Schneeeule Berliner Weiße. Foto: Martin Rolshausen

Der letzte Flug der Schneeeule?

Martin Rolshausen

Als Lou Reed anfängt, vom perfekten Tag zu singen, ist Andreas Peter Schnitz gerade dabei, wie eine Flipperkugel zwischen „himmelhoch jauchzend“ und „zu Tode betrübt“ hin und her zu springen. „Die letzten sieben Jahre waren geil. Wir haben so viel erlebt. So viel gemacht. Auch viele Fehler, denn wir hatten ja von nix eine Ahnung“, sagt er. „Just a perfect day – drink Sangria in the park“, säuselt Lou Reed aus dem Lautsprecher. Andreas scheint kurz weit weg zu sein: „Wir haben so wundervolle Leute kennengelernt.“ Dann ist er wieder in der Gegenwart: „Aber wenn es nicht geht, geht es nicht.“

Das Schreckgespenst

Es ist ein Donnerstagabend im Wedding. Andreas Peter Schnitz sitzt auf einem kleinen Sofa in der hintersten Ecke des Salons für Berliner Bierkultur und malt ein Schreckgespenst an die Wand. Die gemütliche Kneipe ist das Wohnzimmer der Schneeeule Brauerei. Einer Brauerei, die es bald vielleicht nicht mehr gibt, wie Andreas befürchtet. Er ist der Mann der Frau, die der kreative Geist und das Gesicht der Brauerei ist: Ulrike Genz. Eins der erfolgreichsten Schneeeule-Biere haben die beiden nach ihrer Tochter benannt: Marlene. Wobei: „Das passt auch gut zu Berlin“, findet Andreas. Er ist zwar an diesem Abend, der der redet, während Ulrike sich um die Gäste kümmert. Aber er bleibt insgesamt lieber im Hintergrund – also: „Kein Foto von mir, bitte.“

„Für die Fehler, die wir gemacht haben, haben wir geradegestanden, die haben wir ausgebügelt. Aber für den Krieg und die Inflation können wir nichts“, sagt Andreas. Und schiebt nach: „Das letzte Jahr vorm Krieg war das beste Schneeeule-Jahr ever.“ Der Krieg, das ist der Russlands gegen die Ukraine. Ein Krieg, der die Energie-, die Rohstoff- und die Transportkosten steigen ließ. Und ein Krieg, so beschreibt es zumindest Andreas, den einige, die den Hals nicht voll kriegen, dazu nutzen, so richtig abzukassieren.

Das Unternehmen, dass der Schneeeule die Räume vermietet, in denen sie – rund fünf Kilometer vom Salon für Berliner Bierkultur entfernt – ihre Brauerei eingerichtet hat, gehört dazu, erklärt Andreas. Die Nebenkosten seien über die wirklichen Energiepreissteigerungen hinaus erhöht worden. Die neue Abrechnungsmethode sei für die Brauerei nicht nachvollziehbar. Man habe zwar bereits eine Vermieterin gefunden, die der Schneeeule anderswo in Berlin deutlich bessere Konditionen angeboten hat, aber die Frage sei, ob der jetzige Vermieter das kleine Unternehmen ziehen lässt.

„Es ist dann halt weg, kommt auch nicht wieder“


Ein Anwalt sei an der Sache dran, aber, befürchtet Andreas: „Wenn wir aus dem Mietvertrag nicht rauskommen, bleibt wohl nur die Insolvenz.“ „Es ist dann halt weg, kommt auch nicht wieder, denn so einen Quatsch wie ich macht ja sonst niemand“, sagt Ulrike. Sie ist gerade 50 geworden. Wobei das keine Rolle spiele. Sie hat ja schonmal ganz neu angefangen.

