Brauerei Lemke

BRAUEREI LEMKE: Eisbein statt Yakitori

Nina Anika Klotz

Oliver Lemke eröffnete vor siebzehn Jahren eine Art Craft Beer Brewpub in Berlin-Mitte. Lief nicht besonders. Er machte daraus das eher klassische Brauhaus Lemke. Lief richtig gut. In den Folgejahren baute der Brauingenieur ein ansehnliches Unternehmen mit drei Brau- und vier Gaststätten auf – um dann noch mal Anlauf in Sachen Craft Beer zu nehmen

Brauerei Lemke

Wo alles begann: Oliver Lemke vor seiner Mikrobauanlage am Hackeschen Markt in Berlin-Mitte (Foto: NAK)

 

Yakitori und Craft Beer. Idealerweise in einer ehemaligen Metzgerei in Berlin-Neukölln. Vegan options available. Klingt nach einem vollkommen überzeugenden Konzept. Erfolgsgarantie! Also, wenn man das heute eröffnen würde.

Vor siebzehn Jahren allerdings war das eine mäßig gute Idee. Um nicht zu sagen völliger Schwachsinn und zum Scheitern verurteilt. Dabei hatte Oliver Lemke sich das so schön vorgestellt. Inspiriert von längeren Japan-Aufenthalten fing der gebürtige Heidelberger, der sich nach 35 Jahren in Berlin „schon wie ein icke fühlt“ und auch ein bisschen so redet, an, in einem Brewpub unter den S-Bahn-Gleisen in Berlin-Mitte, zwischen Alexanderplatz und Hackeschem Markt, was damals, 1999, eben gerade hip war und im Kommen, kleine, japanische Spießchen (Yakitori) zu grillen und Ales zu brauen. Diverse. Alles wild durcheinander, experimentell, undeutsch. Die Gäste haben das nicht kapiert. Die wunderten sich über das komisch schmeckende Bier genauso wie diese Yaki-watnditte. „Die haben gesagt: Ihr seid doch eine Gasthausbrauerei, wo sind denn hier Eisbein und Buletten auf der Karte?“ erinnert sich Oliver Lemke. Mittags hätten sich immer mal wieder ein paar Werber und Marketingfuzzis aus der Gegend hier rein verirrt, erzählt er weiter. Aber die kamen dann meistens auch nicht wieder, weil es ein Problem mit der Lüftung gab und alles in eine Yakitori-Grill-Luft-Wolke gehüllt war, auch die Herren in den guten Anzügen. Es hat gar nicht lange gedauert, bis Lemke sich entscheiden musste: Dicht machen oder das Konzept grundlegend verändern?

Brauhaus Lemke

Das Brauhaus Lemke im Herzen von Berlin. Also so richtig. (Foto: NAK)

 

Wenn Oliver Lemke die Geschichte des Brauhaus Lemke in Berlin erzählt, ist das keine romantische Brauergeschichte sondern die eines erfolgreichen Unternehmers. Denn der Mann, der mit Brauingenieursdiplom in der Tasche, einem 300.000 Mark Bankdarlehen und der irrwitzigen Idee von japanischen Spießchen angefangen hat, ist heute Chef von 140 Mitarbeitern, betreibt drei Braustätten und vier Restaurants, in denen er im Jahr eine Million Gäste bewirtet, und braut in etwa 5.000 Hektoliter Bier. Man kann, wenn man dem 49-Jährigen genau zuhört, eine ganze Menge lernen. Zum Beispiel, dass man als Unternehmer bereit sein muss, Kompromisse einzugehen. Dass man nicht krampfhaft an Ideen festhalten sollte, die man selber zwar gut findet, die aber nicht funktionieren. Dass man auch auf den Markt hören sollte. Weil man sonst in Schönheit zwar stirbt, aber eben halt stirbt. Und: Manches braucht, bis die Zeit reif ist. Das musste Oliver Lemke selber so lernen.

