Michéle Hengst, Berliner Berg Brauerei

Bier – nur für Berlin

Martin RolshausenBier, Im Gespräch, Uncategorized

„Selbst in einer Stadt wie Berlin ist der Hunger auf Bierstil-Vielfalt verhalten.“ Michéle Hengst stutzt kurz. Dann stellt sie fest, dass ihr dieser Satz dafür, dass er ganz spontan kam, sehr gut gelungen ist. Michéle ist Geschäftsführerin der Berliner Berg Brauerei und liebt die Vielfalt. Sie sagt aber auch: „Wer bin ich denn, dass ich Menschen über Geschmack belehre. Ich möchte niemanden belehren, was er zu trinken hat.“ Biertrinkerinnen und Biertrinkern ein Angebot machen, möchten sie und die anderen von Berliner Berg aber schon.

Die Brauerei in Neukölln. Foto: Martin Rolshausen

„In Berlin sind wir in einer besonderen Situation“, erklärt Michéle. Welche Biermarke man bevorzugt, hänge oft davon ab, in welchem Teil der Stadt man groß geworden ist. Berliner Kindl, Schultheiss, Berliner Pilsner, Engelhardt Charlottenburger Pilsener, Berliner Bürgerbräu, Märkischer Landmann – sie wolle all diese Biere „nicht verteufeln“, sagt Michéle. Auch sie trinke mit Freunden „in der Pinte mal ein Schulle“. Aber die Biere, die den Berliner Markt dominieren sind nun mal alles Produkte der Radeberger Gruppe, die wiederum zur Dr. August Oetker KG gehört.

Zu diesen „Oetker-Großkonzern-Bieren“ wollte Berliner Berg bei Gründung des Unternehmens 2015 eine Alternative bieten. Eine echte Berliner Brauerei. Verwurzelt in der Stadt. Denn es gehe beim Bier immer auch ums Gefühl, um die Geschichte. Deshalb haben sich die Leute von Berliner Berg immer schon nicht als Revolutionäre verstanden, die die Craft-Beer-Bewegung von den USA nach Deutschland bringen. Man sehe sich hier „in der Berliner Biertradition“, auch wenn man ihr die ein oder andere moderne Note gibt.

Pilstulpen sind für Berliner Berg ein gutes Symbol für lokale Verankerung. Foto: Martin Rolshausen

Deshalb ist es auch kein Zufall, dass die erste Anlage, die das junge Team in Neukölln hat bauen lassen, eine Sauerbierspezialitäten-Brauerei war. 2018 wurde im Hinterhof einer ehemaligen Schmalzfabrik die erste Berliner Weisse von Berliner Berg gebraut. Inzwischen hat das Unternehmen das Sortiment aus- und eine neue, größere Brauerei gebaut. Neukölln ist man treu geblieben.

10.000 Hektoliter können seit 2021 in der neuen Brauerei produziert werden. Eine Kleinigkeit im großen Berliner Biermarkt – dem „wichtigsten Markt in Deutschland“, wie Michéle sagt. In Berlin wollen sich viele ihre Marktanteile sichern. Und eine kleine Brauerei könnte da schnell unter die Räder kommen. Berliner Berg ist es allerdings gelungen, sich zu etablieren.

„Aus Neukölln. Für Berlin.“ So lautet ein Slogan von Berliner Berg an einer Wand im Biergarten. Foto: Martin Rolshausen

Unter anderem deshalb, weil man sich auf Berlin konzentriert. Den gesamtdeutschen Markt oder sogar den Export hatte Berliner Berg nie im Blick. Aber anfangs habe man „überall hin verkauft, wenn jemand Interesse hatte“, erzählt Michéle. im vergangenen Jahr hat sich Berliner Berg dann aber ganz bewusst entschieden, sein Bier exklusiv in der Region zu verkaufen – und zwar in einem Radius von 50 Kilometern um den Neuköllner Brauerei-Schornstein. „Aus Neukölln für Berlin“, sagt Michéle.

Diese Entscheidung sei auch ein „Statement für Nachhaltigkeit“, erklärt sie. Bier muss nicht durch ganz Deutschland gekarrt werden. Denn andernorts haben sie ja auch gutes Bier. Zum anderen unterstreicht diese 50-Kilometer-Festlegung das Selbstverständnis von Berliner Berg, das Michéle so formuliert: „Wir wollen Biervielfalt. Wir wollen eine moderne Brauerei sein und neue Sachen entdecken. Gleichzeitig sind wir aber eine Berliner Brauerei. Deshalb brauen wir natürlich Pils, Berliner Weisse und bewusst kein klassisches Helles.“

In der Brauerei in Neukölln wird nur in Fässer abgefüllt. Foto: Martin Rolshausen

Was Berliner Berg von vielen anderen jungen, kreativen Brauereien unterscheidet: In Neukölln wird nur in Fässer abgefüllt. Man hat zwar auch Flaschen im Angebot, der Absatz ist aber zurzeit so gering, dass sich eine eigene Reinigungs- und Abfüllanlage nicht lohnt. Das Bier wird dazu nach Braunschweig gebracht.

Fass heißt: „Unser Fokus liegt auf der Gastronomie. Und für die Bierqualität ist das fantastisch“, sagt Michéle. Es gibt Biere, etwa ein Stout, das wird nur in der Gastronomie angeboten – und im eigenen Biergarten neben der Brauerei. Dort gibt es auch mitunter Sude vom Fass, die das Brauereigelände überhaupt nicht verlassen. Generell gelte: Wer Berliner Berg trinken will, muss in Berlin leben oder nach Berlin kommen.

Dieser Aufforderung am Büro der Brauerei kommen die Berlinerinnen und Berliner gerne nach. Foto: Martin Rolshausen

Das sei „ein Weg der schwerer ist, den wir aber bereit sind zu gehen“, sagt Michéle. Es gehe um „unternehmerische Verantwortung und gesundes Wachstum“. Dass sich in der Berliner Gastronomie gerade ein Generationswechsel vollziehe, helfe dabei. Bei Berliner Berg hat man die Erfahrung gemacht: Die jüngeren Wirte, Club- oder Restaurantbetreiber „wollen freier sein, unabhängiger arbeiten“ und sich nicht durch Verträge von großen Brauereien knebeln lassen. Gleichzeitig machen sich immer mehr Menschen in der Gastronomie „traditionelle Gedanken darüber, was ein Bier sein soll“. Und dadurch steige das Interesse an lokalen, handwerklich gebrauten Bieren.

Bier ist auch Heimat

Das bedeute aber nicht, dass das Interesse an möglichst vielen Bierstilen wachse. Berliner Berg hat neben Pils, Lager und Berliner Weisse unter anderem auch IPAs im Sortiment. In diesen Tagen bringt Berliner Berg auch ein Rotbier auf den Markt. Auch das sei traditionell. Jenseits der Berliner Tradition habe sich in Berlin im größeren Stil nur das Pale Ale etabliert. Was auch daran liege, dass in Berlin viele Menschen leben, die Pale Ale aus ihrer Heimat kennen. Und das sei Bier nun einmal auch: Heimat.

(25. Oktober 2023)