„Es könnte der Anfang einer neuen Ära der Bierkultur sein: Europas unabhängige Brauereien stehen auf gegen die Marktmacht der globalen Bierindustrie. Dem Trend zum internationalen Einheitsgeschmack setzen sie ein bewusstes Bekenntnis zur Vielfalt und zur regionalen Braukultur entgegen.“ Was nach einer Mischung aus Revolution und Science Fiction klingt, hat bereits begonnen. Dies Kampfansage hat die im vergangenen Jahr gegründete Gruppe „Independent Brewers of Europe“ (IBE) gemacht.
Sie versteht sich als europaweite Interessensgemeinschaft der unabhängigen Brauereien. „IBE tritt gegen Missstände auf dem Biermarkt an. Es geht darum, die Vielfalt der handwerklich gebrauten Bierspezialitäten zu verteidigen und ihnen eine ausreichende Marktpräsenz zu sichern, damit Bierliebhaberinnen und Bierliebhaber auch in Zukunft ungehinderten Zugang zu echten, regionalen Bierspezialitäten finden“, lautet die Mission.
Vorsitzender der neuen Vereinigung ist Hubert Stöhr, Geschäftsführer der Brauerei Schloss Eggenberg und Obmann der Unabhängigen Privatbrauereien Österreichs. Er wirkt nicht wie ein Revolutionär, eher sehr bodenständig. Ein ruhiger, besonnener Mensch. Er spricht von „Diversität im Markt“, über die Gründung von Arbeitsgruppen, über den Austausch und gemeinsame Strategien.

„Jeder will regional und bio“, sagt Hubert Stöhr, aber dann im Supermarkt greifen dann die meisten doch zu einem Konzern-Bier. Mehr als die Hälfte des Biers, das in Österreich verkauft wird, kommt zum Beispiel von der Brau-Union, also aus dem Heineken-Konzern. „Den Endkonsumenten wird oft etwas vorgespielt“, erklärt Stöhr. Der Konzern habe viele Marken, aber „eine Vielfalt der Marken ist keine Vielfalt der Brauereien“. Das sei vielen Bierlieberinnen und Bierliebhabern nicht klar. Deshalb, sagt Stöhr, „haben die Engländer zum Beispiel eine kleine Suchmaschine, da kann man die Biermarke eingeben und es wird gezeigt, wo die hingehören“.
3000 Brauereien aus 10 Ländern in Europa sind inzwischen in der neuen Initiative, sagt der Vorsitzende. Die Initiative für die „Independent Brewers of Europe“ ging von den „Unabhängigen Privatbrauereien Österreichs“ aus, die sich ihrerseits vor knapp drei Jahren zusammengeschlossen haben und sich seither für „den Erhalt der spezifisch österreichischen Braukultur“ einsetzen. Die „Independent Brewers of Europe“ bestehen aus nationalen Verbänden von unabhängigen Brauereien. Vom Start weg dabei sind Vereinigungen aus Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, Niederlande, Österreich, Polen, Schweiz, Tschechien und dem Vereinigten Königreich. Er alles dabei ist, lest Ihr hier.
Gegen den Massengeschmack
„Wir haben ein gemeinsames großes Ziel. Wir wollen die autochthon gewachsene Bierkultur in all ihrer Diversität beschützen und ihre Weiterentwicklung ermöglichen“, erklärt Stöhr. Es gehe um viel. Europa verfüge über eine reiche Bierkultur. „Im Laufe der Jahrhunderte, aber auch mit der Craft Bier Bewegung der vergangenen Jahre, haben sich von Irland bis Polen und von Norwegen bis Spanien regionale Brautraditionen entwickelt, die zum gemeinsamen kulturellen Erbe Europas gehören. Dieses Erbe ist in Gefahr, denn der Markt wird zunehmend von wenigen internationalen Großbrauereien dominiert. Diese weltweit agierenden Konzerne richten ihre Produktion konsequent nach dem Massengeschmack aus. Wer so viel Bier braut und verkauft, kann sich nicht um Spezialitäten kümmern. Mit steigender Marktkonzentration sinkt die Vielfalt, darüber hinaus tobt in den meisten europäischen Ländern ein gnadenloser Preiskampf“, beschreibt die Initiative die Ausgangslage.
