt“, sagt Miller. Und dann mussten sie ja auch noch einen ziemlichen Spagat machen: „Wie spannt man den Bogen von der ältesten Stiftungsbrauerei hin zu Craft Beer?“ habe er sich immer und immer wieder gefragt. „Und doch wir haben auf das richtige Pferd gesetzt“. 2013 bekam dieses Pferd einen eigenen Stall. Seitdem braut Miller in der Manufaktur-Linie der Brauerei neben Pale Ale und IPA ein würziges Chocolate Stout und seit diesem Sommer auch ein leichtes, fruchtiges Summer Ale.
Die Marschroute ist klar. Jedes Jahr ein neues Bier. Spontan immer dollere Sude zu machen – das passt hier nicht rein. An der Steinernen Brücke mitten in Regensburg, den Blick auf den Dom, die Donau als ständigen Begleiter. Die Uhren ticken hier etwas langsamer. Ein Bier, das in Berlin als Avantgarde gefeiert wird, verstört hier nur. Das passt nicht zum Spital, ist dem kreativen Braumeister freilich auch völlig klar. Anton denkt bei seinen Bierideen deshalb stets in kleinen Schritten. „Zukünftig möchten wir auch untergärige Biere hopfenstopfen“, sagt er mit Blick auf seine Stammtrinker. „Nach einem IPA reicht es denen es auch schon vom Hopfen her.“ Das ist seine Beobachtung. „Mir persönlich nicht“, sagt er schmunzelnd.
„Die Lehrlinge fragen mir Löcher in den Bauch!“ sagt der Braumeister der Spitalbrauerei
Mit geduldiger Beständigkeit kommt Anton Miller genau da an, wo er hin will, da, wo Tradition und Zeitgeist sich miteinander verschmelzen, wo die Idee von Craft Beer in einer Jahrhunderte alten Brauerei ankommt. So richtig ankommt. Seine Mitarbeiter fragen jetzt ganz interessiert nach, bringen sich selber mit neuen Ideen ein. Lassen die Tradition mal Tradition sein. „Da gibt es doch so einen neuseeländischen Hopfen“, sowas hört Miller mittlerweile von seinen Kollegen. „Vor allem die Lehrlinge fragen mir Löcher in den Bauch“, sagt Miller. Auch sie sehen keinen Widerspruch darin, die neuen Sorten parallel zum klassischen Hellen und Weizen zu brauen. Handwerklich und im kleinen Maßstab wird hier schon seit Jahrhunderten gearbeitet. Ein paar neue Sorten ändern daran auch erstmal nichts.
Miller sieht seine Brauerei dennoch in einer Ausnahmerolle. Klar, so eine typische Craft Brewery sind sie sicherlich nicht. Schließlich ist und bleibt es Hauptaufgabe der Spitalbrauerei, Bier zu brauen, um ein Altenheim zu erhalten. Aber: „Bei Craft Bier muss ein Braumeister dahinter stehen. Bier braucht Gesicht und Heimat.“ Diese Kriterien zumindest wären in der alten Traditionsbrauerei durchaus erfüllt.
Abheben tut hier keiner, nur weil man charakterstarkes Bier braut. Und für eine ordentliche Portion Heimatverbundenheit ist in Miller Sudkesseln auch noch Platz. Der Hopfen muss schon auch aus Bayern kommen. Aus der Nachbarschaft genau genommen. „Wir verwenden nur Hallertauer Hopfen“. Hüll Melon und Mandarina Bavaria, das sind seine Favourites, wenn es um seine hopfenintensive Biere geht. Apropos Hopfen. Egal wie viel er davon in sein Bier haut und auch wenn in seinem Sudhaus seit dem letzten Jahr eine opulente Hopgun steht, die Drinkability muss stimmen. „Sonst kriegen wir unser Publikum nicht zum Craft Beer“. Ein Publikum dass immer neugieriger wird, das wissen will was alles drin steckt im Bier und wer eigentlich dahinter steht. Wie hat der Anton das Formuliert? „Bier braucht Gesicht“. Ein Gesicht dem auch die zwei Senioren auf der Ehrenloge vertrauen können. Ein Gesicht, auf das Verlass ist.