Der Belgier - so nennt sich die Marke, die der Belgier Raf Toté in Wien etabliert hat. Foto: Martin Rolshausen

Wie aus Liebe und Mut Bier wird

Martin Rolshausen

„Liebe wird aus Mut gemacht“, heißt es. Manchmal wächst Mut aber auch aus Liebe. Anders ist es nicht zu erklären, dass der Belgier Raf Toté sich in Wien getraut hat, belgische Biere zu brauen und damit erfolgreich ist.

Raf Toté braut sein Bier bei „100 Blumen“ in einer ehemaligen Klavierfabrik. Foto: Rolshausen

Es ist der letzte Freitag im Januar. Vor einer ehemaligen Klavierfabrik im Südwesten von Wien liegt Schnee. In dem alten Backsteingebäude sitzen etwa 30 Menschen auf einfachen Bänken an einfachen Tischen vor Gär- und Lagertanks. Einige haben von zuhause Aufstriche und Brot mitgebracht. Andere holen sich an der Theke zum Bier auch von dem Leberkäse, der in einer Glasbox verführerisch glänzt. Zwei Kinder spielen mit zwei Erwachsenen Tischfußball. Im Schein des gelblichen Lichts draußen tanzen ein paar Schneeflocken. Und die Geschichte von Raf Toté ist beim Pils angekommen.


Er wolle versuchen, „im Volumenmarkt anzukommen“, sagt der Mann mit dem dichten dunklen Haar und den blauen Augen. Pils, das ist sein Kalkül, ist ein Bier, das er auch in Fässern verkaufen kann. Bisher verkauft Raf sein Bier vor allem in Flaschen. Flaschenbier bringe aber zu wenig Gewinn, um als Brauer wirklich erfolgreich sein zu können. 40 Cent müsse er pro Flasche fürs Glas und das Etikett ausgeben, rechnet Raf vor. Also ein Pils. Wobei: „Ein Belgier braut nicht nach Stil, er braut nach Geschmack. Blond oder Saison – es geht alles durcheinander, ein Saison schmeckt da auch schonmal wie ein Wiener Lager“, erklärt Raf.


Raf Toté ist Belgier. Und er selbst erzählt die Geschichte, die ihn in die Brauereie in der ehemaligen Klavierfabrik geführt hat, so: „Es begann im Jahr 2009, als sich ein Belgier verliebte! Er verliebte sich mehrfach: in seine künftige Frau, in die Stadt Wien und in die Schönheit Österreichs. Sein Hobby entwickelte sich schnell zu einer raumgreifenden Passion. Raf experimentierte, ließ sich zum Biersommelier ausbilden und führte unzählige Gespräche mit Brauern. 2015 war es soweit: Raf kündigte seinen Job und machte sich auf zu neuen Ufern. ,Der Belgier‘ war geboren.“


„Der Belgier“ ist die Marke unter der Raf sein Bier verkauft. Das ist nicht ganz einfach. Denn: „Bier brauen ist nicht so schwierig, Bier verkaufen ist schwierig“, sagt er. Bereut hat er seine Entscheidung, einen sicheren Job aufzugeben und sich in eine unsichere Branche zu begeben, dennoch nicht. Raf war 12 Jahre lang bei Microsoft, „ein internationaler Job“, wie er erklärt. Er hat seine heutige Frau kennengelernt, ist nach Wien gezogen, war gleich begeistert von der Stadt, die er als so viel lebenswerter empfindet als Brüssel. Dumm war nur, dass er von der Stadt wenig erlebte, weil er vor allem zwischen seiner Wohnung und Schwechat unterwegs war. Schwechat ist ein Ort vor den Stadtgrenzen Wiens, dort ist der Flughafen.

„Dann habe ich den Stecker gezogen“, sagt Raf. „Erst hatte ich keine Ahnung, was ich machen sollte. Aber dann war klar: Ich will Bier brauen“, erinnert er sich. Er hat sich ein sogenanntes Braukit gekauft. „Das war wie Fertigpizza machen“, sagt er – also langweilig. Also hat er in Wien etwas getan, worauf er zuhause nie gekommen wäre: Er hat sich bewusst mit der belgischen Bierkultur auseinandergesetzt.


Dazu musste er offenbar erst raus aus Belgien, denn „die Belgier wachsen im Bierhimmel auf, sie wissen es nur nicht, dieses wundervolle Bier ist dort Normalität“, erzählt Raf. Durch seine Ausbildung zum Biersommelier ist er Teil eines Wiener Netzwerks geworden, zu dem auch Birgit Rieber und Sepp Wejwar gehören. Die beiden bilden BeerKeeper aus, beraten und schulen über Wien und Österreich hinaus Menschen, die im Bier-Business unterwegs sind. Die Begegnung mit Birgit und Sepp sei für ihn sehr wichtig gewesen, sagt Raf. Ein echter Belgier, der in Österreich belgisches Bier braut? „Die haben mir gesagt: ,Das Konzept, das Du umsetzen willst, gibt es noch nicht, aber es ist trotzdem mutig.‘“


