Craft Beer Bar Hamburg Altes Mädchen

ALTES MÄDCHEN: Braugasthaus in geil

Nina Anika KlotzCraft Beer Bars, Im Portrait

Wie die Zeit vergeht!

2016 hat Patrick Rüther seine Anteile an den Mitgesellschafter, die Nordmann Unternehmensgruppe (u.a. Gesellschafter der Ratsherrn Brauerei), verkauft und ist seitdem nicht mehr Teil des Alten Mädchens. Er betreibt heute, zusammen mit Axel Ohm, unter anderem das ÜberQuell.

(aktualisiert am 03.03.2020)

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Eine Übersicht zu sämtlichen Craft Beer Bars Hamburgs hier.
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In Hamburg steht kein Hofbräuhaus, sondern ein Braugasthaus. Eines, das gar nicht wie ein Braugasthaus aussieht. Keine Kupferkessel und nicht ein gedrechseltes Stuhlbein. Hinter dem „Alten Mädchen“ steht mit Patrick Rüther ein Self-Made-Gastronom, der sein erstes Unternehmen barfuß gegründet hat.

Also, wenn sich Patrick Rüther bei einem seiner Unternehmen sicher war, dass es was wird, dann bei diesem. Das mit diesem Craft Beer, das war ihm klar, musste einschlagen. „Selbst wenn man nicht an Bier glauben würde, weil es einem nicht schmeckt oder so, ist Bier doch das letzte Lebensmittel, bei dem der Konsument noch immer komplett blöde gelassen wird. Das haben wir uns bei allen anderen Lebensmitteln über Jahrzehnte gefallen lassen, aber das ist jetzt vorbei: Man will wissen, wie der Kaffee hergestellt wurde, was er ist, ob Robusta oder Arabica Bohnen. Wir fragen, wo unser Fleisch herkommt, können uns sortenreine Apfelsäfte im Internet bestellen – nur beim Bier sind wir immer noch so weit entfernt von Produkt und Herstellung.“ Aber das große Umdenken beginnt.

Der Braugastgeber

Wie die perfekte Hausfrau, wenn sie eine ziemlich große Dinnerparty schmeißt, sitzt Patrick Rüther an diesem verregneten Sonntagspätnachmittag auf einem Hochstuhl im „Alten Mädchen“ im Hamburger Schanzenviertel. Nach außen hin entspannt und gelassen, irgendwie aber doch die unsichtbaren Fäden in der Hand, die das alles hier am Laufen halten. Draußen gehen gerade zwei erfolgreiche „Craft Beer Days“ in die letzte Runde (die Sommerausgabe: 17 Aussteller und 3.000 Besucher in zwei Tagen). Drinnen fängt das Abendgeschäft an. Es geht schon mit dem „Sind bei Euch am Tisch noch zwei Plätze frei?“ los. Der Laden ist – wieder einmal – knallvoll.

Und draußen wie drinnen ist Patrick Rüther der Gastgeber. Er ist gemeinsam mit Axel Ohm Chef des Braugasthauses „Altes Mädchen“ und damit auch der „Craft Beer Days“.

Patrick Rüther ist ein self-made-Gastronom. Studiert hat er Jura und auch kurz als Anwalt gearbeitet. „Aber das war irgendwie gar nicht meine Welt“, sagt er. Im Frühjahr 2003 leiht er sich von seinem Vater 15.000 Euro, weil er da so eine Idee hat: den ersten Beach Club Hamburgs zu eröffnen. „Mir ging es eigentlich darum, mir einen schönen Sommer zu machen, den Kopf frei zu bekommen, um dann überlegen zu können, was ich weiter so mache.“ Wäre er am Ende plus-minus Null da rausgegangen, wäre das für ihn völlig OK gewesen. „Dafür fünf, sechs Monate barfuß an der Elbe mit diesem wahnwitzigen Hafenpanorama jeden Tag, das hätte mich schon genügt“, sagt er. Dann aber beginnt der Jahrhundertsommer und die Leute rennen ihm die Strandbude ein. Jeden Tag ist das Ding gerammelt voll, Patrick Rüthers erstes Unternehmen schlägt fast aus Versehen bombenmäßig ein. „Das war eine fantastische Erfahrung, aber auch sauhart. Auf so einen Ansturm war ich einfach nicht vorbereitet. Ich habe damals 15 Kilo in sechs Wochen verloren. Und konnte das Ganze wirklich nur wenig genießen.“ Trotzdem mach Rüther in den folgenden drei Jahren jeden Sommer wieder Beach Club – bis das Gelände an der Elbe schließlich verkauft wird.

Dann schließt Rüther sich mit dem Fernsehkoch Tim Mälzer zusammen, will mit ihm ein Restaurant eröffnen – sein zweites Unternehmen als Gastronom. „Wir hatten uns sogar schon auf ein Konzept festgelegt“, erzählt der Hamburger, „haben aber einfach keine Location dafür gefunden. Dabei haben wir nichts Spezielles gesucht, nur etwas Besonderes.“ Als Tim Mälzer dann aber einen Burn Out hat, steht das Unternehmen plötzlich auf der Kippe. „Blöde Zeit für mich, wirklich. Denn wenn es nichts geworden wäre, hätte ich Jahre verschenkt mit Nichts-Tun oder Nichts-Erreichen.“

