„Wir machen gutes Bier – viele Sorten.“ Für Seba ist damit das Wichtigste gesagt. Es ist Mittagspause in Marzahn. Seba und einer seiner Mitarbeiter essen schnell etwas, bevor es weitergeht bei Straßenbräu im Osten von Berlin. Viel Pause geht gerade nicht. Die Auftragslage ist gut, die Brauerei schöpft die Kapazität ihrer 10-Hektoliter-Anlage voll aus, sagt Timo. Je nach Bierstil werden 30 bis 40 Hektoliter pro Woche gebraut.

Timo ist hier der Chef. Wenn das Unternehmen, das er vor 9 Jahren gegründet hat, seinen Geschäftsführer auf seiner Internetseite beschreibt, klingt das so: „Timo ist ständig voller neuer Ideen für das Straßenbräu. Er liebt neue Herausforderungen und beweist dabei immer wieder Nerven aus Drahtseil. Timo wollte schon immer eine Bar ganz nach seinen Wünschen designen und betreiben. Sein Traum war es, einen Ort zu erschaffen, an dem Menschen gerne Zeit verbringen, wo sie sich mit Freunden treffen und richtig gutes Bier genießen können. Natürlich sollte dieses aus der eigenen Brauerei stammen. Der Gründer vom Straßenbräu kannte das Potential des Craft-Biers aus Australien und den USA. Berlin, die Stadt der Kreativen und der unbegrenzten Möglichkeiten war der perfekte Standort für eine junge Brauerei. Also kündigte er seinen Job in der Finanzbranche und eröffnete im November 2015 das Straßenbräu.“

Gebraut wurde damals nicht in Marzahn, sondern rund 5 Kilometer westlich in Friedrichshain. Dort, in der Neuen Bahnhofstraße, wo auch heute noch der Straßenbräu-Brewpub ist. Als es dort zu eng wurde für das wachsende Unternehmen, mietete Timo Anfang 2020 die alten Gebäude, in der zuvor die Bierfabrik gebraut hatte. Klingt nach einem einfachen Start, wenn eine Brauerei eine Brauerei übernimmt – war es aber nicht, sagt Timo. „Einen Teil des Equipment von denen haben wir noch, aber wir haben im Prinzip alles renoviert“, erklärt er. Und dafür hatte das Straßenbräu-Team dann auch viel Zeit. Wenige Wochen nach Übernahme der neuen Brauerei kam der erste Corona-Lockdown.

Gerade hat Timo noch ein Nebengebäude gemietet. Dort soll ein zweiter Brewpub entstehen. Das kleine Brauereiareal eignet sich dann auch als Ort für kleine Feste. Beides soll den „teuren Produktionsstandort“, wie Timo sagt, rentabler machen. Das Problem sei: „Wir laufen auf Vollauslastung. Wir verdienen dennoch nicht viel Geld, weil wir nicht so viel für unser Bier verlangen können, wie wir müssten.“ Deshalb soll ein weiterer Tank helfen, die Produktionsmenge zu erhöhen. Außerdem sei man dabei zu „schauen, dass wir mehr lokale Kunden gewinnen und Lieferungen noch effizienter gestalten“, erklärt Timo die Richtung.
Zurzeit liefert Straßenbräu ausschließlich im Fass aus – innerhalb Berlins, aber auch relevante Mengen nach Aachen, Düsseldorf, Köln und Hamburg. Länger als zwei Wochen stehe kein Fass zwischen Abfüllung und Auslieferung im Lager. Rund 10 Wochen dauert es bei den Lagerbieren vom Brauen bis zum Abfüllen. Die obergärigen Biere sind schneller fertig. Fürs Brauen ist Seba zuständig.

