Ende Juni hat das Präsidium des Deutschen Brauer-Bundes Christian Weber (44) zum neuen Präsidenten des Verbandes gewählt. Er ist Nachfolger von Jörg Lehmann (53). Der CEO der Paulaner Brauerei Gruppe in München war 6 Jahre Präsident. das Amt auf der Jahresversammlung der deutschen Brauer am Donnerstag in Berlin an seinen Nachfolger. Christian Weber ist CEO der Karlsberg Brauerei KG Weber mit Sitz im saarländischen Homburg und führt das 1878 gegründete Familienunternehmen in fünfter Generation. Im Gespräch mit Hopfenhelden.de machte er klar, dass der Deutsche Brauer-Bund unter seiner Führung bei seinen Traditionen bleibt.
Hopfenhelden: Herr Weber, wie ist die Lage der deutschen Brauer?
Christian Weber: Ich glaube, man muss unterscheiden zwischen der langfristigen Gesamtlage und der kurzfristigen Situation. Die kurzfristige Situation ist davon geprägt, die Folgen der Corona-Pandemie zu überwinden. Damit verbunden ist die Frage, wo die Menschen konsumieren und Geld ausgeben – in der Gastronomie, im Handel? Da gab es ja schon Verschiebungen. Mit dem Krieg in der Ukraine kommt das Thema Gas dazu und die Problematik der nachgelagerten Kosten. Da sind die direkten Energiekosten, die Brauereien haben. Es geht aber auch um die Zulieferbranchen, also um die Glasflaschen oder das Malz. Und da ist die Frage, wie das weitergeht in einer Zeit, in der Inflation, die wir ja so nicht kannten, wieder Teil unseres Lebens geworden ist. Ich finde es beeindruckend, wie stabil die Brauereien trotz dieser ganzen Themen sind. Wir haben viele Unternehmen, die unter Druck stehen und für die es schwierig geworden ist. Auf der anderen Seite ist unser Markt ein stabiler Markt. Die Menschen konsumieren weiter Bier, gehen raus in die Gastronomie, sie feiern wieder gemeinsam, auch auf großen Veranstaltungen. Die Horrorszenarien, dass sich alles verändern würde, haben sich zum Glück nicht bewahrheitet. Man sieht, dass die Menschen in Deutschland ihr Bier lieben und die Brauereien einen wesentlichen Beitrag zu unserer Kultur leisten.
Hopfenhelden: Und über diese – wie Sie sagen kurzfristige – Situation hinaus?
Christian Weber: Die mittelfristige Herausforderung ist der große Umbruch in der Arbeitswelt, den man auch bei uns hier im Saarland sieht – weg von Kohle und Stahl hin zu Chip-Fabriken und Digitalisierung. Die Arbeitsplätze verändern sich, die Art und Weise, wie die Menschen ihr Leben verbringen. Und wie ich finde: zum Besseren. Wir sind ja alle froh, dass die Menschen sich nicht mehr 16 bis 18 Stunden am Tag in tiefen Löchern bewegen. Dass die Menschen bessere Arbeitsplätze haben, verändert natürlich auch den Konsum. Das verändert auch die Art und Weise, wie getrunken wird und was getrunken wird. Und darauf müssen sich Brauereien natürlich einstellen.
Hopfenhelden: Wenn man sich anschaut, wo in Deutschland viele Brauereien entstanden sind, dann hatte das immer mit Arbeit zu tun. In Bayern etwa war es die harte Arbeit in der Landwirtschaft, in anderen Teilen Deutschlands die ebenso harte Arbeit in der Industrie und im Bergbau. Bier war ein Arbeitergetränk. Wie müssen Brauereien denn auf diese neue Arbeitswelt, die Sie skizziert haben, reagieren?