Raf hat sich entschieden, mutig zu sein. „Ich wollte etwas machen, das Spaß macht“, sagt er. Und so hat er angefangen, mit 400 Litern pro Braugang, sein Bier von Hand in Flaschen abzufüllen. „Ich habe jede Flasche achtmal in der Hand gehabt, bevor sie jemand getrunken hat“, erinnert er sich. Es war mühsam, „aber es war wunderbar nach 12 Jahren im Büro“, schwärmt er heute noch. Dass ihm das Bier vor Begeisterung aus den Händen gerissen wurde, kann er aber nicht sagen. Ja, „belgisch“ ist beim Bier „ein Qualitätslabel“, erklärt er. „Und die Österreicher vertrauen allem, was in Österreich gemacht wird.“ Aber der Biermarkt ist in Österreich ähnlich wie in Deutschland sehr eng.


Doch dann hat sich das Steirer Eck entschieden, Rafs Saison auf die Karte zu nehmen. Das Steirer Eck ist nicht irgendeine Gastronomie. Das Edelrestaurant im Wiener Stadtpark, in dem die Kellner weiße Handschuhe tragen, ist eine der angesagtesten Adressen in Österreich. „Das hat Türen geöffnet, denn das Steirer Eck kennt jeder“, erzählt Raf. Angefangen hat er dort mit einer 0,75-Liter-Bügelflasche. „Dann wurde ich gefragt, ob ich für die ein eigenes Bier braue. Da war mir klar: Jetzt bin ich angekommen.“ Wobei er davon abgeraten hat, auf die Speisekarte zu schreiben, dass er dieses Bier mit „edlen Gewürzen“ braut. „Wenn die Leute Kardamom lesen, dann bestellen sie das Bier nicht“, war seine Befürchtung. Das Steirer Eck ist bis heute sein größter Kunde. „Mein Double ist seit einem Jahr in jeder Menü-Begleitung drin“, sagt Raf – in einer Menü-Begleitung, die ansonsten nur aus Wein besteht, wohlgemerkt.

Bierliebhaber können beim Belgier auch Tastings buchen. Foto: Martin Rolshausen


Aus einem Gespräch mit dem aus den Niederlanden stammenden Haubenkoch (in Österreich so etwas wie ein Sterne-Koch) Daan de Val ist ein weiteres Bier entstanden. „Ein wiederentdecktes altes Rezept seines Urgroßvaters wurde in einem Wit-Bier gemeinsam zu neuem Leben erweckt. Wenn ein Holländer und ein Belgier sich zusammen aufs Parkett wagen, entsteht ein leichtfüßiger Tanz der Sinne“, sagt Raf und lacht.


Seine Brauanlage wurde nach diesem ersten Erfolg jedenfalls zu klein. Also hat er sich bei „100 Blumen“ eingemietet, einer kleinen Brauerei, die sich wie er dem besonderen, aber dennoch gut trinkbaren Bier verschrieben hat. 300 Hektoliter im Jahr braut er dort jetzt. „Bier sollte nicht zu Tode gefiltert werden, und bei den Zutaten darf nicht gespart werden“ – das verbinde ihn mit den „100 Blumen“-Leuten. In der ehemaligen Klavierfabrik braut Raf neben dem Saison und dem Wit auch ein Belgian Pale Ale mit Aromahopfen und belgischer Hefe, ein Dubbel mit Honig, dass es auch in einer fassgelagerten Version gibt – und natürlich ein Blond, für das er Chimay-Hefe verwendet.


Er habe viel gelernt auf dieser Reise, die mit dem Verlassen der belgischen Heimat begonnen hat, sagt Raf. Zum Beispiel sei sein Respekt vor den Winzern gewachsen. „Die haben nur einmal im Jahr einen kurzen Moment, in dem es um alles geht und sich entscheidet, ob ihr Wein gut wird. Wenn ich einen Fehler mache, muss ich zwar den Sud vernichten, aber ich kann direkt neu anfangen und muss nicht ein Jahr bis zur nächsten Ernte warten“, erklärt er diesen Respekt. Aber er hat auch gelernt, dass man manchmal das Besondere nicht sieht, weil es selbstverständlich scheint. Und dass man seinem Herz folgen und dieses Herz auch mal mutig in die Hand nehmen sollte.

Es ist ein Samstag im April. Regen prasselt auf das Dach der Marx-Halle. Drinnen drängen sich Bierliebhaberinnen und Bierliebhaber an den Ständen des Wiener Craft-Bier-Fests. Raf Toté verkostet mit Gästen seine Biere. Er ist beim Pils angekommen. Und alle sind sich einige: Es zu brauen, war eine gute Entscheidung.

(29. April 2023)

Auf einen Blick

Der Belgier Brewing KG
Telefon: +43 660 823 07 03
office(at)derbelgier.at

derbelgier.at

Die Brauerei findest Du hier:

100 Blumen Brauerei
Endresstraße 18
1230 Wien
Zufahrt über den Kurt-Peters-Weg oder S-Bahn Station Atzgersdorf

Ausschank in der 100 Blumen Brauerei:

Donnerstag bis Samstag, 16:00 – 22:00 Uhr