„Der Quatsch“ ist nicht weniger als ein Stück Berliner Kultur. Die hat Ulrike den Berlinern vor sieben Jahren „zurückzugeben“, wie sie es formuliert: „die echte Berliner Weisse“. Also nicht irgendein Mixgetränk mit Sirup, dass in einer Industriebrauerei hergestellt wird. Den Plan, mit dessen Umsetzung Ulrike 2016 begonnen hat, beschrieb sie einmal so: „Durch die Verwendung historischer Hefen, die wir aus den Flaschen der letzten Brauereien, die nach dem Zweiten Weltkrieg existiert haben, gewinnen, versuchen wir so nahe wie möglich an das Original zu kommen. Eine Weisse in der Flasche vergoren und praktisch unbegrenzt haltbar.“

Im Kühlschrank der Schneeeule steht ganz besondere Berliner Weisse. Foto: Martin Rolshausen

Die erste Bekanntschaft mit der Berliner Weissen hatte Ulrike, die sich entschieden hatte, von der Bauwirtschaft in die Brauwirtschaft zu wechseln, gemacht, als sie in ihrem zweiten Studium ein Fest der Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei in Berlin (VLB) besuchte. VLB-Braumeister Kurt Marshall hatte eine Berliner Weisse gebraut. Ulrike war fasziniert und ist es heute noch: „Davon konnte man einige trinken, ohne dass es einen umhaut.“ Ein Bier, das bei ihr keinen Kater verursachte – wundervoll. Das Problem war: Das, was Marshall da gebraut hatte, war im Handel nicht zu bekommen. Selbst ist die Frau, dachte Ulrike. Die Geschichte der Schneeeule begann.

„Durch die Reifung in der Flasche erhält die Weisse ihr unverwechselbares Aroma. Je länger das Bier reift, desto feiner werden die Aromen und die Perlage. Um auch modernen Craft-Beer Bewegung Tribut zu zollen, spielen wir mit bei dem Spiel. Durch Reifung in Holzfässern und die Verwendung verschiedener Aromaten wie Ingwer, Blüten oder Chillies verpassen wir der Berliner Weiße einen modernen Twist“, erklärt Ulrike ihre Kunst.

Ein Stück Berliner Kultur

Auch Lemke, Berliner Berg und BRLO brauen besondere Weisse – die Berlinerinnen und Berliner sind aber nicht übermäßig an der Rettung und Neubelebung des Bierstils interessiert. Das trifft eine kleine Brauerei wie die Schneeeule, die ausschließlich Berliner Weiße herstellt, besonders hart. „Unser Bier ist in der Berliner Spitzengastronomie. Das ist gut fürs Image, bringt aber in diesen eher kleinen Mengen kaum Geld. Wir kaufen mehr Bier in den USA als in Deutschland, mehr als doppelt so viel“, sagt Andreas. Die Schneeeule exportiert außerdem nach Südamerika, nach Asien und in viele europäische Länder.

Dass die Transportkosten teilweise um das Doppelte bis Dreifache gestiegen sind, mache der Brauerei schwer zu schaffen, rechnet Andreas vor. Das eh schon hochpreisige Spezialitäten-Bier werde so noch teurer. Diese Entwicklung in Kombination mit dem Vermieter-Ärger zwinge die Schneeeule wohl im Januar in die Knie.

Der Schneeeule Salon für Berliner Bierkultur soll offen bleiben. Foto: Martin Rolshausen

Die Brauerei – nicht den Salon für Berliner Bierkultur. Den könne man wohl halten, denn zum einen habe man ja noch einiges an Bier im Lager. Das ist auch unter anderem über den Online-Shop weiter im Verkauf. Zum anderen gibt es hier keinen Stress mit dem Vermieter. Ulrike und Andreas hoffen zwar noch auf eine positive Wendung auch für ihre kleine Brauerei. Aber sehr groß ist diese Hoffnung nicht.

Denn Hilfe sei eher nicht zu erwarten. „Wir kennen keine reichen Leute, die investieren. Wir hatten nichtmal einen Businessplan, als wir angefangen haben“, sagt Andreas. „You’re going to reap just what you sow“, singt Lou Reed. Das mit dem „du wirst ernten, was du gesät hast“ klingt gut. Aber Lou Reed meinte das nicht unbedingt vorfreudig. Er besingt die Früchte seiner Sucht. Andreas hebt den Kopf und hört Lou Reed ein paar Takte lang zu. „Ein fröhlicher Text“, sagt er, „mit trauriger Melodie.“

(23. November 2023)