Christian Weber: Die Konsummomente unterliegen einer gewissen Veränderung. Das Feierabendbier nach einem Tag in der Industrieproduktion am Fließband ist etwas anderes als wenn man nach einem Bürotag auf dem Weg nach Hause ist. Die Momente des Feierns sind mehr geworden, die Menschen haben mehr Freizeit, mehr Urlaub und mehr Zeit, um sich am Wochenende mit Freunden zu treffen. Die Konsumentscheidungen sind komplexer geworden. Es gibt nicht mehr nur die Kneipe in der Bahnhofstraße, es gibt viele verschiedene Orte – Essens- und Ausflugsgastronomie. Man braucht für die vielen verschiedenen Momente die jeweils passende Lösung. Wir haben da als Brauereien den Vorteil, dass Fassbier wie kein anderes Getränk für Erfrischung und Genuss steht. Das wird weiter unser Thema sein.
Hopfenhelden: Die Weinbranche hat sich ja verändert. Mir hat neulich jemand, der lange im Geschäft ist, erzählt, dass man früher in Restaurants, wenn man einen Wein bestellt hat, gefragt worden ist: ein Weißer oder ein Roter? Heute gibt es umfangreiche Weinkarten und viele Kellner können dazu auch einiges sagen. Müssen wir in der Bierbranche zumindest in einigen Bereichen auch anfangen, bessere Geschichten zum Bier zu erzählen?
Christian Weber: Was die Weinbranche geschafft hat, ist die Qualität des Produkts herauszustellen und darüber zu reden. Auch über Vielfalt. In der Brauereiwelt haben wir das über viele Jahre schon getan mit den zahlreichen Sorten, die unsere Biervielfalt in Deutschland prägen. Aber noch nicht genug. Die Zahl der Zapfhähne wird wichtiger. Dass man in der Gastronomie verschiedene Bierarten bestellen kann, wird in den Vordergrund rücken. Wir hatten ja immer schon Vielfalt – mit Weizenbieren, alkoholfreien Bieren oder Pilsbieren. Aber ich glaube, da kommt noch mehr. Worauf es ankommt: Geschichten erzählen und erklären, welche unterschiedliche Bierstile und welch große Vielfalt es gibt. Man darf aber nicht vergessen: Im Vordergrund steht bei unseren Gästen und Kunden immer das Bedürfnis nach einem guten, frisch gezapften Bier. Daran muss man auch festhalten und weiter in Zapfanlagen, in Qualitätssicherung, in Frische investieren. Das ist die Basis.
Hopfenhelden: Welche Rolle spielen dabei für Sie dabei die Craft-, die Kreativbrauer?
Christian Weber: Ich glaube, diese Brauereien haben etwas geschafft, das wirklich bemerkenswert ist. Sie haben wieder viele Bierarten, viele Bierstile auf die Agenda gesetzt, die etwas in Vergessenheit geraten sind. Das wird nachhaltig sein. Die Erfolgreichen sind die, die es schaffen, Bekanntheit zu erlangen oder sich lokal gut aufzustellen. Da haben es neue Brauereien als Existenzgründer in Deutschland natürlich ein Stück schwerer, weil es in vielen Teilen Deutschlands viele lokale Brauereien gibt. Das ist eine grundsätzlich andere Dynamik als in den USA, wo zuvor viele Brauereien verschwunden waren. Ich hoffe, dass viele der neuen Brauereien in Deutschland ein funktionierendes Geschäftsmodell aufbauen können, damit wir die Vielfalt in der Brauwirtschaft erhalten können und daraus Kreativität und neue Ideen entstehen. Wir merken aber auch, dass der Biermarkt eine Herausforderung für solch kleinen Strukturen ist. Wie überall. Wenn man sich zum Beispiel anschaut, was im Bäckerei- oder im Saftbereich passiert. Da gibt es viele, die neu anfangen und auch in neuen Kategorien denken. Es muss sich am Ende aber auch finanziell lohnen.
Hopfenhelden: Bleiben wir bei der Vielfalt der Bierstile: Ist ein Witbier, das mit Koriandersamen und Orangenschalen gebraut wird, unrein? Oder ist ein Trappistenbier, in das Kandiszucker und Kräuter reinkommen, nicht rein? Oder warum dürfen solche klassischen Biere in Deutschland wegen des sogenannten Reinheitsgebots nicht oder allenfalls mit Ausnahmegenehmigung gebraut werden?
