Ein kleines schnuckeliges Biergut

Martin Rolshausen

Es gibt Brauereien, die geben viel Geld für Werbung aus, um uns zu erklären, dass sie Tradition haben und ein ganz tolles Bier. Es gibt Brauereien, die haben einen CEO, einen CFO, Führungskräfte für Corporate Affairs & ESG Sustainability, Mergers & Acquisitions, Supply Chain Support, Controlling, Accounting, Purchasing, Internal Audit, Revenue Management und noch einige andere Dinge mehr. Es gibt Brauereien, die beschäftigen mehrere Agenturen parallel, um uns zu zeigen, wie bodenständig, wie naturverbunden und erdverwachsen sie sind und doch nur ein einziges Ziel haben: uns das bestmögliche Bier zu liefern. Sebastian Priller hat eine Geschichte, über die er lachen kann.


Sebastian Priller ist Gesellschafter und Prokurist der Riegele Brauerei in Augsburg, einem Unternehmen, das seiner Familie seit 139 Jahre gehört, davor aber bereits knapp 500 Jahre lang Bier braute. Die Geschichte, die Sebastian Priller so zum Lachen bringt und die mehr über ein Unternehmen sagt, als es Agenturen mit großen Werbeetats könnten, ist kurz: Neulich hat sich die Frau des Braumeisters sehr verwundert über ihren Mann gezeigt. So langsam übertreibe der es nämlich. Um drei Uhr in der Nacht ist ihr Mann aufgestanden und hat zu ihr gesagt: „Schatz, ich glaube, der Hefe geht es nicht gut. Ich muss in die Brauerei.“

Riegele in Augsburg in der Nähe des Hauptbahnhofs. Foto: Martin Rolshausen


Sich um die Hefe zu kümmern, sie zu pflegen, das gehöre für Riegele genau so dazu wie die Auswahl der Rohstoffe, versichert Sebastian Priller. Und da drehe man „jedes Malzkorn um“. Wenn er mit anderen Brauerei-Chefs spreche, stelle er immer wieder fest, dass Riegele „die doppelten Hopfenkosten wie die meisten Kollegen“ habe. Während viele Brauereien einige wenige Sude zu verschiedenen Biersorten variieren, werden bei Riegele 26 Sorten im Sudhaus gebraut. Dafür muss der Vorrat an unterschiedlichen Malzen, Hopfensorten und Hefen groß sein. Dazu kommt, dass Riegele bei der aufwendigen Spelzentrennung bleibt. Dabei wer­den die Spelzen nach dem Schroten des Malzes durch ein Sieb zunächst entfernt und erst später wie­der zur Maische ge­ge­ben. Dadurch wer­den we­ni­ger Gerbstoffe aus den Spelzen aus­ge­wa­schen, was Auswirkungen auf den Geschmack des Bieres hat.

Biere mit Charakter


Dass Riegele Biere Charakter haben und dafür auch viele Auszeichnungen bekommen haben, liege aber auch daran, „dass unsere Biere nicht im Schnellgärverfahren entstehen, sondern in unseren unterirdischen Bierkellern über Monate reifen“, erklärt Priller. Auch da ist klar: Zeit ist Geld, aber es wird nicht zulasten der Qualität gespart.

Riegele betreibt auch ein klassisches Wirtshaus. Foto: Martin Rolshausen


Die wichtigsten Zutaten für Bier sind aus Prillers Sicht allerdings „Leidenschaft, Hingabe und Wissen“. Das Wissen wurde bei Riegele über viele Generationen weitergegeben. Mit Leidenschaft und Hingabe ist das etwas anderes. „Als ich angefangen habe, war es ganz einfach: Bier ist Bier“, erinnert sich Priller. Früher, sagt er, hatten selbst die Gebietsverkaufsleiter nicht wirklich Ahnung von Bier. Heute gibt es unter anderem Biersommeliers – Sebastian Priller ist selbst einer. 2011 war er sogar Weltmeister der Biersommeliers. Und heute, sagt er, „lebt die Mannschaft Bier und zieht Leute an, die das auch tun“.

