Wenn eine winzige Bar in Neukölln einen Monat nach ihrer Eröffnung eine von nur vier Bars weltweit ist, die ein superspezielles, seltenes, belgisches Lambic zum Ausschank bekommt, dann muss das eine ganz besondere, winzige Bar sein. Wir haben bei den beiden Besitzern der Muted Horn Bar in Neukölln, Jenia Semenova und Corbin Crnkovic, nachgefragt.
Wer schon mal in Vancouver, Kanada, war, weiß: Es gibt eigentlich keinen Grund, Vancouver, Kanada, jemals wieder zu verlassen. Ein ziemlich bester Ort der Welt. Meer und Berge, warme Sommer, kalte Winter, Menschen, Kulturen, Esse von überall auf der Welt und trotzdem ein total gemütliches, heimilges, fast kleinstädtisches Daheim-Gefühl.
Und trotzdem sind Jenia Semenova und Corbin Crnkovic aus Vancouver ausgerechnet nach Berlin-Neukölln gezogen. Und krasser noch: Sie sagen, eigentlich seien Neukölln und Vancouver so ziemlich das gleiche!
Die beiden Gastronomen by heart (Corbin: „Ich komme aus einer Wirte-Familie und habe mein ganzes Leben in der Gastronomie verbracht. Ich kenne alle Jobs und alle Facetten und ein Tag, an dem ich keine Küche, Bar oder Restaurant betreten fühlt sich an, als wäre ich nicht zu hause.“ – Jenia: „Ich will den Menschen ihren Tag verschönern. Und das geht, indem ich ihnen das erste Bier des Abends serviere.“) haben hier eine der, wenn nicht sogar die exquisiteste Craft Beer Bar der Stadt eröffnet. Das Muted Horn.
Warum eigentlich „Muted Horn“?
Jenia: Der Name ist aus dem Buch „Die Versteigerung von No. 49“ (Originial Titel: “The Crying of Lot 49”) des amerikanischen Autors Thomas Pynchon entstanden. Der Hauptstrang des Buches dreht sich um die Konkurrenz zwischen einem alten deutschen Postdienst aus dem 16. Jahrhundert, die “Thurn-und-Taxi Post”, welche ja ein echter deutscher Postdienst, aber zuvor auch noch eine Brauerei war. Hier besteht also eine große Verbindung zu Deutschland. Auf der anderen Seite ist der fiktionale Postdienst “Trystero” der eine Art Geheimorganisation darstellt und ein gedämpftes Posthorn als Zeichen für ihr Kommunikationsnetz benutzt. Es ist also ursprünglich ein Zeichen, dass wir in dem Buch sahen und wir wirklich gemocht haben. Es bestand eine Verbindung zu Deutschland, zum Bier durch die Brauerei und das Posthorn wird noch heute überall in Deutschland und Österreich verwendet. Es ist noch auf allen Postkästen vorhanden und es führt Menschen zusammen, genau wie wir es auch mit unserer Bar tun.
Und warum Neukölln?
Corbin: Neukölln ist ein wirklich interessanter Stadtteil. Es findet hier gerade eine Art Wandel statt und es ist wirklich multikulturell, was wir zu Hause in Kanada kennen und lieben. Vancouver ist ein kompletter Mix aus Kulturen und Menschen, genau das gleiche haben wir auch hier in Neukölln gefunden. Er ist sehr speziell dieser Kiez. Hier ist immer was los und es macht Spaß hier zu leben. Man spürt richtig die Energie die hier herrscht und den Drang der Menschen etwas zu verändern. Wir lieben unseren Kiez wirklich, natürlich auch um hier selber zu leben.
Ihr lebt über der Bar, richtig?
Jenia: Ja genau. Es ist eine sehr dynamische, lebendige Nachbarschaft. Wir waren schon ein Jahr lang in Berlin, bevor wir diese Location gefunden haben. Vorher lebten wir in Kreuzberg. Corbin lebte auch in Prenzlauer Berg, danach haben wir auch einige Zeit in Friedrichshain verbracht und ließen uns dann final in Neukölln nieder. Du hast eine Menge Studenten hier, eine Menge Künstler und du fühlst die Kreativität dieses Bezirks. Irgendwas passiert hier immer, man weiß nie was als nächstes kommt.
