Oli Lemke

„Wir sind Teil der guten Zeiten“

Martin Rolshausen

Party? Nein, nicht wirklich. Es ist gerade zu viel zu tun, sagt Oli Lemke. Sicher werde man sich zusammensetzen, ein paar Bierchen trinken und anstoßen, auf das, was man zusammen aufgebaut hat, aber ein großes Fest werde es nicht geben – auch wenn es dazu guten Grund gäbe: Am 21. November 1999, also vor 25 Jahren, hat das Brauhaus Lemke in Berlin seine Türen geöffnet.

In den Monaten zuvor, so wird es in der Unternehmens-Chronik erzählt, haben sich „sämtliche Freunde in Handwerker verwandelt“ und einen „heruntergekommenen S-Bahn-Bogen am Hackeschen Markt zu einem Brauhaus ausgebaut“. Oli Lemke hatte zwar ein BWL-Studium abgebrochen, Unternehmer zu sein, faszinierte ihn aber dennoch mindestens genau so sehr wie Bier zu brauen. Er war ein Jahr als Austauschschüler in den USA, hat dort jemanden kennengelernt, der selbstständig war. Er sei da auf „andere Lebensentwürfe“ gestoßen, als er sie aus seinem familiären Umfeld in Berlin kannte. Zurück in Deutschland hat er dann aber erstmal Brauereitechnologie studiert – „aus Interesse“, wie er sagt.

Danach hat er bei Luisenbräu gearbeitet. Eine wichtige Erfahrung. „Ich bin aber auch viel rumgereist und habe mitbekommen, dass es noch ein paar andere Biere gibt da draußen“, erinnert er sich. Oli hat in venezolanischen Großbetrieben gearbeitet und in Japan komplette Brauereien gebaut. Es war nur konsequent, dass er schließlich eine eigene Brauerei gründen wollte. „Selbermachen und Bier neu interpretieren“, war der Plan.

„Der Deutsche ist ein schwieriger Kunde“

Ja, er habe „schon einen Plan und eine Idee gehabt“, aber seine Erfahrung sei: „Egal, was du geplant hast, du musst immer wieder davon abweichen.“ Am Anfang wollten Oli und sein Team die ganze Welt des Bieres auf einmal präsentieren. 50 verschiedene Biere haben die Kundschaft aber eher überfordert als begeistert. Es sei sehr schwierig gewesen, dieses Bier zu verkaufen. „Die Biersorten und das Essen, das wir angeboten haben, waren anders“, erklärt er. Und etwas teurer als das, was man sonst so bekam in Berlin. Das war ein Problem: „Der Deutsche ist ein schwieriger Kunde. Billig muss es sein und Pils sollte draufstehen. Aber die Leute verbauen sich damit selbst viel. Es gibt so viele Dinge da draußen“, sagt Oli.

Dennoch: „Ich will die Menschen nicht belehren – aber ihnen Möglichkeiten bieten.“ Weil man die Leute aber nicht zu ihrem Glück zwingen kann, müsse sich auch Lemke „am Markt orientieren“. Das heißt: „Man erreicht die Leute nur über in Deutschland etablierte Bierstile. Die sind ja auch gut. Deshalb war die unternehmerische Entscheidung: Wir investieren in deutsche Bierstile.“

Das widerspreche auch nicht dem Craftbeer-Gedanken. „Die Craft-Idee ist ja: nicht anonym agieren, sich der Vielfalt öffnen“, sagt Oli. Für Lemke heiße das: „Qualität liefern, fair sein – und ja, wir müssen auch irgendwie Geld verdienen.“ Wobei Unternehmertum für ihn „nicht immer heißt, Geld zu verdienen – sondern auch mal: Hey, toll, da ist etwas, wo man etwas bewegen kann“. „Das Neue, das Abenteuer. Das finde ich auch nach 25 Jahren spannend“, versichert Oli. Gerade ist er aus Florida zurückgekommen. Da bahnt sich womöglich etwas Neues an, aber darüber will er ein andermal sprechen.

