Das Tier an der Wand im Kaminzimmer von Lemkes Biermeisterei am Alexanderplatz schaut freundlich interessiert, je nach Licht ein Glitzern in den Augen. Das irritiert etwas, denn das Wildschwein ist tot. Aber die meisten, die in die entgegensetzte Richtung schauen – auf die vier Menschen, die unter dem Keiler-Kopf sitzen – haben einen ähnlichen Blick: freundlich interessiert, einige auch bereits ein Glitzern in den Augen. Knapp drei Stunden sind die meisten von ihnen schon hier und probieren sich durch das faszinierende Angebot von Lemkes zweitem „Berlin Barrel Summit“ – man kann auch sagen: trinken sich durch.
“Was man trinkt, erzählt ja auch etwas über einen selber”, sagt Regine Marxen auf der Bühne. Die Biersommelière, Autorin und Podcasterin aus Hamburg eröffnet damit die zweite offizielle Diskussionsrunde des Abends: “Cheers to myself. Heimliche Favoriten im Glas”. Anders formuliert: Was trinken die, die hier ihr Fassgelagertes näherbringen wollen, eigentlich privat?
Kaffee aus dem Portwein-Fass
Philipp Harder trinkt am liebsten Kaffee. Und am allerliebsten den aus der Berliner Kaffeerösterei, für die er arbeitet. Kaffee ist eben nicht gleich Kaffee. Und der Kaffee aus einer Manufaktur, die sich Zeit nimmt und besondere Ernten auch besonders fürsorglich röstet, natürlich etwas ganz anderes als ein Industriekaffee, der mal eben schnell bei hohen Temperaturen durch den Röster gejagt wurde.
Für die Genussmenschen, die am vergangenen Freitag Tickets zum “Berlin Barrel Summit” ergattert haben, hat Philipp Harder sogar etwas dabei, das man zurzeit nichtmal im Laden der Rösterei kriegt: Einen Cold Brew aus Bohnen, die als Rohkaffee ein Jahr lang in einem Eichenfass gelagert haben, bevor sie geröstet wurden. In dem Fass war zuvor Portwein. Ganz großes Kaffee-Kino. Philipp Harder überschlägt sich fast vor Begeisterung. Der Keiler an der Wand über ihm bleibt cool.
“Was uns vereint: Wir sind klein.”
Auch als Michael Nekowitsch vom gleichnamigen Weingut im österreichischen Burgenland von Wein für Freunde und besondere Kunden erzählt. Wein, Kaffee, Bier – was alle hier an diesem Abend eine: “Wir probieren gerne aus und sind offen für Neues.” Der Keiler schrägt hinter ihm zuckt nicht mit der Wimper.
Oli Lemke scheint etwas provozieren zu wollen. Er müsse jetzt erstmal sagen, “was uns unterscheidet”, sagt der Gastgeber: “Die reden von Hektar, wir von Hekto.” Kleiner Scherz – und gleich zur Sache: “Was uns vereint: Wir sind klein.” Das meint er im besten Sinne. In den Geschäftsführungen der großen Getränke-Unternehmen sitzen ja selten Wein-, Kaffee- oder Bierleute. Da sitzen Manager, die an Zahlen interessiert sind. Entsprechend halte sich die Lust am Risiko, die Lust am Experimentieren in Grenzen.
“Beim Wein stört mich manchmal das Gehabe, das Chichi”
“Wir als Kleine können im Gegensatz zu denen ausprobieren und Späßchen machen”, erklärt Oli Lemke. Und nichts anders sei ja der “Barrel Summit”: ein Späßchen. Und “eine Brückenveranstaltung” für die, die weg wollen vom “Ich trinke ja nur Wein” oder dem “Ich bleibe beim Bier”. Wobei er ja gar nichts gegen Wein habe. Aber: “Beim Wein stört mich manchmal das Gehabe, das Chichi.”
Genial: der Blend von Firestone Walker
Dann lässt er den aktuellen Blend einer Brauerei verteilen, die er bewundert: Firestone Walker. Deren Blends aus fassgelagerten Bieren “treffen immer den Nagel auf den Kopf”, begründet Oli die Wahl des Getränks, das er an diesem Abend mit seinen Gästen teilen will. Biere mischen, um den optimalen Geschmack zu bekommen? Kann es sein, dass der Keiler an der Wand hinter Oli gerade die Ohren angelegt hat? Eine optische Täuschung. Dafür gibt es auch gar keinen Grund.
“Der Blend muss mehr sein als die Summe seiner Bestandteile”
“Der Blend muss mehr sein als die Summe seiner Bestandteile”, erklärt Oli die Kunst der Kollegen in Kalifornien. Und: “Blender ist ein Job, den die KI nicht übernehmen kann.” Dazu könne auch Dirk Becker (Spirit of Rum) und Jan Forsberg (Maker’s Mark) nicken, die Rum und Whiskey mit in die Biermeisterei gebracht haben.
Das perfekte Bier zur Currywurst
Oli kommt dann aber doch nochmal zu den Unterschieden zwischen den Getränken, die an diesem Abend ausgeschenkt werden. “Bier hat einen riesengroßen Vorteil: Es hat die größte Bandbreite”, sagt er. Welcher Wein passe schon zur Currywurst? Beim Bier sei die Antwort einfach: “IPA passt perfekt zur Currywurst.” Das Tier an der Wand im Kaminzimmer von Lemkes Biermeisterei am Alexanderplatz schaut weiter freundlich interessiert. Gespräche übers richtige Fleisch zu Bier, Wein und Spirituosen lassen es kalt. Es ist ja schon tot.
(Das Foto oben zeigt Moderatorin Regine Marken mit Oli Lemke (Brauerei Lemke Berlin), Philipp Harder (Berliner Kaffeerösterei) und Michael Nekowitsch (Weinbau Nekowitsch).)
(26. Februar 2024)