Christian Weber: Das Reinheitsgebot lässt durchaus Ausnahmen zu – bis auf Bayern ist das in allen deutschen Bundesländern möglich. Und der Deutsche Brauer-Bund unterstützt und berät auch Brauereien, die begründete Ausnahmen durchsetzen wollen. Das Reinheitsgebot hat ja eine historische Rolle und ist eine der bemerkenswertesten Errungenschaften der Braubranche. Das ist etwas, das es nur in Deutschland gibt. Dieses Erbe zu bewahren, sollten wir alle als Verpflichtung sehen. Solch eine Errungenschaft aufzugeben, wäre ein großer Fehler. Natürlich muss man sich mit der Fragestellung auseinandersetzen: Wie gehen wir mit Bierstilen um, die im Ausland gebraut werden und die unter bestimmten Bedingungen in einigen Bundesländern gebraut werden? Ich bin der festen Überzeugung: Wir müssen bei den Konsumentinnen und Konsumenten ansetzen und sie fragen, was sie wollen, was ihnen wichtig ist. Und die Rückmeldungen der Konsumenten sind ja einhellig, nämlich dass das Reinheitsgebot zu bewahren ist. Die Umfragen sind klar. Der Konsument wünscht sich, dass es Bestand hat. Darüber hinaus gibt es die Fragestellung: Wie gehen wir mit Produkten aus Brauereien um, die sagen: „Wir wollen mal was anderes ausprobieren…“
Hopfenhelden: Die Österreicher haben ja vor ein paar Jahren eine Antwort auf diese Frage gegeben. Die hatten ja ein ähnliches Biergesetz und haben einfach einen sogenannten Kreativbier-Paragrafen ins Lebensmittelbuch geschrieben. Der besagt unter anderem, dass mit allen natürlichen Produkten, die als Lebensmittel gelten, gebraut werden darf. Nicht zugelassen sind künstliche Geschmacksstoffe. Milchsäuregärung ist ausdrücklich erlaubt. Also alles ganz rein und natürlich. Und die Österreicher fahren gut damit. Und wenn Sie Umfragen ansprechen: Wenn man Konsumenten fragt, ob sie es gut finden, dass ihr Bier durch Kunststoffpulver gefiltert wird, dann finden viele das gar nicht gut. Das wiederum ist aber in Deutschland erlaubt, weil der Kunststoff ja nicht zum Brauen verwendet wird.
Christian Weber: Die Diskussion vermischt viele Dinge. Jede Veränderung sollte den Anspruch haben, dass Dinge besser werden. Jetzt kann man Diskussionen führen, ob man jemandem erlauben sollte, Zucker zuzusetzen. Ich glaube, dass es das nicht besser macht.
Hopfenhelden: Das machen Trappistenmönche schon sehr lange so. Genauso wie in einigen Regionen Deutschlands Gose mit Salz und Kräutern oder Sauerbier wie Berliner Weiße gebraut wird. Wenn aber ein Brauer in Bayern das tun will, darf er das nicht, weil Bayern ähnlich wie Baden-Württemberg keine Ausnahmegenehmigungen erteilt – andere Bundesländer aber schon. Wobei es gerade die kleineren, kreativen Brauereien sind, die die Sondergenehmigungen mit all dem Papierkram und den Gebühren belasten. Und Bierstile, die aus anderen Ländern importiert werden und bei Kunden beliebt sind, dürfen deutsche Brauer selbst nicht anbieten. Dieses Regelwerk ist doch längst nicht mehr logisch. Zumal auf Etiketten heute eh draufstehen muss, was drin ist und doch jeder Brauer in seiner Werbung sagen kann, dass er nach dem Reinheitsgebot braut.
