So much to drink, so little time! Wir bräuchten da doch mal eine Empfehlung, bitte. Welches Bier ist das Beste? Craft Beer Professionals stellen ihre Favoriten vor. Heute: Volker R. Quante, Hausbrauer, Bierblogger und Reisender in Sachen Bier präsentiert seine liebsten polnischen Biere.
Polen? Jawoll, Polen, denn weitgehend unbemerkt in Deutschland hat sich dort eine fantastische Craft-Bierszene entwickelt. Meine liebsten polnischen Craft-Biere, also, hier sind sie:
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Browar Pinta: Atak Chmielu
Atak Chmielu – Der Angriff des Hopfens – das erste polnische Craft-Bier überhaupt, gebraut von den Craft-Bier-Pionieren Pinta (Ziemowit Fałat, Grzegorz Zwierzyna und Marek Semla), die als Gipsy-Brewer angefangen, mittlerweile aber auch eine eigene Brauerei haben. Ein knackig-hopfiges India Pale Ale mit schönen, aber nicht zu dominanten Fruchtnoten im Aroma und einem vollen, malzigen Körper, der die Hopfenbittere sauber ausbalanciert. 6,1% Alkohol und 15,1% Stammwürze sind für ein IPA recht wenig, die 58 Bittereinheiten kommen aber deutlich durch. Ein rötlich funkelndes, grundsolides IPA, und seinerzeit (2011) ein fulminanter Auftakt für die polnische Craft-Bier-Revolution.
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Artezan: Pacific Ale
Ein süffiges Pacific Ale, wie es nur selten zu finden ist. Gebraut von der Brauerei Artezan, der ersten echten Handwerks-Brauerei in Polen. Drei junge Leute (Jacek Materski, Dariusz Doroszkiewicz und Piotr Wypych), die ohne den Umweg über das Gypsy-Brewing kurzerhand ein eigenes Sudwerk aus alten Milchbehältern und Mischkesseln aus der Kosmetikindustrie konstruiert haben. Das Bier verursacht eine Explosion fruchtiger Noten in der Nase – Mango, Maracuja, Grapefruit und Limone. Und ein Hauch Weintrauben ist zu spüren. Dann ein erfrischender, schlanker und recht trockener Geschmack. Die 45 Bittereinheiten fallen ob der fruchtigen Frische gar nicht so ins Gewicht. Mit 5,0% Alkohol nicht zu stark und somit ein wunderbares Bier (nicht nur) für den Sommer. Mein Lieblingsbier nicht zuletzt deshalb, weil ich an der Rezeptur mitgearbeitet habe.
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Ursa Maior: Pantokrator
Kurz vor der ukrainischen Grenze, am gefühlten Ende der Welt, braut Agniesza Łopata in ihrer Regionalbrauerei Ursa Maior geniale Biere. Der Pantokrator, der All-Herrscher, ist ein Belgisches India Pale Ale, soll heißen, ein kräftig mit amerikanischen Sorten gehopftes, etwas stärkeres Bier, vergoren aber mit einer belgischen Ale-Hefe, was die herb-fruchtigen Hopfennoten mit wunderbaren und komplexen estrigen Noten von überreifen, dunklen Früchten ergänzt. 6,5% Alkohol bei einem Stammwürzegehalt von 16,4% zeugen von einem kräftigen, aber nicht übermäßig starken Bier. Dass die polnische Katholische Kirche sich über den angeblichen Missbrauch des Titels Pantokrator aufregt, tut der ausgezeichneten Qualität dieses Bieres keinen Abbruch.
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Pracownia Piwa: Dwa Smoki
Tomasz Rogaczewski und Marek Bakalarski brauen in ihrer Pracownia Piwa, der Bierwerkstatt, unweit von Krakau eine Reihe erfolgreicher Biere. Ihr bestes ist das Wit IPA Dwa Smoki, das die erfrischende Spritzigkeit eines belgischen Witbiers mit der knackigen Hopfung (Centennial, Citra, Chinook und Columbus) eines amerikanischen India Pale Ales paart. Sehr hell, sehr herb, sehr spritzig, sehr lecker. Ungemein süffig, 5,8% Alkohol, 14,0% Stammwürze, und mit der Zugabe von Kamille, Koriander und Orangenschale definitiv nicht nach dem Deutschen Reinheitsgebot. Der Name Dwa Smoki ist ein Wortspiel: Smok heißt sowohl Drache als auch Schnuller, und der Name spielt somit sowohl auf das Krakauer Wappentier, den Drachen, als auch auf die beiden Schnuller der Zwillinge an, zu deren Geburt Tomasz dieses Bier entworfen hat – zwei Schnuller / zwei Drachen. Ach ja, und mittlerweile bezeichnet er seine beiden Jungs auch schon als Drachen, so frech wie sie geworden sind…
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Żywiec: Porter
Craft-Bier oder nicht? Da streiten sich die Geister. Die Grupa Żywiec ist eine große Brauereigruppe und gehört zu Heineken, aber ihr Porter lässt sie von Brauer Dominik Szczodry in der Schlossbrauerei Cieszyn ganz handwerklich brauen. Das uralte Sudwerk mit einem gusseisernen, rechteckigen (!) Sudkessel und der Keller mit den offenen Gärbottichen sind sehenswert. Das Porter überzeugt mit einem ungeheuren Malzkörper, Aromen von Röstmalz, Kaffee, Mokka, schwarzer Schokolade und einem knackig-bitteren Abgang, den ein paar Lakritznoten zieren. Eine Wucht – nicht nur geschmacklich, sondern auch in der Wirkung, denn die für diesen Bierstil, ein Baltic Porter, typischen 9,5% Alkohol sind nicht ohne. Nicht ohne Grund wird das Bier nur in kleinen 0,33-l-Flaschen verkauft. Ein besonderer Tipp: Das Bier im Keller ein paar Jahre reifen lassen, es wird immer runder, weiniger, ausgewogener. Eine echte Delikatesse, ob nun Craft oder nicht.
P.S. Kennern der polnischen Bierszene mag aufgefallen sein, dass ich DEN typischen Bierstil Polens schlechthin, das Grodziskie oder Grätzer Bier nicht erwähnt habe. Ein leichtes Rauchweizen mit gerade mal 3,0% Alkohol, und in den siebziger Jahren, als man es noch nicht so eng sah, als Autofahrerbier beworben. Ein erwähnenswerter Bierstil, sicher, aber erstens gibt es ihn im Original nach zwanzigjähriger Pause erst seit wenigen Wochen wieder, und zweitens – Asche über mein Haupt – schmeckt mir die Kombination Rauch und Weizen persönlich nun leider überhaupt nicht. Ich bitte um Verständnis…