Belgische Bierbar

HERMAN: Das Leben ist Lambic

Nina Anika Klotz

Teppichhändler, Regisseur, Zapfer: Als Bart Neirynck seine belgische Bierbar Herman in Berlin-Prenzlauer Berg eröffnete, dachte er nicht, dass die mal so etwas wie eine Craft Beer Bar würde. Weil die Belgier das Wort Craft Beer auch nicht so mögen

Das Leben ist Lambic.
Könnte man sagen.
Manches passiert irgendwie einfach so. Ganz spontan.

Nehmen wir zum Beispiel das Leben von Bart Neirynck: Geboren und aufgewachsen in Südwestflandern, sieben Jahre Kunststudium in Gent, Malerei, dann ein Jahr in den USA, wo er sich am San Francisco Art Institute für „Underground Filmmaking“ einschrieb. „Das ist so die Schule von Stan Brakhage, Jonas Mekas, Ernie Gehr“, erklärt der Belgier. „Eher abstrakte Filme. Wobei ich selbst eigentlich auch immer gern narrativ arbeiten wollte. Ich wollte Spielfilme machen. Von Orson Welles bin ich zum Beispiel ein großer Fan.“

Nach seiner Rückkehr nach Belgien arbeitet Neirynck aber erst einmal im Teppichunternehmen seines Großvaters. Mit dem Geld, das er verdient, zieht er dann nach Rom. „Die haben eine ziemlich lebendige Filmszene da.“ Statt aber so richtig tief in der, landet der Belgier in der ewigen Stadt hinter dem Tresen einer schwedischen Bar am Campo de‘ Fiori . Er lernt Zapfen, Italienisch und vor allem seine Freundin kennen. Eineinhalb Jahre später zieht er zu ihr nach Deutschland. Nach Berlin.

Zapfhahn statt Pinsel und Regiestuhl

Hier arbeitet der Filmemacher sieben Jahre in einem Irish Pub. Er versteht mehr und mehr wie das geht, das Bar-Machen. Gefällt ihm, irgendwie, und im Dezember 2012 eröffnete Bart Neirynck aus Südwestflandern, der eigentlich Malerei studiert hat und Filme machen wollte, eine belgische Bierbar in Berlin-Prenzlauer Berg, benannt nach seinem früheren Deutschlehrer – Herman. „Ich bin überhaupt nicht melancholisch oder so“, sagt der Belgier an einem Sommernachmittag, kurz bevor er das große Glasfenster zur Straße hin und damit seine Bar für den heutigen Abend öffnet. „Wenn Film für mich erst einmal kein Thema ist, mache ich eben diese Bar. Das andere läuft mir ja nicht weg. Filme, die ich mag, kann ich immer noch jederzeit schauen.“ Dann lächelt er – ein ganz kleine bisschen, ist generell mehr so ein nur-ein-ganz-kleines-bisschen-Lächler, der Belgier. „Ich glaube allerdings, dass ich in mir drin schon immer noch ein Filmemacher bin. Ich denke wie einer.“

Belgische Bierbar

Der Herr, der so sanft von der Getränkekarte lächelt, ist der Deutschlehrer, nach dem die Bar benannt ist. Zudem hängt das gesamte Bierangebot an der Wand hinter dem Tresen. (Fotos: NAK)

Das mit dem belgischen Bier, das war etwas, das „irgendwie nahelag“. „Ich habe immer gern Bier getrunken, bin aber kein Bierfetischist“, sagt der Belgier. Und zugegeben: „In gewisser Weise war es schon ein besonderer Reiz, ausgerechnet hier, im Land des Bieres, eine Bierbar zu eröffnen.“ Vor allem aber ist Bart Neirynck mit seiner Bar angetreten, ein bisschen aufzuräumen mit den Vorurteilen über sein Heimatland. Die Deutschen wüssten in der Regel nur wenig über Belgien, und vieles des Wenigen sei noch dazu falsch: Flamen und Wallonen stehen keineswegs ständig kurz vor einem Bürgerkrieg, Belgien ist nicht nur ein mausgrauer EU-Beamten-Sitz oder eine gelblich beleuchtete Autobahndurchfahrt nach Frankreich und – „Das stört mich jedes Mal unheimlich!“ sagt der Kunsthochschulabsolvent – Rubens war kein niederländischer Maler.
Rubens. War. Belgier. Merken!

Die deutsche Unwissenheit setzte sich in Sachen belgisches Bier fort: Nein, Hoegaarden ist kein holländisches sondern belgisches Bier und nicht alle Biere aus Belgien sind Fruchtbomben, sauer oder wie-auch-immer-wunderlich-aufgeputschte Kapitalverstöße gegen das Deutsche Reinheitsgebot. „Ich finde dieses Reinheitsgebot an sich ja gar nicht schlimm“ sagt der nachsichtige Belgier. „Es zeigt halt einfach ganz gut, wie die Deutschen ticken.“ Man könne daraus eine gewisse Ablehnung gegen alles Unvorhersehbare ablesen, findet er. Dabei ist doch eigentlich wie gesagt das ganze Leben wie spontanvergorenes Bier: Man weiß nie ganz genau, was am Ende rauskommt.

In Belgien nennen sie es Bier

Den meisten Gästen im Herman ist das Deutsche Reinheitsgebot piepegal. Das sind nämlich keine Deutschen. „Der Anfang war sehr schwer. Und als nach zwei Wochen endlich die ersten Gäste hier reingetropft kamen, waren das Skandinavier, Amerikaner und Engländer“, erzählt Neirynck. Bis heute wird im Herman mehr Englisch als Deutsch gesprochen, wobei der Anteil der Deutschen ständig wächst. Vorallem jüngere Deutsche kommen. Oft und gern aus der Craft Beer Fraktion.

Die schätzt der Barmann, wenngleich das Herman nicht wirklich als Craft Beer Bar zu verstehen ist: „Ich kenne keine belgische Brauerei, die sich selbst als Craft Brewery bezeichnen würde“, sagt er. „Auch ‚Handwerk‘ oder ‚Manufaktur‘ schreibt sich da keiner auf die Flaschen. In Belgien nennen wir das einfach nur Bier.“ Trotzdem gibt es kleine, jüngere Brauer, die auch ein besonders gehopftes Bier brauen, experimentell unterwegs sind, deren Philosophie im Grunde der einer Craft Brewery entspricht. „Die haben dann aber nicht auch gleich so eine durchdachte Corporate Identity wie ein Mikkeller oder so verrückte Namen für ihre Biere wie BrewDog.“

Neirynck plant, mehr und mehr dieser neuen Brauereien in seiner Karte mit den rund hundert Bieren aufzunehmen. Die soll künftig aufgeteilt sein in klassische belgische Biere und „New School“, quasi. „Ein IPA muss man heute wohl im Angebot haben, auch wenn das kein typisch belgischer Bierstil ist“, sagt er. „Aber es öffnet viele Türen. Viele fangen damit an. Und wer so in das Thema einsteigt, den kann man vielleicht für immer für gutes Bier gewinnen. Er muss ja dann auch nicht ewig beim IPA bleiben.“ Das ist so wie mit dem Leben halt auch. Oder wie mit Sauerbier.

Bart Neirynck in der Belgischen Bierbar Herman

Manchmal zapft Bart Neirynck mit DJ-Begleitung, jetzt läuft im Herman Fußball. Neiryncks erklärtes Ziel für die nächste Zukunft: „Mit Belgien Weltmeister werden.“ Aber es ist ja so mit dem Leben, oft kommt es anders, als man denkt… (Foto: NAK)