Als ich vor über 20 Jahren mit einem neuen Job in die Schweiz zog, hatte ich schon irgendwie eine Art Bierbegeisterung. Aber mit ganz eingeschränktem Sichtfeld, eben aus Sicht eines „Standard-Biertrinkers“ der in den 1990ern mitten im Herzen Deutschlands Biertrinken lernte. Schweizer Brauereien waren für mich völlig unbekannt, ich kannte ja nicht einmal das Rheinfeldener „Feldschlösschen“. Doch meine Kronkorken-Sammelleidenschaft machte mich neugierig und liess mich Bier für Bier, neue grosse und kleine Brauereien kennenlernen. Und es muss im Jahr 2011 gewesen sein, als ich in der ersten Schweizer Bierbar, dem „Erzbierschof“ zum ersten Mal was von der Brasserie des Franches Montagnes (kurz BFM) hörte und deren Biere kennenlernte.
Ihr Gründer Jérôme Rebetez erhielt durch einen Wettbewerbsgewinn 1997 die Möglichkeit, seinen Traum wahr werden zu lassen – Biere zu kreieren, die sich mit den Aromen von Wein und Whisky messen können und damit das Gegenteil zum hellen gefilterten Lagerbier aus dem Supermarkt darstellen. In den ersten Jahren kümmerte sich der 1974 geboren Jérôme allein um die Produktion, das Abfüllen und den Vertrieb des Biers. Die ersten 10 Jahre waren kein Selbstläufer, bis sich 2008 ein grosszügiger Investor fand und daraufhin die AG gegründet wurde. Heute erinnern die Biere der BFM kaum noch an die ersten Versuche – weder in der Quantität noch der Qualität. Es werden an 2 Standorten in Saignelégier im Schweizer Jura rund 20 Biere produziert, häufig mit originellen Zutaten abseits des deutschen Reinheitsgebots. Alle zusammen ca. 5000 Hektoliter pro Jahr.
L’Abbaye de Saint Bon-Chien
2009 wurde die Brauerei für eines ihrer Biere weltbekannt. Das „L’Abbaye de Saint Bon-Chien“ wurde von Eric Asimov, einem Gastronomiekritiker der New York Times, als bestes in Eichenfässern gereiftes Bier der Welt ausgezeichnet. Um genau dieses Bier soll es in diesem Artikel gehen. Es wird jedes Jahr neu von Jérôme aus mehreren Bieren aus verschiedensten Eichenfässern als Cuvée assembliert, wobei die Vorbelegung und die Mikrofauna jedes Fasses das Endprodukt beeinflusst und mit vielfältigen Aromen versieht. Ziel ist es immer ein komplexes, aber auch ausgewogenes Bier zu schaffen, was einen vollmundigen und langanhaltenden Abgang in sich birgt.
Kurz noch ein paar Worte zum Namen dieses Bieres. „Die Abtei des heiligen guten Hundes“ klingt erst einmal verwirrend und wird es nach einem Blick auf das Etikett noch mehr. Dort steht eine Katze in Nonnentracht an einem Schreibpult. Die Lösung ist aber ganz einfach. Die Brauerei-Katze zu Beginn der Brauerei hiess „Bon-Chien“, also guter Hund. Und da sie verstorben ist, wurde sie heiliggesprochen und weilt jetzt in einer Abtei. So einfach und auch verrückt können Namen entstehen.
Freunde der heiligen Katze
Vor gut zwei Wochen haben sich einige Freunde dieser heiligen Katze getroffen, um eine Quer-Verkostung über fünf verschiedener Jahrgänge von 2011 bis 2021 zu erleben. Die Flaschen der verschiedenen Jahrgänge warteten schon länger in meinem Keller auf die Gelegenheit verkostet zu werden. So bot sich für fünf Mitglieder des Verkostungs-Boards ausreichend Sensorik-Material. Wir begannen mit der jüngsten Abfüllung, welche jetzt im Handel erhältlich ist.
2021 – dunkelrot klar
2021 – dunkelrot klar, leuchtend, mit einer feinen roséfarbenen Schaumhaube obenauf, die ein nur kurzes Leben hat. Durch die frische Perlage steigen dunkle Dörrfrüchte voll und fruchtig in die Nase, aber auch ein Hauch Brettanomyces. Der Antrunk ist süss und Frucht-dominiert, mit einer Spur Vanille. Die Säure ist milchsauer vernehmbar, aber eher dezent und angenehm. Es hat einen vollmundigen Körper mit gut verstecktem Alkohol und eine sehr hohe Drinkability. Nach hinten wird es fruchtig trockener, behält eine gewisse Süsse bis zum Schluss.
