Die Bierpartei will Österreich durchlüften

Martin RolshausenIm Portrait

Dominik Wlazny ist Arzt. Als Marco Pogo ist er Frontmann der Punkband Turbobier, Kabarettist und Vorsitzender der Bierpartei. Im Herbst will der 35-Jährige österreichischer Bundespräsident werden. Er liegt in Umfragen bei zwölf Prozent.

Alle Brauereien kriegen erstmal ein paar Millionen aus der Staatskasse, dann gibt es Freibier für alle, die Alkoholsteuer wird abgeschafft, niemand muss mehr arbeiten und mit 30 kann man in die Pension. Das alles, versprach der Punksänger Marco Pogo vor acht Jahren, werde er machen, wenn seine Bierpartei ins Parlament kommt. Es klang ein wenig nach Rio Reisers „Das alles, und noch viel mehr würd‘ ich machen, wenn ich König von Deutschland wär‘.“ Auf Wienerisch kland das Versprechen so: „Wär ich ein Politker, würd sich hier vieles ändern, iI wa sofurt der Präsident in ollen Bundesländern, i moch mi stoark fia’n klanan Monn, fia Punks und Tachinierer, sitz hackedicht im Parlament, i hob do kan Genierer.“ Das Lied kam an. Das Problem für alle, die das geil fanden war aber: Es gab gar keine Bierpartei.

Das sollte sich ein Jahr später ändern. „Getragen von dieser Magie und einer unbeschreiblichen Aufbruchsstimmung“, so erzählt man sich heute in der Partei, sei sie „in einer sagenumwobenen Nacht“ dann doch gegründet worden: die österreichische Bierpartei. An die „genauen Geschehnisse dieses Tages“ könne sich allerdings „niemand mehr so recht erinnern“. Wobei man mit Erinnerungslücken politisch ja schonmal eine Grundqualifikation erworben hat. Allen, so erzählt man die Parteilegende, „schwebte eine Welt vor, in der uns das Krügerl alle gemeinsam friedlich an einen gemeinsamen Wirtshaustisch bringt“. Wer nun denkt, dass diese Bierpartei Politik für die Stammtische macht, liegt falsch.  Dafür sind in Österreich eher die Kandidaten der extremen Rechten zuständig: die von Jörg Haider und dann von Heinz-Christian Strache geprägte FPÖ zum Beispiel.

Marco Pogo, ein Arzt, der seinen Beruf an den Nagel gehängt hat, weil er mit seiner Band Turbobier zu erfolgreich wurde, um Musik nur nebenbei zu machen, ist das Gegenteil eines Politikers, der am rechten Rand oder bei Impfgegnern Stimmen fischen will. Vor einem seiner Konzerte hat er schonmal selbst Fans geimpft. Und mit ausländerfeindlichen Sprüchen kann er überhaupt nichts anfangen. „In meinem Österreich ist immer noch Platz auf der Bierbank“, versichert er. Die Bierpartei sei die „progressive Kraft“ in Österreich, denn: „Die Mitte ist auch an der Bar der Platz, an dem man am nächsten am Zapfhahn ist.“  

Marco Pogo, der Chef der Bierpartei tritt zur Bundespräsidentwahl in Österreich an. Foto: Philipp Hirtemlehner

Auch wenn das, was er sagt, meistens humorvoll formuliert ist, als Spaßpartei sieht Marco Pogo seine 2015 gegründete Bierpartei längst nicht mehr. Bei der letzten Kommunalwahl hat die Partei Mandate in 11 der 23 Wiener Bezirksversammlungen errungen. Die Forderung nach Bierbrunnen in der Stadt mag da geholfen haben. In den Bezirken merken die Leute aber, dass die Bierpartei „auch vernünftige Sachen macht“. Da geht es dann zum Beispiel darum, freie Gewerberäume Musikern und anderen Künstlern zur Verfügung zu stellen, Wohnraum für Flüchtlinge zu schaffen, öffentliche Bücherschränke einzurichten, die Stadt für Fußgänger und Radfahrer sicherer zu machen. Diese Politik, die „so volksnah wie ein Sechsertragerl“ sein will, kommt nicht nur bei Freunden der Punkmusik an. Wäre in Wien jetzt Gemeinderats- und Landtagswahl käme die Bierpartei auf acht Prozent der Stimmen. Wenn diese Umfrage stimmt, wäre sie so stark wie die mit den Sozialdemokraten regierenden Liberalen.

Im Rennen um das höchste Amt im Staat, liegt Bierpartei-Chef Marco Pogo sogar stabil zwischen zehn und zwölf Prozent. Als erster Kandidat hatte der 35-Jährige, der unter seinem bürgerlichen Namen Dominik Wlazny auf dem Wahlzettel steht,  die 6000 Unterschriften zusammen, die jeder Bewerber braucht, um am 9. Oktober in Österreich zur Wahl des Bundespräsidenten anzutreten. Bei seinen Auftritten in Fußgängerzonen scharen sich vor allem junge Menschen um ihn. Auch solche, die andere Politiker nie erreichen würden – schon gar nicht der greise amtierende Bundespräsident Alexander Van der Bellen. 

Generell habe er ja „großen Respekt vor dem Amtsinhaber“, sagt der Bierpartei-Chef.  Aber Van der Bellen, ein Grüner, zu dessen Gunsten Sozialdemokraten, Volkspartei und Liberale nun auf eigene Kandidaten verzichtet haben, hat seiner Meinung in einer entscheidenden Situation versagt. Auf den Tisch hauen hätte er müssen, der Herr Bundespräsident. Und er hätte es deutlich aussprechen sollen: „Jungs, die Party ist vorbei!“ Dass er das nicht getan hat, als die sogenannte Ibiza-Affäre die rechtspopulistische FPÖ demaskiert und die Inseraten-Affäre die konservative Volkspartei in ein neues Licht gerückt hat, macht Marco Pogo dem 78-Jährigen zum Vorwurf. 