2007 entdeckt der Quereinsteiger-Gastronom dann die Schanzenhöfe. Klingt komisch, „entdeckt“. Man kann sich nämlich gar nicht vorstellen, dass dieses große Areal je unentdeckt war, so mitten in der Schanze, dem Kreuzberg von Hamburg, dem Glockenbachviertel des Nordens quasi, die Gegend, wo man halt so hingeht, wenn man irgendwas zwischen Zwanzig und Vierzig ist und gut essen, fröhlich trinken und schöne Sachen einkaufen möchte. „Ja, ich weiß auch nicht, aber irgendwie hatte die niemand auf dem Zettel.“ Der Hamburger Fleischgroßmarkt hatte das Gelände von der Stadt Hamburg gepachtet. Und die einzigen Pläne, die er damit hatten, waren, die alten Backsteinhallen abzureißen und moderne, zweckmäßige Kühlhallen hinzubauen. Rüther warf sich in einen langen und beschwerlichen Kampf für das Gelände. Um den kurz zu fassen, die wichtigsten Schlagworte: Denkmalschutz, Bauverzögerung, Kosten über Plan, gastronomische Dickschiffe als Konkurrenz – aber schließlich 2009 Eröffnung des Restaurants „Bullerei“.

Deal mit dem neuen Nachbarn

Während der sich hinziehenden Vorbereitungsphase lernt Patrick Rüther den Getränkegroßunternehmer Oliver Nordmann kennen. Der hatte sich gerade die Rechte an einer alten, Hamburger Biermarke namens Ratsherrn gesichert angefangen darunter ein Pils zu brauen. Ein Pils, das sich als Alternative zu den Standard-Fernsehbieren gut auf der Karte der „Bullerei“ machen würde. Weil Ratsherrn Rüthers Restaurant aber nicht wie andere Großbrauereien großzügig bei Baukosten und so weiter unterstützen kann, und weil Oliver Nordmann sich für das Gelände nebenan als Brauereistandort interessiert, schlägt Patrick Rüther ihm vor, sein Bier auf die Karte, unter der Bedingung: „Wenn Ihr mit Eurer Brauerei zu uns in die Schanzenhöfe kommt, dann will ich Eure Gastronomie dazu machen.“

Und zwar nicht irgendwie nur als Pächter. „Dazu hätte ich keine Lust gehabt. Die Nordmänner haben am Anfang von ihrem Geschmack erzählt, der ausgeprägt dargestellt wird in den Fritz-Braugasthäusern in Stralsund – und nicht ganz meinen Geschmack trifft.“ Und überhaupt: Einen „Ratsherrn-Tempel“ wollten weder Rüther noch seine am Projekt beteiligten Partner sowieso nicht bauen, „eher einen Ort, der Ratsherrn verkörpert, aber auch Platz für andere lässt“, wie er sagt. So entstanden die Pläne für Patrick Rüthers drittes Unternehmen, das „Alte Mädchen“, ein schicker Mix aus Szene-Restaurant und Craft-Beer-Bar, mit viel Holz, bisschen Beton, Glas, erstklassiger Beleuchtung, einer Bierkarte mit über 50 verschiedenen Bieren, acht ausgebildeten Bier-Sommeliers, einer eigene Bäckerei und halboffenen Küche. „Die Eigenständigkeit dieses Lokals war mir wichtig. Es hat einen eigenen Namen, Stil, Charakter und Gesicht. So kann ich besser davor und voll dahinter stehen.“ Oliver Nordmann als der Vermieter des Ladens ließ ihm bei der Planung freie Hand. Zumindest fast frei: Neben Patrick Rüther wurde Axel Ohm zum zweiten Geschäftsführer des „Alten Mädchens“ berufen. „Axel hatte in der Planungsphase ein Auge darauf, dass die Marke Ratsherren angemessen repräsentiert wird. Er war quasi der, der aufgepasst hat, dass ich hier nicht Table Dance und rosa Plüsch mache.“

Craft Beer statt immer nur im eigenen Sud kochen

Und Ohm war derjenige, der  mit der Idee kam, auf Craft Beer statt auf Hausbrauerei zu setzen. Nach vielen Jahren in Südafrika hatte Ohm die Craft Beer Revolution bereits miterlebt. Und Rüther ließ sich schnell begeistern: „Als mir klar wurde, dass ich mir bis dato kaum Gedanken über das Bier, das ich so trank gemacht hatte, war ich richtig wütend auf die Industrie und ihre Werbung, die es geschafft hatte, mich begeistert Becks und andere Fernsehbiere trinken zu lassen. Und darüber, dass ich mich nie gefragt habe, was da eigentlich drin ist in meinem Bier. Ich kann mich stundenlang über Zusatzstoffe und Konservierungsmittel in Lebensmitteln unterhalten, aber beim Bier hatte ich nie darauf geachtet.“  Das große Umdenken aber wird kommen, da ist sich Patrick Rüther sicher. Ob Craft Beer irgendwann fünf, zehn  oder fünfzehn Prozent des deutschen Bierumsatzes ausmachen wird, weiß er nicht, ist aber eigentlich auch egal. Er war sich von Anfang an sicher, dass die Idee kein schnöder Trend ist, der bald vorüber ist, sondern gekommen ist, um zu bleiben. Und damit startete Patrick Rüther sein jüngstes Unternehmen in der vollsten Überzeugung, dass das etwas werden würde.

Und wenn er nun, eineinhalb Jahre nach der Eröffnung, auf einem Hochstuhl sitzt und sich so umschaut, scheint er damit ziemlich richtig gelegen zu haben.