Diese Kreativität spiegelt sich auch in eurer ständig wechselnden Bierauswahl wieder. Wie schafft ihr es, euch von anderen Craft Beer Bars abzusetzen, die hier ja immer mehr werden? Liegt euer Fokus auf einer exklusiven Bierauswahl?
Corbin: Ich glaube das ist die wichtigste Sache für uns. Das Bier muss auch für uns als Barbesitzer interessant sein und sich unterscheiden. Das ist der Grund, warum wir das hier machen. Und wir arbeiten wirklich hart daran, besondere und interessante Biere hierher zu holen.
Jenia: Ja, Vielfalt ist alles.
Corbin: Wir wollen wirklich das gesamte Spektrum abdecken. Nicht nur die momentan angesagten Sachen, sondern auch die, die es werden könnten oder die uns gefallen und unsere Kunden auch mögen könnten. Wir hoffen, dass unsere Besucher das auch so sehen. Das ist unser Weg die Brauereien und Menschen dahinter zu unterstützen. Menschen, die innovative und interessante Sachen mit Bier anstellen. Es macht uns einfach Spaß. Und wenn genug Bars das so machen, dann leitet man diese Brauer auch in eine neue kreative Richtung, in die sie sich vorher vielleicht nicht getraut hätten, weil sie dachten es sei zu verrückt oder es würde sich nicht verkaufen oder die Menschen würden es nicht mögen. In Deutschland sind die Leute immer noch sehr an IPAs gebunden. Das ist natürlich auch gut so. Ich liebe IPAs, aber es gibt eben noch nicht diese Vielfalt an Sauerbieren. Sauerbiere existieren einfach nicht mehr in Deutschland, selbst wenn Berliner Weisse und Gose ursprünglich Deutsche Bierstile sind.
Ihr hattet einen speziellen Tag im letzten Dezember, wo ihr als einige von wenigen Bars in der Welt die Bokkereyder Framboos Raspberry Lambics vorstellen durftet…
Jenia: Wir waren eine von vier Bars in der Welt. Und wir hatten erst 1 ½ Monate offen. Aber Raf, der Blender von Bokkereyder, hat uns einfach vertraut. Das war schon eine große Ehre für uns. Seine Lambics sind alle streng limitiert und es hat ihn Jahre, viel Anstrengung und Pflege gekostet sie herzustellen. Dieses Gefühl, sein Vertrauen zu haben, tat uns als Barbesitzer wirklich gut.
Das zeigt schon, dass ihr euch unterscheiden wollt – und tut. Belgische Bierstile sind nicht all zu bekannt in Deutschland.
Jenia: Wir waren noch in Kanada, als dort, bei uns in Vancouver, die ganze Bier- und Brewpub-Bewegung losging. Wir haben gesehen, wie alles begann, nur in einem etwas größeren Ausmaß als hier. Für Leute, die das Thema wirklich packt, gibt es immer Biere, die noch interessanter sind, als das, das sie eben getrunken haben. Das sind die, die anfangen, nach den speziellen Bierenzu suchen und ihre ganz eigenen Nischen der Bierstile aufzutun, die für sie sind. Genau diesen Menschen wollen wir hier in Berlin etwas bieten können. Na klar, es gibt natürlich auch IPAs bei uns, die wirklich populär sind. Für den Winter dann hast du die dunkleren Biere, Stouts, Porters und natürlich Lager und Pilsner Biere. Die klassischen deutschen Bierstile eben. Aber auf der anderen Seite haben wir aber auch immer ein paar besonders gute Saisons, die noch nicht so populär sind in Deutschland, aber definitiv wert, vorgestelltzu werden. Ob die Leute sie mögen oder nicht, ob sie sie lieber mögen als andere Biere oder eben nicht, ist erstmal egal. Wir wollen die Bekanntheit dieser Bierstile erweitern.