Rund 100 Mitarbeiter


Rund 100 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen – 50 in der Brauerei, 50 in der Logistik. dazu kommen noch einige, die die Riegele Brauwelt, also eine Art Besucherzentrum betreuen. Die Bewerbungen für die Brauwelt „kommen von sich aus“, er müsse da keine Anzeigen schalten. Das seien Menschen, die Teil dessen werden wollen, was sie in der Brauerei erlebt haben. „Was mich wahnsinnig freut, ist zu sehen, wie junge Menschen von diesem Virus infiziert werden“, sagt Priller.


Wobei über Riegele-Biere natürlich heftig diskutiert werde. Zu herb seien einige Biere, zu fruchtig andere. Aber das Schöne sei: „Die Auswahl ist so groß, da findet jeder seins.“ Neben den Traditionsbieren wie Hellem, Dunklem, Keller- und Starkbier, verschiedenen Weizenbieren und Pils braut Riegele auch Jahrgangs- und Kreativbiere. Ein Bayerisch Ale zum Beispiel, das Riegele zusammen mit Sierra Nevada entwickelt hat, sowie unter anderem auch ein Imperial Stout, ein Porter und IPAs – darunter auch ein alkoholfreies.


„Craft haben wir nicht gemacht, weil die Marktforschung gesagt hat, dass wir das machen sollen. Wir haben es gemacht, weil wir Lust darauf hatten“, sagt Sebastian Priller. Riegele ist zwar eine bayerische Traditionsbrauerei, sogar eine der ältesten Brauereien der Welt. Aber das bedeute ja nicht, dass man einfach immer nur das macht, was immer gemacht wurde.

Eine der ältesten Brauereien der Welt

Wobei die Mischung aus Tradition und Moderne eben keine Garantie ist, am Markt zu bestehen. Der Biermarkt ist schwierig. Einige haben aufgeben müssen. „Wir sind in einem Markt, der nicht größer wird – auch in Zukunft nicht“, sagt Priller. Vor allem die Konzerne versuchen, sich über einen Preiskampf ein möglichst großes Stück vom Kuchen zu sichern. „Tiefstpreis können wir nicht, das sind wir auch nicht“, hält Priller dagegen. Seine Brauerei könne im Markt nur bestehen, „wenn wir erklären können, warum ein Kunde für eine Kiste ein paar Euro mehr ausgeben muss“. Das kann er erklären. „Du musst authentisch sein“, lautet die Überlebensformel für Priller. Vor allem aber: „Wir müssen Rückgrat haben, die Preise am Markt weiterzugeben – dem Kunde erklären, warum wir es wert sind.“


Das gehe nur mit überdurchschnittlich guten Bieren. Das Produkt muss selbst überzeugen, denn „wir haben kein Geld für eine Marketingkampagne“, sagt Priller. Das Bier ist das Wichtigste. Er kenne Brauer, die designen ihren Fuhrpark für viel Geld komplett durch. „Mir ist es egal, wie der Laster aussieht, der Bier ausliefert“, lautet seine Antwort darauf. Riegele investiere lieber ins Forschen mit der Hefe und in Hopfenstopftechniken. Wichtiger als Marketing zu machen, sei es auch, dort, wo man sein Bier braut und verkauft, verankert zu sein. Das bedeute auch: „Wir müssen ehrlich sein, fair sein. Denn wenn wir das nicht sind, würden wir durch die Stadt gejagt.“

Kein Mengendenken


Riegele, erklärt Sebastian Priller, habe eine „Philosophie wie ein kleines Weingut“. „Wir sind ein kleines schnuckeliges Biergut, das in der Wertschöpfung rentabel ist.“ Das heißt für ihn: „Kein Mengendenken, schon gar kein ,Ich muss auslasten, sonst gehöre ich der Katz‘.“ Damit kein Missverständnis entsteht: Das mit dem Weingut sei ein Vergleich, kein Wunsch. Dieser Hinweis ist Sebastian Priller wichtig. Denn, sagt er, es gibt Brauereien, deren Führungskräfte im ganz offen gesagt haben, dass sie ja privat viel lieber Wein als Bier trinken. Es sei ja generell nicht schlimm, wenn jemand Wein bevorzugt, findet Priller. Aber er verstehe so etwas nicht. Denn wie könne jemand Bier brauen und verkaufen, der keine echte Leidenschaft dafür hat?

(15. September 2023)