Scheitern war eine von zwei Optionen

„Die ersten zwei Jahren, 1999 bis 2001, waren hart“, sagt Lemke und lehnt sich ein einem Ledersessel in einem Nebenraum des Brauhaus Lemke am Hackeschen Markt zurück. „Die Option des Scheiterns war ganz klar da. Ich hatte bei der Bank Schulden und dachte immer: Wenn das Ding hier in die Grütze geht, dann kommst du da nie wieder raus. Ich hatte, das kann man schon so sagen, Existenzängste.“

Brauhaus Lemke Braukessel

Und, gut Sud? Der Chef checkt das mal eben. (Foto: NAK)

 

Schließlich hört er auf seine Gäste. Die wollen Eisbein und Buletten? Dann kriegen sie eben Eisbein und Buletten. Und „normales“ Bier? Fein, dann auch das. Lemke stellt sein gastronomisches Konzept um und braut Pils. Und ein Wiener Lager, zugegeben, nicht ganz „normal“, nicht das erwartete Münchner Hell, aber er nennt es „Original“. Kann man auch Orijinal aussprechen. Und so trinkt der Berliner das dann auch ohne zu meckern. An zwei Zapfhähnen gibt es darüber hinaus immer wechselnde Biere, am einen eher die deutschen Sachen, mal ein Bock zum Beispiel, am anderen Experimentelles in Kleinstmengen. Sein erstes IPA hat er 2001 gebraut, die erste Rate Beer Wertung dazu ist von 2005, erzählt Lemke nicht ohne Stolz („I haven’t heard of other german IPA’s, but it’s a good IPA“, steht da bis heute noch zu lesen.) Nach und nach füllt sich das Brauhaus Lemke. „Es war ein schönes Gefühl nach zwei Jahren zu wissen, dass man die Kredite bedienen kann. An Geld verdienen war da allerdings trotzdem noch nicht zu denken.“

Brauerei Lemke

Läuft alles, schnell wieder zu. (Foto: NAK)

 

Dafür baut Oliver Lemke sich ein zweites Standbein auf, gründet ein Ingenieurbüro und verdient Geld mit der Planung und den Bau von Brauanlagen. Weltweit, er tourt dafür nach Teneriffa und Ulan Bator. Mit diesem Geld kann er seine gastronomischen Unternehmen querfinanzieren. So übernimmt er 2003 die Tiergartenquelle im Hansaviertel und eröffnet den Berliner Kneipenklassiker wieder. Dann lernt der Unternehmer Wachstumsschmerzen kennen: „Wir bekamen Schwierigkeiten mit der Biermenge“, sagt er. Bisher hatte er mit seiner selbstgeschweißten Brauanlage am Hackeschen Markt ein 90-Sitzplätze-Gasthaus gerade so bedienen könne. Jetzt kamen ungefähr noch mal so viele Sitzplätze dazu.

Wer wachsen will, muss wachsen

Lemkes Lösung? Ein mutiges, weiteres Invest: 2004 kauft er den ehemaligen Mitbewerber Leopold Bräu auf und kommt damit schwupps in Besitz einer solide 15-Hektoliter-Anlage. „Damit hatten wir dann erstmal keine Produktionskapazitätsprobleme mehr.“

Drei Jahre später übernimmt Oliver Lemke auch das Luisenbräu in Charlottenburg, Berlins älteste Gasthausbrauerei inklusive ihrer 10-Hl-Anlage. Er kennt den Laden gut, hatte er während seines Studiums doch hier gearbeitet. Er macht keine japanophilen Experiment und lässt die Karte schön „Klassiker aus Deutscher Küche“ versprechen. Dazu das Orijinal, so funktioniert das. Im selben Jahr erweitert er das Brauhaus Lemke am Hackeschen Markt um einen weiteren S-Bahnbogen, die Tiergartenquelle bekommt einen Biergarten. Läuft.

