craft beer mexiko

RODRIGO OLIVO PÉREZ-ABREU: Holla, heilige Hopfenblüte!

Claudia Doyle

Craft Beer in Mexiko steht noch ganz am Anfang, sagt Nanobrauer Rodrigo Olivo Pérez-Abreu. Zwei Großbrauereien produzieren bislang quasi das gesamte Bier des Landes. Und manchmal bringen ihn seine Landsleute auch zum Verzweifeln. Aber man darf den Glauben ja nie verlieren. Den an die heilige Hopfenblüte, zum Beispiel.

Rodrigo sitzt im Hawaiihemd und weißen Shorts am Tresen seiner Bar in Oaxaca (spricht man – erstaunlicherweise „Wachaca“) im Süden Mexikos (also: Mechikos) und redet sich in Rage (Rache, äh, nein, doch nicht). Ein lange Ausführung zum Thema Bier so allgemein endet er mit einem entkräfteten: „What the fuck are we drinking, man?“

Erstmal: unerwartet viel Bier. Mexiko hat sich unbemerkt auf die sechste Position der weltgrößten Bierproduzenten  und -konsumenten geschlichen. Doch nur zwei Firmen, Grupo Modelo und Cervecería Cuauhtémoc Moctezuma (sprich: ach, lassen wir das…), haben nahezu den gesamten Markt unter sich aufgeteilt und erreichen gemeinsam einen Marktanteil von, bitte festhalten, 98 Prozent! Sie sind für so ziemlich jedes bekannte mexikanische Bier verantwortlich und bieten ihren Kunden genau zwei Bierstile an: Helles (Lager) und Dunkles (Stout). Doch im Schatten der Branchenriesen regt sich etwas.

Einheitsbräu für 120 Millionen

Auf dem größten Craft Beer-Festival des Landes in Mexiko-Stadt stellten im vergangenen Jahr immerhin schon 45 Craft Beer Brauer ihre Biere vor. Aber in einem Land mit 120 Millionen Einwohnern? Da geht noch was in Sachen Craft Beer in Mexiko. Da geht noch viel.

Es braucht allerdings eine ordentliche Portion Pioniergeist, so wie in den USA vor zwanzig Jahren. Einer der reichlich davon hat, ist Rodrigo, den seine Landsleute manchmal zum Verzweifeln bringen. Wenn Mexikaner in seine Bar kommen und nach dem Bierangebot fragen, dann will er ihnen genau erklären, welche Stile er gerade im Angebot hat, will die verwendeten Hopfensorten beschreiben und den Geschmack bereits mit Worten auf die Zunge seiner Gäste projizieren. Doch die gucken dann immer nur verständnislos und fragen: „Also, Helles oder Dunkles?“ What .The. Fuck? Da seien ihm die Touristen schon lieber, die sind wesentlich enthusiastischer.

Aber woher sollen die Mexikaner auch andere Biere kennen als das olle Stout und lahme Lager? Bis vor kurzem konnten sie weder im Supermarkt noch in der Bar etwas anderes kaufen als Modelo, Sol oder Corona. Jeder Tante-Emma-Laden und jede noch so kleine Absteige war mit einem Exklusivitäts-Vertrag an eine der beiden Bierfirmen gefesselt. Erst im Sommer 2013 schritt die mexikanische Wettbewerbskommission dagegen ein. Jetzt muss immerhin in 80 Prozent der Geschäfte freier Wettbewerb herrschen.

Craft Beer in Mexiko: Im Namen des Vaters, des Sohnes und der heiligen Hopfenblüte

Damit die Mexikaner möglichst bald merken, wie viel Spaß Craft Beer macht, hat Rodrigo sich etwas einfallen lassen. Man muss die Leute ja eigentlich immer nur an ihrem soft spot erwischen. Die Mexikaner zum Beispiel sind ja im Allgemeinen recht gläubige Menschen. Für so ziemlich jedes Wehwehchen gibt es hier einen helfenden Heiligen, den man mal anbeten kann, wenn sonst nichts hilft. Und so hat Rodrigo seinen Landsleuten jetzt einen Craft Beer Heiligen erschaffen. Den Heiligen der Hopfenblüte, La Santisima Flor de Lúpolo, um genau zu sein. Grinchgrün in ein Mönchsgewand gehüllt und mit einem verschmitzten Lächeln im Hopfendolden-Gesicht thront Sankt Lúpulo in einem kleinen Schrein über der Bar und wacht über die Brauerei, die sich auf einer selbstgezimmerten zweiten Etage direkt über der Bar befindet und nur über eine wacklige Leiter erreicht werden kann.

Hopfenheiliger

Ave, Hopfenheiliger. (Foto: Claudia Steinert)

Ein Provisorium, weil sie eigentlich, wie das meiste in Rodrigos Leben, gar nicht geplant war. Bevor er Brauer wurde, besaß Rodrigo ein Hostel in Oaxaca und eine Strandbar im Einst-Fischerdorf-Jetzt-Urlaubsort Puerto Escondido. Doch er ist viel zu neugierig auf die Welt, als dass er es lange in einer Strandbar aushalten würde. Also zog er los. Natürlich kommen nach „Strandbar am türkisblauen Meer im ewigen Sommer“ nicht mehr viele Orte, die noch besser sein könnten. Für Rodrigo kam Madison, Wisconsin. Dort begann er in einer Bar zu arbeiten. Seine Bezahlung: Trinkgeld und Freibier. „Das klang fair, denn von beidem gab es genug“, erklärt er. Vor allem gab es dort nicht nur Helles oder Dunkles, sondern Ales, Lager, IPAs und wie sie alle heißen. Und wer einmal auf der Madison Craft Beer Week war, dem fällt die Heimreise in ein Land mit nur zwei Bierstilen schwer.

Heute back‘ ich, morgen brau ich…

Anderthalb Jahre später, zurück in Oaxaca, begann Rodrigo damit, ausländische Biere zu importieren und in seiner Bar zu verkaufen. Aber weil dort vom Brot übers Fleisch bis zum Dessert alles selbstgemacht ist, war es eigentlich nur logisch, dass auch selbstgemachtes Bier dazugehört. 2011 stellte er sich zum ersten Mal selbst an den Braukessel. Das Ergebnis war ein voller Erfolg. Seitdem sprudeln Strawberry Stout, ESP und Cream Ale aus seinen Zapfhähnen.

Seine wichtigste Mitstreiterin ist Nicole, seine Lebens- und Geschäftspartnerin aus… tadah: Wisconsin! Sie ist für den Rohstoffimport verantwortlich und der geht in Mexiko manchmal verschlungene Wege. Oder wie Rodrigo sagt: „Es ist ein ständiger Kampf!“ Klar, irgendein Malz und irgendwelche Dolden könnte man schon bekommen, aber wo bleibt da der Anspruch? Rodrigo will für jeden Sud authentische Zutaten, also zum Beispiel Malz aus dem jeweiligen Herkunftsland des Bierstils. Der Hopfen kommt hauptsächlich aus den USA, aber auch Dolden aus der Hallertau sind dabei.

Dahin soll übrigens auch Rodrigos nächste Reise gehen. Zur Hopfenernte natürlich. Der Heilige der Hopfenblüte wird derweil über seine Brau-Bar wachen.