Dass die anderen Parteien den vermeintlichen Spaßpolitiker langsam ernst nehmen, zeit sich unter anderem dadurch, dass die Jugendorganisation der Grünen davor warnt, Marco Pogo zu wählen. Wer dem Bierpartei-Politiker seine Stimme gibt, erreiche nur eins: Er drängt Van der Bellen in den zweiten Wahlgang – wahrscheinlich gegen den Kandidaten der FPÖ, der in Umfragen etwa vier Prozentpunkte vor Marco Pogo liegt. Dass ihn die Konkurrenz nicht mehr nur belächelt und sich so viele Österreicherinnen und Österreicher gut vorstellen können ihn zu wählen, liege nicht daran, dass es in Österreich überdurchschnittlich viele Punkrock-Fans gebe, sondern daran, dass viele Menschen „die Nase voll haben vom Typus Politiker, wie wir ihn in Österreich sehen“, sagt der Kandidat. 2019 hat der FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache in einem heimlich auf Ibiza gefilmten Video unter anderem darüber schwadroniert, wie Gesetze zur Parteienfinanzierung umgangen und Medien übernommen werden können. Er musste nach Veröffentlichung des Videos als Vizekanzler zurücktreten. Die Koalition seiner Partei mit der konservativen ÖVP platzte. Die ÖVP regiert seit den Neuwahlen mit den Grünen. 

Im vergangenen Jahr kam dann heraus, dass die Korruptionsstaatsanwaltschaft unter anderem gegen den damaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und einige seiner Vertrauten ermittelt.  Der Vorwurf lautet: Das ÖVP-geführte Finanzministerium hat durch das Schalten von Inseraten Einfluss auf die Berichterstattung eines Medienkonzerns genommen. Der Deal sei gewesen: Geld aus der Staatskasse gegen die Veröffentlichung von Umfragen, die Sebastian Kurz in ein positives Licht rücken. Alles falsch, beteuerte der Kanzler, trat aber, wie auch sein Finanzminister, zurück.

Van der Bellen versuchte staatsmännisch zu verhindern, dass solche Vorkommnisse das Vertrauen in die Politik generell erschüttern. „Manchmal kommen sie von ihrem Weg ab, überschreiten Grenzen, verletzen Menschen, zerstören Vertrauen“, sagte der Präsident zum Beispiel nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos. Mit „sie“ meinte er Politiker. 

„Österreich ist so viel mehr als Ibiza und Inserate“, findet auch Marco Pogo. Aber: „Dieses Land ist erschöpft und ausgelaugt von den politischen Geschehnissen der letzten Tage, Wochen, Monate und Jahre.“ Es sei Zeit für einen Bruch. Das sehen die Parlamentsparteien anders. Sie unterstützen Van der Bellen.  Bis auf die extrem rechte FPÖ. Sie hat den Volksanwalt Walter Rosenkranz, der lange für die Partei im Nationalrat saß, nominiert. Die aus drei Personen bestehende Volksanwaltschaft ist ein Gremium, an das sich Bürger wenden können, wenn sie Probleme mit Verwaltungsstellen haben. Auch der Rechtspopulist Gerald Grosz und Michael Brunner, der Vorsitzende der Impfgegner-Partei „Menschen Freiheit Grundrechte“, die im vergangenen Jahr den Einzug in den oberösterreichischen Landtag geschafft hat, treten an. Dazu kommen noch der Rechtsanwalt und Kolumnist der mächtigen Kronen-Zeitung, Tassilo Wallentin, und Heinrich Staudinger, der Gründer einer Ladenkette für ökologische Kleidung und Möbel.

Er höre auch von Menschen, die seine Musik nicht mögen: „Ich finde gut, was du da machst.“ Das liege vielleicht auch daran, „dass es authentischer ist, sich mit einer Lederjacke in eine Talkshow zu setzen als mit einem Slim-Fit-Anzug“, vermutet Marco Pogo. Und in Talkshows sitzt der Vorsitzende der Bierpartei verhältnismäßig oft. Aber reicht das, um Bundespräsident zu werden? Sieht er überhaupt den Hauch einer Chance?

„Ich war nie Präsident, aber wenn man mit Herz, Verstand und Anstand da reingeht und sich mit guten Leuten umgibt, dann geht das“, sagt der Kandidat. Geld für den Wahlkampf hat er keins. Bei der Wien-Wahl habe es gerade gereicht, die städtischen Gebühren für das Aufstellen von 13 Wahlständen zu bezahlen. Aber die Partei hat rund 1000 Mitglieder und viele Sympathisanten. Mit ihnen will er vor allem einem Wahlkampf im Internet führen. „Social Media und Videos drehen, das ist das, was ich kann“, erklärt er.  Dass jeder, auch der amtierende Präsident, im ersten Schritt 6000 Unterschriften sammeln muss, findet er gut, „denn sonst könnte ja jeder hergelaufene Punk kandidieren“.

Ob er Präsident wird oder nicht, Marco Pogo mischt die Alpenrepublik auf. Von Freibier, Millionensubventionen für Brauereien und der Rente mit 30 steht nichts im aktuellen Wahlprogramm. „350.000 Kinder in Österreich sind armutsgefährdet.“ „In Tirol stehen 1245 Skilifte, aber kein einziges Windrad?“ „Alle 45 Sekunden stirbt ein Schwein in Österreich an der Haltung auf Vollspaltenböden.“ So lauten einige der aktuellen Botschaften. „Red‘ ma drüber“, steht darunter. Bei mindestens einem Bier natürlich.