Brauprojekt 777

BRAUPROJEKT 777: Die Vier aus dem Mofaclub

Jan QuastenIm Portrait

Craft Beer ist nicht irgendwie nur so ein Berlin-Ding: Auch in Spellen am Niederrhein brauen vier Männer mit mehr Hopfen und Liebe bessere Biere. Zwei von ihnen können mittlerweile schon davon leben. Das Brauprojekt 777 ist die erste Craft Beer Brauerei der Gegend 

Klare Ansagen sind eine feine Sache. Klar Ansagen vereinfachen diese meistens viel zu komplizierte Welt. Und das ist eine klar Ansage, und noch dazu eine erfreuliche: „Hier Bier“. Das verspricht der Aufsteller auf dem Bürgersteig in einem Wohngebiet in der Friedrich-Wilhelm-Straße 48 in Voerde. Genauer gesagt in Spellen, dem ältesten Ortsteil der Stadt Voerde am Niederrhein im Kreis Wesel im Land Nordrhein-Westfalen. Spellen hat um die 4100 Einwohner, eine baudenkmalig bemerkenswerte katholische Kirche namens St. Peter und einen Mofaclub, „Die Kobras“.

Brauprojekt 777

Spricht für sich. (Foto: Jan Quasten)

In der letzten Zeit ist es ein bisschen ruhig geworden um „Die Kobras“. Das liegt daran, dass ein Teil der Spellener Bikergang neuerdings mit anderen Dingen beschäftigt ist als damit, ihre Mopeds zu frisieren. Die Kobras brauen jetzt Bier. Ausgesprochen gutes Bier.

Eigentlich wollten sie nur für den Mofaclub ein bisschen brauen. Haben ganz stümperhaft angefangen in einer alten 30-Liter-Milchkanne über offenem Feuer zu brennen. Wurden dann immer professioneller, haben sich nach und nach ein Sudhaus zusammengetüftelt, in der ehemaligen Schlosserei eines der Kobra-Mitglieder. Wollten vor drei Jahren nur mal ihr Bierlager leerbekommen und haben einen Werksverkauf veranstaltet. Als ihnen innerhalb von Stunden das ganze Bier aus den Händen gerissen war, beschlossen die vier Freunde aus Spellen, Arne Hedschke, Torsten Mömken, Tim Schade und Christian Preuwe die Mofas Mofas sein zu lassen und stattdessen das mit dem Bierbrauen ernsthaft zu verfolgen. Sie gründeten 2012 das „Brauprojekt 777“, die erste und einzige Craft Beer Brauerei in Spellen – einem Ort, der im Jahr 777 erstmals urkundlich erwähnt wurde. Deshalb.

Brauprojekt 777

Versprechen mit Herz. (Foto: Jan Quasten)

Heimat, Tradition, Geschichte

Ein Frühsommersamstag in Spellen. Hier ist die Welt noch in Ordnung. Und verdammt ruhig. (Vielleicht heißt es ja nicht umsonst: In der Ruhe liegt die Craft.) Außer in der Garage hinter dem „Hier Bier“-Schild. Da ist was los. Denn da ist heute wieder Werksverkauf. Und das gute Spellner Craft Beer ist ansonsten schwer bis kaum zu haben.

Brauprojekt 777

In der Brau- und Verkaufsgarage, die auch mal der Stammsitz der Kobras war. Bisschen was von denen ist noch da. (Foto: Jan Quasten)

Der kleine Verkaufsraum ist ausgestattet mit einer Theke, TV und jeder Menge Braukompetenz in Form der hauseigenen Brauanlage. Hier kann man Bier einkaufen, verkosten und sich von den Machern erklären lassen. Das tun die besonders gern: „Es geht gar nicht darum, zwanghaft gegen das deutsche Reinheitsgebot zu verstoßen. Wir wollen den Leuten einfach zeigen, dass auch deutsche Biersorten jenseits von Pils und Weizen interessant und lecker sein können. Märzen, Bock, Alt, alles wunderbare Biere, die aber nur die wenigsten kennen, geschweige denn trinken“, sagt Torsten Mömken. „Naja, wir wollen die Leute schon irgendwie umerziehen“, fügt Mitarbeiter Ben grinsend hinzu, der neben ihm an der Bar steht. „Es ist ja so: Wenn in einer Kneipe von zehn Leuten einer mit Alt anstatt Pils anstößt, wird der doch direkt schief angeguckt“. Hat er wohl Recht. Zumindest außerhalb von Düsseldorf.

