Christian Hans Iocca mit seinem "Bayerisch Nizza"

Als der Zahnarzt Bayerisch Nizza braute

Martin RolshausenBier, Im Gespräch, Uncategorized

Von Christian Hans Müller hatte ich noch nie gehört. Bier war für mich dank einiger Touren nach Belgien aber auch damals schon mehr nur als Pils und Weizen. Die Belgier hatten mich neugierig werden lassen. Vielleicht wären mir ohne diese Neugier, die ich aus der Wallonie und aus Flandern mitgebracht hatte, diese Bierflaschen im Schaufenster eines Spirituosenladens in Saarbrücken gar nicht aufgefallen. Zwischen hochpreisigen Whiskys, Rums und Gins standen sie da eher diskret in der Auslage. Auf dem ebenso schlichten wie eleganten Etikett stand: Bayerisch Nizza. Meine Frau und ich sind in den Laden gegangen und haben unser erstes sogenanntes Craft Beer gekauft.

Wie mir ging es offenbar noch anderen. Bayerisch Nizza, das werde ihm immer wieder erzählt, war „das erste der ,neuen‘ Biere, mit dem viele Erstkontakt hatten“, sagt Christian Hans, der seit seiner Hochzeit vor einigen Monaten nicht mehr Müller, sondern Iocca heißt. Dass wir über Bayerisch Nizza gesprochen haben, liegt daran, dass das Flaggschiff-Bier von Christians Hanscraft & Co. in diesen Tagen 10 Jahre alt wird. Dass es für viele eine, wenn nicht gar die „Einstiegsdroge“ in die Welt der besonderen Biere wurde, liegt daran, dass Christian mit seinem Bier elegant auf der großen deutschen Craft-Welle reiten konnte.

Aschaffenburg war zu klein für dieses Bier

Dass ihm das gelungen ist, liegt aus Christians Sicht an drei Dingen: Zum einen war sein Bier bundesweit verfügbar. „Ich hatte sehr früh sehr gute Vertriebsmöglichkeiten mit den richtigen Partnern“, erklärt er. Ein deutschlandweiter Vertrieb war ihm von Anfang an wichtig. Christian hat seine Brauerei in Aschaffenburg, an der fränkisch-hessischen Grenze, aufgebaut. „Jemand, der wie ich aus der Provinz kam, hatte eine ganz andere Situation als die Kollegen im Ballungsraum“, sagt er. Vor Ort hätte er nie so viel Bier verkaufen können, dass sich das gerechnet hätte. Also musste er Wege finden, die Provinz zu überwinden.

Die zweite Sache, die den Erfolg des Bayerisch Nizza begünstigt hat, erklärt sich Christian so: „Es ist keine allzu große Herausforderung.“ Zumindest im Vergleich zu den hochgehopften Bieren, mit denen damals andere Brauer auf den Markt kamen. Das Bayerisch Nizza ist ein Wheat Pale Ale, ein helles, obergäriges, auf Weizenmalzbasis und im Stile eines Pale Ales gebrautes Bier mit 5,2 % Volumen Alkohol. Es wird mit Citra, Summit und Chinook kaltgehopft. Dadurch, beschreibt Christin seine Kreation, bekommt das Bier „eine einzigartige Fruchtigkeit, die unter anderem an Grapefruit, Thymian und Pinie erinnert“.

Rechtsstreit mit dem Bayerischen Brauerbund

Die dritte Sache formuliert Christin so: „Das Bayerisch Nizza hatte eine Geschichte“ – und zwar bevor es überhaupt richtig auf dem Markt war. Dem Bayerischen Brauerbund gefiel nämlich der Name „Bayerisch Nizza Clubbier“ überhaupt nicht. Der Name klinge zu sehr wie „Bayerisches Bier“ – und das ist eine geschützte Herkunftsbezeichnung. Christian gewann den Rechtsstreit. „Bayerisch Nizza“ nennt man den Ort, aus dem das Bier kam: Aschaffenburg. Um Frieden zu schließen, benannte er sein Bier in „Bayerisch Nizza Wheat Pale Ale“ um. „Gerade in der Anfangsphase hat das Ganze einen Schock verursacht. Man investiert viel – und dann das“, erinnert er sich. Aber weil die Geschichte über den Kampf David gegen Goliath – also kleiner Craft-Brewer gegen mächtigen Bayerischen Brauerbund – die Runde machte, war das Bier interessant, bevor es überhaupt bei den Kundinnen und Kunden ankam.

Es gibt einen vierten Grund, den Christian nicht nennt, der aber auch dazu beigetragen hat, dass Bayerisch Nizza und dann auch andere Biere von Hanscraft & Co. (allen voran das  Backbone Splitter IPA) Aufmerksamkeit bekamen: die Geschichte über Christian Hans Müller selbst, die Geschichte vom Zahnarzt, der zum Brauer wurde.

„Das waren damals ganz andere Marktverhältnisse.“

Christian Hans Iocca, Hanscraft & Co.

Es waren gute Zeiten, wenn auch anstrengende für den Newcomer. „Das waren damals ganz andere Marktverhältnisse“, sagt Christian. Die Kreativbrauer-Szene war überschaubar, der Markt für neue Biere schien gewaltig. „Da hat sich jeder gekannt, man hat mit allen am Tisch gesessen. Das war alles freundschaftlich und kollegial“, erinnert er sich. Einige von denen, die vor gut zehn Jahren in Aufbruchstimmung waren, haben inzwischen aufgegeben. Aus dem vermuteten großen Craft-Bier-Markt ist eine Nische geworden, „die nicht so schnell gewachsen ist wie das Angebot“, sagt Christian. Das habe zu „einer gewissen Ellenbogenmentalität“ geführt.

Im vergangenen Jahr hat Christian die eigene Brauerei und das eigene Lokal in Aschaffenburg aufgegeben. Seine Marke führt er ins nächste Jahrzehnt. Christian braut seine Biere im Brauhaus Binkert. Dort wird in Dosen abgefüllt. Die Flaschenabfüllung läuft bei Rittmayer. Der Vertrieb läuft über die Bierothek. Gerade erst vor einigen Tagen war Christian wieder zum Brauen bei Binkert. Ein neues Bier – was im Tank ist, verrät Christian noch nicht. Nur so viel: Es ist eine Verneigung vor dem Bayerisch Nizza. Eine Art Jubiläumssud.

Foto: Leon Struchholz

(4. Oktober 2023)