Christian Weber: Das Reinheitsgebot ist liberaler als sein Ruf – denn es gibt weitreichende Ausnahmeregelungen, von denen Brauereien Gebrauch machen können. Ich glaube, alle erfolgreichen Lebensmittelkategorien haben es geschafft, sich darauf zu konzentrieren, was den Konsumenten wichtig ist. Champagner ist für mich da ein sehr gutes Beispiel. Natürlich könnten die großen Konzerne, denen die Champagnerhäuser gehören, sagen: Für uns wäre es viel besser und auch billiger, wenn wir Champagner auch in China herstellen können. Aber das werden sie niemals tun. Ich glaube, dass das Reinheitsgebot die Errungenschaft ist, die es geschafft hat, das deutsche Bier besonders zu machen, es auch zu differenzieren zu Bieren aus anderen Ländern. Das wird den deutschen Brauereien langfristig etwas bringen. Wenn man anfängt, daran rumzutüfteln, wäre meine große Sorge, dass man es nicht besser macht. Dann wird vielleicht gesagt: Es geht nicht nur um Kreativität, es sollte auch um Kosten gehen, um Effizienz, um was auch immer… Das ist ein sehr gefährlicher Weg, auf den man sich da begeben würde. Und ich weiß nicht, warum man so etwas tun müsste, wenn die Konsumenten es gar nicht wollen. Warum an etwas rütteln, was gelebt und geliebt ist?
„Warum an etwas rütteln, was gelebt und geliebt ist?“
Christian Weber zum sogenannten Reinheitsgebot
Hopfenhelden: Man hat ja pünktlich zum 500. „Geburtstag“ 2016 versucht, das Reinheitsgebot in die Liste des Immateriellen Weltkulturerbes aufnehmen zu lassen. Die Unesco hat das abgelehnt. Ausgerechnet im Jahr der deutschen Reinheitsgebots-Feierlichkeiten wurde dann aber das belgische Bier zum Weltkulturerbe ernannt. Wäre es für den deutschen Brauerbund nicht an der Zeit, einen neuen Vorstoß zu wagen – nicht mit dem sogenannten Reinheitsgebot, sondern mit der deutschen Bierkultur generell?
Christian Weber: Das handwerkliche Bierbrauen wurde im Jahr 2020 als Immaterielles Kulturerbe in die deutsche UNESCO-Liste eingetragen. Das ist für uns ein ganz wichtiges Signal. Ich sehe die eigentlichen Herausforderungen für unsere Branche an anderen Stellen: Wie schaffen wir es, dass Menschen gerne in unseren Brauereien arbeiten? Wie können wir Brauereien als attraktiven Arbeitgeber positionieren? Wie gehen wir mit dem Thema Investitionen um? Für viele Unternehmerinnen und Unternehmer geht es aktuell um dringende Investitionen in ihre Anlagen, um Energieeffizienz, um neue Brautechnologien, um die Einsparung von Gas und Wasser, um Investitionen ins Mehrwegsystem und die Digitalisierung. Das sind Themen, die Brauereien in Deutschland beschäftigen, auch wenn es darum geht, in Generationen zu denken. Und wir als Brauer-Bund müssen uns damit beschäftigen, wie das in Deutschland möglich gemacht werden kann: Wie sind die Rahmenbedingungen dafür, dass wir die Freiheit haben, weiter unseren Beruf auszuüben und Brauerinnen und Brauer zu sein? Es gibt da aktuell einige Regulierungsversuche der Politik, die zurecht umstritten sind. Wenn man sich zum Beispiel die Verpackungsverordnung anschaut, die aus Brüssel kommt – es gibt viele Punkte, an denen wir angegriffen werden. Umso wichtiger: Wir müssen in der Lage sein, zu investieren und Menschen für uns zu begeistern.
Hopfenhelden: Ich habe wegen der Verpackungsverordnung bei der EU-Kommission nachgehört. Da wird das deutsche Mehrwegsystem sogar ausdrücklich gelobt und versichert, dass die Verordnung dieses System absichert.
Christian Weber: Ja, aber erst nach Diskussionen mit dem europäischen und dem Deutschen Brauer-Bund. Dennoch gibt es noch viele offene Fragen für die Verbände. Für mich steht fest: Das deutsche Mehrwegsystem und das deutsche Reinheitsgebot zu schützen, sind zwei große Kernaufgaben unserer Arbeit.
(Das Foto oben zeigt Christian Weber. Foto: DBB/CHL PhotoDesign)
(10. August 2023)