„Lieber sind mir zehn Kunden, die sagen, dass ihnen das Bier nicht schmeckt, als ein Kunde, der sagt, das Bier schmeckt genau wie XY“, fährt Torsten fort, der seinen alten Job als Maschinenbau-Techniker mittlerweile gekündigt hat und genau wie Braumeister Arne nur noch für das Brauprojekt arbeitet. Macht ja auch Sinn, meint Tim, von Beruf Grafikdesigner – der Mann, der für die ganzen handgemachten Labels der Flaschen verantwortlich ist. Pilsss, Red Ale, IPA, Single Hop (eins mit Comet und eins mit Simcoe) und jeder Menge saisonalen Bieren wie dem Winterbier mit dem handgeernteten Biohopfen aus Fahrradnähe der Brauerei, dem Maibock, dem Märzen, Christmas-Ale und dem Honig Bier verpasst er seinen Design-Stempel. „Allein für das Brauen und Abfüllen braucht man ja schon dauerhaft zwei Leute vor Ort“, erklärt er. Klingt logisch. Wobei: Beim Abfüllen müssen sie schon alle immer mit ran, auch Christian, der gelernte Krankenpfleger und Sozialwissenschaftler.

Brauprojekt 777

Hat letztes Jahr in Berlin eine Medaille gewonnen: Das Triple7 IPA des Brauprojekt 777 (Foto: Jan Quasten)

Brauprojekt 777: Mittlerweile preisgekrönt

Und trotzdem können die Mofa-Rocker der Nachfrage kaum hinterherbrauen. Mittlerweile produzieren sie 4000 Liter pro Monat, ungefähr 60 Hektoliter pro Jahr. Verkaufen könnten sie ein Vielfaches. Nicht erst seit das „Triple 7″ bei den Global Craft Beer Awards 2014 während des Craft Beer Festivals in Berlin die Silber-Medaille in der Kategorie „Imperial Pale Ale“ abgeräumt hat, sind die Biere in der Craft Beer Community begehrt. Das zeigte auch der Besucherandrang beim Festival der Bierkulturen in Köln. Neben Craft-Kollegen wie Heidenpeters aus Berlin oder Ale-Mania aus Bonn brummt auch der Stand der Spellner. Weil gutes Craft Beer eben nicht unbedingt aus den schicken Großstädten kommen muss. Sondern gern auch aus Spellen am Niederrhein, Heimat der Mofa-Kobras.

Brauprojekt 777

Aufruf, Bierkästen zu verschönern. (Foto: Jan Quasten)

Eine ganz besondere Geschichte sind auch die hölzernen Pfandkästen, in denen das seltene „Brauprojekt 777“ beim Werksverkauf über den Tresen geht: Jeder Käufer ist herzlich eingeladen, seinen Kasten (solide Holzkästen, die in der Behinderten-Werkstatt Lebenshilfe Dinslaken gebaut werden) ein bisschen zu verschönern bevor er ihn zurückbringt.  Egal, ob Angelausflug, Segeltörn oder Männerabend mit Chips, Glimmstängeln und Spielkarten, das Motto des Tages soll künstlerisch für die Nachwelt (und den nächsten Bier-Käufer) festgehalten und die  Kästen bunt bemalt, beklebt und beschriftet werden. „Vom Prinzip her kann man sich das wie bei diesen Bücher-Aktionen vorstellen. Literatur, die irgendwo in der Stadt an diversen Orten herum liegt, mitgenommen, gelesen und anschließend an andere Stelle wieder platziert und vom nächsten Leser benutzt wird“, erläutert Tim. Nur das so ein individuell gestalteter Kasten eben seine ganz eigene Geschichte zu erzählen hat. Es gibt mittlerweile schon so einige Kästen, die die Brauerei wohl nicht mehr verlassen werden, sagt Torsten. Die sind einfach zu gut, zu schön, zu witzig bemalt. Die besten Stücke gibt es auf Facebook zu sehen. Vielleicht machen sie ja auch mal eine Kasten-Ausstellung, so die Brauprojektler. „Kunst hier“ schreiben die dann draußen auf die Tafel. Klingt fast so gut wie die klare Ansage „Bier hier“. Aber eben halt nur fast.

Brauprojekt 777

Ein besonders hübsch gestaltetes Exemplar mit dem Motto Skat-Abend. (Foto: Jan Quasten)