Wer ist der ideale Muted Horn Gast?
Jenia: Das interessanteste ist eigentlich immer, wenn jemand als Teil einer Gruppe in unserer Bar kommt und sagt, dass sie oder er kein Bier mag und nach einem Wein fragt. Dann antworte ich immer: „Natürlich haben wir Wein. Du kannst den Wein sehr gerne haben. Aber lass mich dir doch bitte zu erst einen kleinen Schluck von diesem Bier geben. Vielleicht sagst du mir was du am Wein oder am Whiskey so gerne magst?“ Bier und Whiskey haben so eine enge Verbindung. Es gibt eine so große Vielfalt an fassgereiften Bieren heute. Wenn du also eine kleine Idee von dem bekommst, was deine Besucher mögen könnten, kannst du ihnen ganz neue Geschmackswelten eröffnen.
Was war das verrückteste Bier was ihr jemals hier am Zapfhahn hattet? Habt ihr irgendwelche Favoriten?
Corbin: Da gab es schon ein paar. Zu den verrücktesten Dingen die wir am Zapfhahn hatten gehört vielleicht sogar ein Bier, das wir gerade am Zapfhahn haben. L’Anti von Alvinee aus Belgien. Es ist ein Blonde Sour, fassgereift mit Kirschen, Schlehdorn und Walnüssen. In diesem Bier passiert einiges. Davon wurden nur sechs Fässer abgefüllt und alle gingen nach Amerika, bis auf das eine was wir bekommen haben. Wir hatten einfach Glück als wir es bekamen.
Jenia: Mexican Cake von Westbrook war auch schräg. Es ist ein Imperial Stout, gereift über Zimt, Kokosnuss, Vanilleschoten und Kaffee. Und mit Chilis. Es ist ein wenig scharf, und ziemlich ungewöhnlich für ein kaltes Bier, da es gleichzeitig auch wärmt. Es ist gelegentlich in Flaschen verfügbar, aber ich denke es war das erste Mal an einem Zapfhahn in Berlin, als wir es hatten. Ich würde dieses Bier nicht als aller erstes ausschenken. Zu Beginn würde ich immer ein einfacheres, nicht all zu komplexes Bier wählen, um ihn in die Welt des Craft Beers zu führen. Einige Biere die wir wirklich gerne nach Deutschland bringen, sind Biere aus unserer Heimat Kanads, die noch nie zuvor in Deutschland am Hahn waren. Denn diese unterscheiden sich auch von den normalen, hier bekannten Craft Bieren und von dem was hier gerade gern getrunken wird. Einige von diesen sind wirklich sauer. Eines das wir wirklich lieben, ist das Solstice d’Été, welches komischerweise dem Stil einer Berliner Weisse entspricht, aber mit frischen Himbeeren gemacht ist. Das war wirklich ein super Bier.
Was fasziniert Euch so am Bar-Leben?
Corbin: Die Leute und das Leben um dich herum. Es passiert immer was und du kannst immer eine Geschichte erzählen. Das Beste aber ist das direkte Feedback, das du hier bekommst. In vielen anderen Industrien gibt es eine gewisse Distanz, ob du nun was am Computer machst oder am Telefon. Hier siehst du die direkte Reaktion der Menschen. Du schenkst einen Drink aus und der Besucher reagiert darauf und ist hoffentlich glücklich damit was du ihm gabst. Das ist wirklich klasse.
Jenia: Ja, du bringst jemandem ein Bier, er wird es hoffentlich mögen und du siehst direkt, dass du seinen Abend schöner gemacht hast damit. Das ist wie der erste Kaffee am morgen. Menschen brauchen einfach etwas, dass ihren Tag schöner macht und hinter einem Tresen kannst etwas dazu beitragen.
- Muted Horn
- Flughafenstraße 49, 12053 Berlin
- Sonntag – Donnerstag 18 – 2 Uhr; Freitag – Samstag 18 – 3 Uhr
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