LIEBESERKLÄRUNG: Aus der Bierhauptstadt Berlin

Peter Eichhorn

Eine Ode an die Spreemetropole bei der aktuellen Revolution im Brauwesen des Landes

„Du bist verrück mein Kind, du musst nach Berlin. Wo die Verrückten sind, da gehörst du hin!“ so inspirierte der Operettenkomponist Franz von Suppé am Ende des 19. Jahrhunderts die Sehnsucht nach der pulsierenden Metropole.
Damals war auch der Bierdurst der Hauptstädter immens. Eine dreistellige Anzahl von Braustätten ist beurkundet und den größten Biergarten des Landes betrieb die Bötzow Brauerei im Prenzlauer Berg. Die Eckkneipe bildete den Wohnzimmerersatz, Molle und Korn lautete die typische Bestellung und in eine Berliner Weisse kam ein ordentlicher Kümmelschnaps, kein lächerlicher Sirup.

Hundert Jahre später entpuppt Berlin sich als idealer Ort für Bierverrückte, die nach Jahren des Brauereisterbens und der Reduzierung jeglicher Biervielfalt endlich frischen Wind erleben dürfen. Ein Wind, der ziemlich kräftig und erfrischend weht. Crazy.
Neulich in Berlin-Friedrichshain: Ein kleines Nebenzimmer des Michelberger Hotels platzt an zwei Abenden aus allen Nähten, weil dort Santas Little Helper, Brunch Weasel und der American Dream Einzug halten. Biere der dänischen Kult-Brauerei Mikkeller sind im Ausschank und die Beer-Community sorgt dafür, dass die Zapfhähne glühen. Neulich in Berlin-Prenzlauer Berg: Im belgischen Bier Pub „Herman“ präsentieren drei Brauereien aus der Hauptstadt ihre Inspiration eines Braustils aus Belgien. Der Beitrag der Vagabund-Brauerei ist nach kurzer Zeit leer getrunken. Neulich in Berlin-Moabit: Im Berlin Beer Shop findet wieder einmal eine anspruchsvolle Bier Raritäten Verkostung statt. Dicht um den Probiertresen gedrängt, erleben die Gäste eine gewohnt köstliche und ausverkaufte Veranstaltung.

Man spricht von Craft Beer in Berlin, nicht Craft Bier

Was haben die Veranstaltungen gemeinsam? Es wird sehr viel Englisch gesprochen. Berlin hat den großen Vorteil, dass Leute aus allen Ecken der Welt die Stadt bevölkern. Genießer, die bereits Erfahrung haben mit dem Phänomen Craft Beer, denen es nicht komplett neu erklärt werden muss und die es zu schätzen wissen. Es gibt eine Gruppierung die hilft dabei, die teilweise skeptischen Einheimischen mit den neuen Gebräuen in Berührung zu bringen. Ihre Offenheit und Kaufkraft ist womöglich ein wichtiger Faktor für die Bier-Start-ups, die in der Hauptstadt derzeit in den Startlöchern stehen. Berlin freut sich auf die nächsten Bierprojekte auf der Skala von Möglich bis Unbedingt: Brooklyn Brewery, Brew Dog Pub, Bar Sinister, neue Restaurants, Bars und Bierläden.
Viele der Projekte stammen aus der Feder von Expats und aus der Welt, die Berlin beobachtet und womöglich einen offenen, kosmopolitischen und zunehmend genussfreudigen Menschenschlag von Zugezogenen und Einheimischen beobachten.

Was engagierte Brauer überall in der Republik, beispielsweise in Bad Rappenau, Bonn, Michelstadt oder Oberelsbach begonnen haben, findet mit Berlin womöglich einen großartigen Ort, um die Kräfte zu bündeln und die Nachricht zu verbreiten, was für ein geniales Genussmittel Bier sein kann. Viel mehr, als nur ein Durstlöscher.

Die internationalen Berliner helfen uns dabei. Egal, ob sie aus USA, Irland, Belgien, Skandinavien oder Brasilien kommen, sie sind den deutschen Biertrinkern meist ein paar Flaschen, ein paar Sude voraus. Sie sind gelassener. Sie nehmen zur Kenntnis, dass viele der Deutschen Craft Biere im Rennen um das hässlichste Etikett hohe Siegchancen hätten. Sie wundern sich, wie wenig Lifestyle-Schwingungen die Brauereien in ihre Kommunikation und ihren Markenauftritt einbinden (womöglich mit Ausnahme der Crew Republic). Sie wissen, ein gutes Pils zu schätzen und ein schlechtes IPA zu verdammen.

Die Deutschen sind dabei zuweilen so borniert. Teile der Craft Beer Szene wirken wie eine rebellische, verbohrte Subkultur, eine Bier-Taliban mit gefletschten Zähnen und dem Kampfschrei: „Alles Pils ist böse“. Und noch wird jedes neue IPA oder Imperial Stout eines einheimischen Brauers bejubelt, unabhängig von dessen Qualität. Sektengleich scharen sich die Jünger, um die weit gereisten Flaschen von Stone Brewing zu verehren oder Pliny the Elder zu huldigen. Dazu murmeln sie das Mantra von David gegen Goliath, Gut gegen Böse. Craft gegen Industrie: „Dieses Bier muss schlecht sein, es stammt ja von einem der Großen. Dieses Bier muss toll sein, es braute schließlich Einer von UNS.“

Wie bemerkte kürzlich ein Bierexperte und Kenner der aktuellen Craft-Szene? „Es war noch nie so preiswert, ein Snob zu sein.“

Mehr Lifestyle, weniger Lederhose

Wann schafft Craft Brewing den Durchbruch in Deutschland? Ein paar Probsude mehr, um den Vorsprung der internationalen Craft Brewer aufzuholen? Ein etwas coolerer Markenauftritt, der einem hervorragenden Produkt zudem eine Ansprechende Aura verleiht? Etwas mehr Respekt vor dem femininen Gaumen? Die Bierwerbung ignoriert seit Jahren die Weiblichkeit als anspruchsvolle Konsumenten und instrumentalisiert die Damen der Schöpfung meist lediglich als das, was Werber als „Tits & Ass“ bezeichnen. Wie unzeitgemäß.

Dazu vielleicht ein bisschen mehr Punk und Lifestyle, etwas weniger Lederhose und Dirndl?
Wenn die Restaurants endlich auf Biervielfalt setzen und ihre Mitarbeiter dahingehend fortbilden, Essen und Bier zu kombinieren und entsprechend zu empfehlen? Ein paar Orten, auch in Berlin, gelingt das immerhin bereits.

Bleiben wir gelassen und freuen uns über die wachsende Biervielfalt. Bleiben wir positiv verrückte Bierliebhaber. Aus Deutschland und der Welt. Um bestes Biertrinken in Berlin müssen wir uns jedenfalls zunächst keine Sorgen machen. Let´s get crazy. Cheers & Prost aus dem Dicken B.

Peter Eichhorn über Craft Beer in Berlin

Der Autor Peter Eichhorn beschäftigt sich mit den schönen Dingen: gutes Essen, Schnaps und vor allem Bier. Über letzteres hat er ein sehr lesenswertes Buch geschrieben. (Foto: privat)

 

Mehr von Peter in seinem Buch „Von Ale bis Zwickel“