Der Traum vom Yakitori-Laden, der sei längst ausgeträumt, sagt Oli Lemke. Der davon, Craft Beer in Berlin groß zu machen hingegen nicht. 2011 schwant ihm, dass die Zeit dafür nun reif sein könnte. Um ihn herum tauchen Craft Breweries auf mit ähnlich verrückten Ales auf, mit denen er 1999 nur ein paar wenige Freaks begeistern konnte. Man kann sich schon vorstellen, dass ihn das ein bisschen gewurmt haben könnte. Schließlich hatte er diese Idee ja schon viel früher. Zu früh, wie er rückblickend sagt.

Brauhaus Lemke: Neues CI und Start „Craft“

Lemke überarbeitet seine Corporate Identity – zum dritten Mal. Gestartet war er mit einem sehr Neunziger-Jahre-Rave-artigen Logo, dann ging er in eine traditionellere Richtung mit einem Getreidehalm und so, jetzt etwas craftigeres. Zumindest packt er den Begriff mit hinein: „Unabhängige Craftbrauerei Lemke Berlin“ heißt seine Marke jetzt. Dazu ein etwas markiger Claim „Bier is coming home.“ Und das nächste unternehmerische Projekt: Vertrieb. Aus Berlin raus. Einzelhandel. Für den Gasthausbrauer ziemliches Neuland.

Brauerei Lemke

Im Gärkeller nahe des Alexanderplatzes. (Foto: NAK)

 

Lemke plant seine Schritte genau und bereitet sie entsprechend vor. Er baut seinen Lagerkeller unter den S-Bahn-Bögen aus, richtet ein eigenes Labor und eine Hefebank ein. 2015 geht die eigene Abfüllanlage in Betrieb. Zunächst meint er, seine Biere, besonders die hopfenbetonten, die so frisch wie möglich getrunken werden sollten, weil nach zwei Monaten unweigerlich Geschmacksveränderungen eintreten, nur mit einer geschlossenen Kühlkette vertreiben zu wollen. Das heißt also gekühlt von der Brauerei bis ins Glas des Konsumenten, Kühltransporter, Kühlschrank beim Händler. Das ist allerdings bislang in Deutschland kaum möglich. Der Unternehmer wägt ab: Er verzichtet auf den unbedingten Kühlanspruch, gibt seinen Bieren dafür aber statt wie andere zwölf nur sechs Monate MHD und schreibt ein „born on date“, also den Tag der Abfüllung, auf die Flaschen. „Das ist ein Kompromiss, aber wir werden, sobald wir einen wahrnehmbaren Umsatz machen, auch noch mal mit den Händlern über dieses Thema reden“, sagt er.

What’s new: Berliner Weisse und Holzfasslagerung

Die 2-Hl-Brauanlage mit der alles begann, bzw. ihre kupferverkleidete Nachfolgeversion, denn angefangen hat alles mit einer Edelstahlanlage, die Lemke sich gemeinsam mit einem Freund selbst geschweißt hatte (dafür hatte er extra gegen Ende des Studiums noch schnell einen Schweißkurs an der TU besucht), ist nun Lemkes Versuchsbrauerei geworden. Die größten Mengen werden ein paar Meter östlich auf der 15-Hl-Anlage im Brauhaus Mitte produziert und durch ein beachtlich langes Rohrsystem in den Lagerkeller des Brauhaus Lemke gepumpt, in Charlottenburg ist eine 10-Hl-Anlage in Betrieb. Selbst steht Lemke selten am Braukessel: „Brauen ist für mich nicht den Hopfen reinschmeißen. Das macht bei uns der Biersieder. Brauen ist für mich am Schreibtisch sitzen und Biere planen, verkosten und überlegen, wie kann ich auf den Prozess Einfluss nehmen, um dahin zu gehen, wo ich hin will.“ Geplant ist auf jeden Fall eine Berliner Weisse. Und das Fassprogramm läuft gut an, da will er weiter experimentieren. Bier aus Tequilafässern, Bourbon und so weiter. Jetzt ist Berlin nämlich reif dafür.

Brauerei Lemke

Feiner Tropfen: Oliver Lemke und ein Imperial Stout aus seiner Holzfasslagerung. (Foto: NAK)