Ihn beschreibt sein Team so: Der belgische Italo-Schweizer rührt die Braupaddel für das Straßenbräu seit der Gründung im Jahr 2015. Seba ist der kreative Kopf, der alle Biere entwickelt und auch braut. Er arbeitet gerne mit allem, was die Natur zu bieten hat. Unser Braumeister steuert das Straßenbräu durch einen stetigen Entwicklungsprozess: probieren, verfeinern, weiterentwickeln. Sein oberstes Ziel: Harmonie im Bier erreichen, durch die Ausgewogenheit aller Zutaten. Seba schätzt Bier als sich immer wieder neu-definierende Zusammenkunft von Wissenschaft, Handwerk und Geschmack. Für ihn ist es ein Medium, das Menschen zusammenbringt und dabei scheinbar unerschöpfliche Vielfalt bietet. Eben ein Kulturgut, welches mit Freude und Respekt genossen werden sollte und zu welchem eine nie langweilig werdende Beziehung aufgebaut wird.“
Das gemeinsame Ziel sei: „Straßenbräu als exklusiven Qualitätsführer mit variantenreichen Bieren in Berlin zu etablieren“, sagt Timo. Das scheint ganz gut zu gelingen. In einigen Berliner Bierkneipen ist mehr als ein Straßenbräu-Bier am Hahn. In Hamburg auch. Insbesondere für seinen Pub in der Hansestadt kauft Brewdog nämlich regelmäßig größere Mengen Straßenbräu – „vor allem die klassischen Lagerbiere, also Pils und Helles“, sagt Timo. Wobei Brewdog auch „exotisches Pils“ nachfrage, um „Pilsvariationen anbieten zu können“.

An diesen Bieren ist nun auch ein neuer niederländischer Kunde interessiert. In Craft-Beer-Pubs seien diese Sorten aus Deutschland besonders beliebt. Weil die Kapazitäten für die Lagerbiere gebraucht werden, werde die Vielfalt im Straßenbräu-Sortiment gerade etwas kleiner. Natürlich wird weiter holzfassgelagerte Berliner Weiße, Pale Ale, IPA und das ein oder andere ungewöhnliche Bier angeboten. Aber Timo hat festgestellt: „Die Leute gehen zu den vertrauten Sachen zurück und sind nicht mehr so experimentierfreudig – zumindest in Deutschland.“
Dass Pils und Helles die nachgefragtesten Bierstile sind, ist für Straßenbräu nicht nur schade, weil dadurch die Biervielfalt leidet. Es ist auch ein finanzielles Problem. Man könne Pils und Helles nicht günstiger produzieren als etwa Pale Ale, aber auf dem Biermarkt könne man diese Lagebiere nicht zum selben angemessenen Preis verkaufen wie die spannenderen Obergärigen. Dass die Nachfrage nach kreativeren Bieren zurückgeht, vermutet Timo, könnte auch daran liegen, dass in manchen Bier-Bars nach Corona „viele alte IPAs“ und andere besondere Biere gezapft und ausgeschenkt wurden, weil die den Wirten zu teuer zum Entsorgen waren. Das sei sicher keine Werbung für Kreativbiere gewesen.

Auf den Festivals im Ausland sei das mit dem Interesse an Ungewöhnlichem und Neuem anders. Und was Timo gerade selbst erstaunt: Im Straßenbräu-Brewpub ist „Sonnenallee“, also ein Pale Ale, gerade die meistverkaufte Sorte. „Vielleicht liegt das an den Fußball-Touristen“, spekuliert er. Mit nach Hause nehmen können die Touristen das Berliner Straßenbräu zurzeit nicht. Eine Weile hat man in Marzahn mit einer mobilen Anlage in Dosen abgefüllt. Die Anlage gibt es nicht mehr und es sei auch keine andere verfügbar, erklärt Timo. Und sehr traurig ist er darüber nicht.
Wenn abgefüllt wurde, habe das den Braubetrieb unterbrochen. Außerdem brauche man keine Abfüllung in Dosen oder Flaschen, weil man ja eh kaum nachkomme mit dem Brauen für die Fassabfüllung. „Der Fassverkauf läuft gut. Da muss ich mich um die Dose nicht kümmern“, sagt Timo. Zumal die Dose leider in einem Großteil der Gastronomie nach wie vor verpönt ist. Aber das ist eine andere Geschichte.
(Fotos: Martin Rolshausen)
(13. Juli 2024)