2018- deutlich saurer
2018 – Diese Flasche blieb beim Öffnen fast still und das Einschenken war mehr weinähnlich, mit einem kleinen Hauch Kohlensäure. So bildete sich nur ein schmaler Ring Schaum. Die Nase bekommt zuerst Alkohol und eine fruchtige, leicht bissige Säure zu spüren, dann sind auch wenige dunkle Dörrfrüchte dabei und ein bisschen Aceton. Der Antrunk ist flacher als beim ersten Jahrgang, dafür aber deutlich saurer. Ein schlanker fruchtiger Körper, der von sauren Noten geprägt ist, breitet sich am Gaumen aus und wird nach hinten klar trockener. Das dunkle Dörrobst lässt den Abgang doch eher unerwartet lang werden.
2016 – etwas funkige Pferdedecke
2016 – Da war er wieder, der Plupp und das Zischen beim Öffnen des Kronkorkens. Und so fliesst es perlend dunkel rubinrot ins Glas und bildet einen zart rosafarbenen Schaumabschluss obenauf. In der Nase gibt es sich mild, mit hellen Früchten und etwas funkiger Pferdedecke. Die fruchtige Süsse im Antrunk ist mit dem 2021er Jahrgang vergleichbar. Wobei sich jetzt aber klar mehr Säure auf dem Gaumen zeigt, welche schon spürbar Essignoten enthält. Der Alkohol ist bei dem ersten Schluck sehr laut, begleitet von Aceton. Dieses Gefühl nimmt Schluck für Schluck ab, es wird fruchtig runder und harmonischer. Der Abgang hat eine gewisse Restsüsse und wird betont von hellen reifen Aprikosen und Weintrauben.
2013 – viel Rosinen und frische Stachelbeeren
2013 – Diese Flasche hat nach über zehn Jahren immer noch den perfekten Druck. So kommt es fast beschleunigt aus der Flasche und füllt das Glas frisch prickelnd mit der heute schon häufiger gesehenen bordeaux- oder rubinroten Färbung. Ein leicht rötliche Schaumkrone obenauf, welche das Aussehen für kürze Zeit perfektioniert. In der Nase kommt es sehr rund, mit vielen hellen Trockenfrüchten begleitet von leisen funky Noten und einem leichten Gefühl von Säure. Der Antrunk schliesst sich perfekt an den Eindruck der Nase an. Wundervoll rund gleitet der erste Schluck über die Zunge, mit nur milder Säure und viel Rosinen und frischen Stachelbeeren. Klar weinartig füllt sich der Gaumen ganz harmonisch und rund mit super eingebundenem Alkohol und kaum aggressiven Nebentönen. Alles endet in einem fruchtig frischen Abgang, der nicht so schnell enden will. Dieser Eindruck spiegelt sich im Satze eines Beteiligten wider: „Das wäre das Bier, von dem ich auch 3 Flaschen trinken könnte.“
2011 – auf der dunkleren Seite der Trockenfrüchte
2011 – Der Abend ist doch schon lang und wir nähern uns dem letzten Jahrgang. Mehr als 12 Jahre ist das Bier jetzt schon in der Flasche und wartet darauf, dem wohlgesinnten Biertrinker und Geniesser eine Freude zu machen. Auch dieser Jahrgang ist perfekt karbonisiert und möchte fast zu schnell die Flasche verlassen, das nenne ich mal Vorfreude eines Biers. Farblich kommt es beim Jahrgang 2016 an und zeigt eine angenehme Perlage. Es zeigt sich sehr fruchtig in der Nase, aber wieder auf der dunkleren Seite der Trockenfrüchte. Es kommt schon in der Nase kantiger daher. Dieser Eindruck bestätigt sich beim Antrunk. Die Säure ist klar vernehmbar, dabei sind schon klare Balsamessig-Noten und schöne Fruchtsäuren. Alkohol und etwas Aceton stechen heraus und zeigen die Kanten dieses Jahrgangs. Nach hinten sind Tannine eines Rotweins gut zu vernehmen. Der Abgang ist bestimmt von dunklen Rumfrüchten und alkoholischen Noten.
Es zeigte sich, dass die Startbedingungen für jeden Jahrgang unterschiedlich waren. So lässt sich der Einfluss der Lagerung nicht eindeutig beurteilen. Fast alle Flaschen waren perfekt karbonisiert und boten einen extrem hohen Biergenuss. Der Favorit unter allen Verkostern blieb der Jahrgang 2013, als das rundeste und ausbalancierteste der 5 Jahrgänge. Wer eine so ähnliche Verkostung wiederholen will, hat im Shop der Brauerei die Möglichkeit einen 6er-Pack mit verschiedenen Jahrgängen zu erwerben.
(Das Foto oben zeigt Jérôme Rebetez im Fasslager. Foto: Isabel Plana/www.prixmontagne.ch)
(Wir haben den Text in der Schweizer Rechtschreibung gelassen.)
(7. April 2024)