So könne es nicht weitergehen. Die „Independent Brewers of Europe“ wollen deshalb „dieser Abwärtsspirale entgegenwirken“. „Sie wollen sich für mehr Vielfalt und Wahlfreiheit einsetzen. Sie wollen sich gegenseitig unterstützen und für eine bessere Sichtbarkeit der unabhängigen Brauereien sorgen. Ziel ist es nicht, gegen die Global Players zu kämpfen, sondern mit ihnen auf sportliche und faire Weise zu konkurrieren, so dass die Konsumentinnen und Konsumenten die Möglichkeit haben, unter mehr geschmackvollen Produkten auf dem Markt zu wählen“, heißt es im Programm.
Bessere Sichtbarkeit der unabhängigen Brauereien
Den ersten Versuch eines Zusammenschlusses habe es bereits 2019 in Belgien gegeben, „doch wegen der Covid-Pandemie und der folgenden Wirtschaftskrise mussten konkrete Aktivitäten zunächst aufgeschoben werden“, heißt es in einer Mitteilung der Initiative. Im Januar 2024 machten die „Unabhängigen Privatbrauereien Österreichs“ einen neuen Anlauf und luden zu einem Treffen nach Wien, um mit Gleichgesinnten in ganz Europa aktuelle Probleme und mögliche gemeinsame Strategien für eine Vorwärtsentwicklung zu besprechen. „Dabei stellte sich heraus: So unterschiedlich die nationalen Märkte auch sind – überall sind die „Unabhängigen“ mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert“, sagt Stöhr. Seine Initiative nennt einige Beispiele:
- Unfaire Marktpraktiken: Internationale Bier-Konzerne beliefern in Frankreich die Gastronomie mit speziellen Gebinden, die mit den Fässern der Privatbrauereien nicht kompatibel sind. Gastronomiebetriebe, die eine der großen Biermarken führen, können damit von Privatbrauereien nicht mehr beliefert werden. Somit wird ihnen der Zugang zum Markt unmöglich gemacht.
- Vortäuschung von Regionalität: In Österreich bietet ein internationaler Konzern scheinbar regionale Marken an. Die Auftritte dieser Marken suggerieren österreichische Produkte, die aus unterschiedlichen Regionen stammen. In Wahrheit steht einer der weltgrößten Biermultis dahinter.
- Gezielte Marktkonzentration: Internationale Braukonzerne kaufen regionale Brauereien auf und gliedern sie in ihre Konzernstruktur ein. Vom ursprünglich eigenständigen Bier bleibt dann bestenfalls eine Marke. Am Beispiel Deutschland: Wer kennt nicht Beck’s aus Bremen, Spaten, Löwenbräu oder Franziskaner? Doch das sind „nur“ mehr Namen und gehören seit dem Jahr 2008 allesamt dem größten Bierkonzern der Welt.
- Dominantes Marketing: Bierwerbung ist ein Milliarden-Business. Jedes Jahr werden Unsummen in Kommunikation und Marketing gepumpt. Regionale Familienbrauereien können da nicht mithalten. So verlieren sie immer mehr an Sichtbarkeit, ihr Bekanntheitsgrad wird von den intensiven Marketingmaßnahmen der Bier-Multis überdeckt.
- Preiskampf: Die Kostenvorteile der Konzerne durch Massenproduktion werden für einen harten Preiskampf genutzt, der vom Handel zumeist unterstützt wird. Private Brauereien verlieren kostbaren Regalmeter in den Supermärkten. In der ohnehin aktuell schwer gebeutelten Gastronomie erhält oftmals jene Biermarke den Zuschlag, die den besten Einkaufspreis bieten kann.
„Die Übermacht der Konzernbiere ist in allen Ländern spürbar“, sagt Mike Benner, Geschäftsführer der SIBA, der Gemeinschaft der unabhängigen Brauereien in Großbritannien. Und: „Wir werden für Tausende Brauereien eine Stimme sein, von den einzelnen Ländern bis nach Brüssel, wo wir bislang viel zu wenig Gehör finden.“ Es klingt nach einer Mischung aus Revolution und Science Fiction.
(Gruppenfoto: Unabhängige Brauereien Österreichs/Foto von Hubert Stöhr: Martin Rolshausen)
(16. Januar 2025)