Im Herzen ein Belgier

Martin RolshausenBier, Craft Beer Bars, Im Gespräch

Es ist Sonntagvormittag, im „Le Belge“ trudeln die ersten Gäste ein und Émile Vandervelde rotiert vermutlich in seinem Grab. So wie er das seit 85 Jahren tut, wie einige seiner Landleute spotten. Es ist über ein Jahrhundert her, seit der Sozialdemokrat sein Belgien in Gefahr sah – bedroht vom Alkoholismus. Émile Vandervelde war belgischer Justizminister. Im Sommer 1919 stimmte das Parlament einem Gesetz zu, das fortan seinen Namen trug. Das „Vandervelde-Gesetz“ sollte den Alkoholismus bekämpfen, indem es den Verkauf von Spirituosen in Bars reglementierte und weitgehend verbot. Die Belgier grämten sich nicht lange. Vanderfelde sprach von Spirituosen – von Bier hatte er nichts gesagt. Also begannen viele belgische Brauereien einfach sehr hochprozentige Biere herzustellen. Den Kampf gegen den Alkohol hat Émile Vandervelde nicht wirklich gewonnen. Aber er hat – unbeabsichtigt – einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der belgischen Bierkultur geleistet.

Ein Ort der Bierkultur: das „Le Belge“ in Offenbach am Main. Fotos: Le Belge

Mensur Yalcin mag diese Geschichte. Der 67-Jährige ist der Inhaber des „Le Belge“ in Offenbach am Main und ein großer Freund dieser Bierkultur. Vor 14 Jahren hat er das Lokal am Wilhelmsplatz eröffnet. Davor hatte er bereits Kneipen mit belgischem Bier in Essen und Saarbrücken. „Mein Bruder hat in Belgien gelebt. Und diese belgische Bierkultur hat mir einfach gefallen“, erklärt er. Als der gelernte Elektroinstallateur dann in die Gastronomie eingestiegen ist, war klar, was er will. Seine türkischen Wurzeln hätten vielleicht ein anderes gastronomischen Konzept nahegelegt, klar, aber; „Türken gibt es genug, Griechen und Spanier auch“, sagt Mensur. Also machte er seine Liebe zum belgischen Bier zum Beruf.

Bierdeckelkunst der Gäste.

14 Biere hat er aktuell vom Fass. Dazu noch rund 30 aus der Flasche. Neben drei Sorten Grimbergen, Leffe Blond und Bruin, zwei Sorten Corsendonk und einem Kriek hat er auch irisches, ab und zu ein amerikanisches, immer aber auch deutsches Bier am Hahn. „Deutsches Bier muss dabei sein. Die Deutschen und ihr Reinheitsgebot“, seufzt Mensur. Da könne man nichts machen. Auch wenn einige belgische Bierrezepte schon älter sind wie das sogenannte Reinheitsgebot und das belgische Bier Weltkulturerbe ist – es gebe Kunden, die eben nur deutsches Bier wollen. Aber auch für Gäste, die dem Charme der belgischen Bierkultur nicht erlegen sind, müsse er als guter Wirt etwas im Angebot haben. Die Speisekarte ist einfach gehalten – und natürlich dürfen darauf Fritten und Muscheln zum belgischen Bier nicht fehlen.

Chouffe aus den Ardennen und Trappistenbier darf nicht fehlen.

Wobei er selbst ja findet, dass Belgien alles bietet, was man braucht: einfache helle Biere, malzige hochprozentigere, facettenreiche Starkbiere, Trappistenbiere, Fruchtbiere. Und dann immer das passende Glas dazu! Auch das gefällt Mensur an der belgischen Bierkultur. Das Kutscherglas von Kwak fasziniert ihn zum Beispiel. Es sieht aus wie ein chemisches Versuchsglas, unten mit einer Kugel. Damit es nicht umfällt, muss man es in einen Holzständer stellen. Kutscherglas nennt man diese Art Gefäß, weil es früher eine Halterung auf dem Kutschbock gab. „Da war das Glas dann so in der Halterung befestigt, dass es beim Fahren nicht überschwappte“, erklärt Mensur. So ein Kwak hat 8,4 Umdrehungen. Hochprozentiges Bier beim Fahren – Émile Vandervelde rotiert vermutlich in seinem Grab.

(27. August 2023)