Kein Fremdinvestor


„Corona war auch neu und spannend, aber nicht schön spannend“, sagt er. Die Pandemie sei die einzige Phase gewesen, in der das Unternehmen nicht gewachsen ist. Wobei er bei Wachstum nicht an explodierende Umsatzzahlen denkt. „Mein Weg ist der dauerhafte, kein nicht der schnelle. Es geht beständig bergauf. Nicht 50 Prozent, sondern 5. Deshalb brauchen wir keinen Fremdinvestor. Wir machen unser Ding.“

Mit der Dose zum Erfolg

Das neuste Ding ist die Dose. „Unser Ziel ist es schon, eine andere Größenordnung zu erreichen“, erklärt Oli. „Einweg mit der Dose ist der einzige Weg, da mitspielen zu können.“ Denn das Pfandsystem mit alle dem logistischen Aufwand rechne sich am besten für die großen Brauereien. Und dass Einweg die einzige Wahl ist, wenn man ökologisch arbeiten wolle, hält er für falsch. „Wer schonmal eine Flaschenwaschmaschine gesehen hat, weiß, wie viel Abfall da produziert wird.“ Von Wasser- und Energieverbrauch mal ganz zu schweigen. Die Hälfte des Lemke-Biers wird zurzeit in der eigenen Gastronomie gezapft. Fürs Pfandsystem verwendet Lemke nur Neuglas und Logipackkisten.

„Der Deutsche ist sehr penibel“

Dass Lemke nun seine Variante eines Hellen, die Berliner Perle, in Halbliterdosen abfüllt und zu relativ niedrigem Preis anbietet, komme gut an. „Die Dose scheint zu funktionieren“, stellt Oli fest. Bald komme man auch in eine Größenordnung, in der man eine Viertelmillion Dosen kaufen kann. Die aktuell befüllten Dosen werden mit Banderolen beklebt. Das sei alles nicht ganz einfach. „Der Deutsche ist sehr penibel“, weiß Oli. Und er wundert sich, dass ein kleines 80-Millionen-Volk nicht öfter mal darüber nachdenkt, ob andere Länder das nicht vielleicht doch besser machen.

„Protektion für die Großindustrie“

Dass Hersteller von Dosen selbst für Einweglogos eine Zertifizierung brauchen, sei eine Regelung, die eine „Protektion für die Großindustrie“ ist. Die können Dosen in großen Mengen herstellen lassen von Firmen, die zertifiziert sind. Neue Verfahren, mit denen auch kleine Mengen Dosen zu einem vernünftigen Preis und direkt bedruckt werden können, haben es da schwerer. Kleine Brauereien, die viele verschiedene Sorten, womöglich auch nur einen Sud in Dosen abfüllen wollen, stehen vor noch größeren Problemen.

Keine Himbeer-Weiße mehr

Weil es mit der Berliner Perle wegen des neuen Dosen-Vertriebswegs nach oben geht, wird bald ein Außentank aufgebaut. Auch in eine neue Abfüllanlage, die mehr als die bisherigen 1000 Dosen pro Stunde schafft, wird investiert. Den Zusatztank brauche man, weil man ja wegen des Hellen-Erfolgs andere Sorten nicht einstellen will. Wobei Oli dann aber doch das ein oder andere Bier aus dem Sortiment nimmt. Das Black IPA „pausiert“, es werde zum Saisonprodukt, sagt er. Die Berliner Weiße mit Himbeeren wird komplett gestrichen. Das liege aber nicht an den Braukapazitäten. „Himbeeren sind preislich durch die Decke gegangen. Wenn wir das weiter machen würden, müssten wir 5 Euro pro Pulle verlangen“, hat Oli ausgerechnet.

Lust auf Biervielfalt machen



Auch wenn das Helle für Lemke gerade ein Verkaufsschlager ist: „Ich kann mir nicht vorstellen, einen Abend lang nur das gleiche Bier zu trinken“, sagt Oli. Und natürlich wolle Lemke wie von Anfang an, Lust auf Biervielfalt machen. Das Sortiment ist nach wie vor groß, reicht von Berliner Weiße über Pale Ale bis zum Fassgelagerten. Aber man müsse eben auch klar sehen, dass Sauerbier, IPA und Barrel-Aged-Produkte gemessen am Gesamtkonsum – zumindest in Deutschland – „nur in homöopathischen Mengen verkauft werden“.  

„Durch Likes auf Social Media verkaufe ich kein Bier“

Oli will Lust machen auf all diese Biere. Wobei er dabei Plattformen wie Facebook und Instagram für überbewertet hält. „Durch Likes auf Social Media verkaufe ich kein Bier. Wir müssen zusammenkommen und Bierchen trinken“, wirbt er. Das sei das eigentlich Schöne an seinem Beruf: „Wir sind als Brauer Teil der guten Zeiten. Du lieferst etwas für die schönen Zeiten, die Menschen miteinander verbringen.“ Und wenn dann mal nicht mehr so viel Arbeit in der Brauerei ist wie jetzt gerade, dann werde man sicher auch selbst eine große Party feiern – „zum 50-Jährigen dann“, sagt Oli.

(Fotos: Martin Rolshausen)

(31. Mai 2024)