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SIERRA NEVADA: „Was durch die Decke gehen wird, wissen wir nicht!“

Claudia Doyle

Die Sierra Nevada Brauerei wurde 1980 gegründet. Heute ist sie nicht nur eine der ältesten, sondern auch der größten und erfolgreichsten Craft Beer Brauereien der Welt. Ihr Pale Ale mit dem unverwechselbaren grünen Etikett kennt jeder. Wir haben uns mit Braumeister Scott Jennings getroffen, der schon seit Ewigkeiten bei Sierra Nevada am Kessel steht. Er hat uns verraten, welches sein liebster Hopfen ist und weshalb er jahrelang nur daran gearbeitet hat, dass Pale Ale zu verbessern.

Scott, du arbeitest jetzt schon seit 17 Jahren bei Sierra Nevada. Wird dir das Bierbrauen jemals langweilig?

Auf keinen Fall. Sogar ganz im Gegenteil! In meiner jetzigen Position komme ich gar nicht mehr so oft dazu, Bier zu brauen. Als Braumeister bin ich ja mehr ein Manager. Aber ich darf mich noch ab und zu in der Versuchsbrauerei austoben und etwas ganz Spezielles brauen.

Aber du würdest dir gern öfter die Hände schmutzig machen?

Na klar, deswegen habe ich ja mit dem Beruf angefangen. Aus Liebe zum Bier!

Du bist ja nicht zum ersten Mal in Deutschland. In den späten 1990er Jahren hast du in Berlin gelebt und eine Ausbildung an der VLB gemacht. Was hast du damals über die deutsche Bierkultur gedacht?

Wir haben die deutsche Bierkultur immer als Maßstab gesehen. Die Perfektion der deutschen Bierstile und das Streben nach Perfektion. Das beherzigen wir auch in der Craft Bier-Industrie. Natürlich machen wir komplett andere Bierstile, aber wir fragen uns immer: Wir können wir es noch besser machen?

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Bei Sierra Nevada steht man auf Dolden, für den Braupakt in Weihenstephan dürfen auch mal Pellets in den Tank.

Warum hast du dich entschieden, nach Berlin zu ziehen und dort deine Ausbildung zu machen?

Oh das ist eine lange Geschichte. Das war so ein Hirngespinst von mir, aber das Timing war günstig. Als ich bereit war und Zeit hatte, meine Ausbildung zu machen, war die VLB die beste Option. Und es gibt dort ja einen internationalen Studiengang. Also habe ich bei Professor Wackerbauer gelernt und gemeinsam mit vielen anderen Leuten mit denen ich heute noch in Kontakt stehe. Es war ein großartiges Erlebnis und hat mein Leben verändert.

Wie hat sich die deutsche Bierkultur in den letzten zwanzig Jahren verändert, in denen du nicht in Deutschland warst?

Da bin ich vielleicht nicht der beste Ansprechpartner. Ich erfahre das ja alles nicht aus erster Hand. Ich lese darüber, was so passiert und komme immer mal wieder vorbei. Aber hier gibt es ja so viele Brauereien, die schon seit Ewigkeiten existieren. Also gerade eben sind wir ja in der ältesten Brauerei der Welt. Das ist für mich total verrückt. Aber ich weiß auch, dass ganz viele neue Brauereien eröffnen.

Egal wo man hingeht, alle wollen darüber diskutieren, was eigentlich Craft Beer ist. Und man könnte sagen, dass die meisten Brauereien in Deutschland Craft Beer-Brauereien sind. Nicht nur aufgrund ihrer Größe, sondern weil sie unabhängig sind. Familiengeführt oder in Privatbesitz. Aber es gibt auch viele Brauereien, die mit neuen Bierstilen auf sich aufmerksam machen. Ich nenn sie jetzt mal New Style Breweries, die überall eröffnen.

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Darauf ein Bier! Der Braupakt ist zwar noch nicht fertig, aber in Weihenstephan gibt es zum Glück immer ein paar Weißbiervorräte.

Bei Sierra Nevada warst du zuerst Brauer, nach vier Jahren bist du der Chef der Forschungs- und Entwicklungsbrauerei geworden. Kannst du mir das mal beschreiben, was habt ihr in dort erforscht und entwickelt?

Viele Jahre lang hatten wir unser Standardsortiment: Pale Ale, Porter, Stout, Wheat und Spezialbiere. Zum Beispiel das Big Foot oder das Celebration Ale für die Erntezeit. Das Summer Fest Ale für den Sommer und so weiter. Das war unsere Kernkompetenz. Und natürlich braucht man nicht unbedingt eine Testbrauerei um neue Sorten zu entwickeln, aber das macht die Sache doch erheblich einfacher.

Als ich da angefangen habe, haben wir die ersten Jahre nur an Pale Ale gearbeitet. Wir haben großartige Studien durchgeführt und viel gelernt über Aromastabilität und wie sie von Rohstoffen und dem Brauprozess beeinflusst wird. Sogar die Kronkorken auf den Flaschen spielen eine Rolle! Langsam haben wir uns dann an andere Sachen herangetastet. Das Torpedo IPA ist zum Beispiel in der Forschungsbrauerei entstanden.

Wie denn das?

Ken Grossmann hat uns vor eine Aufgabe gestellt. Er wollte mehr Celebration Ale herstellen. Aber die Art und Weise, wie wir das Bier mit ganzen Dolden hopfengestopft haben, hat uns ein Limit gesetzt. Man gibt die Hopfendolden dafür in ein Netz legt das in den Tank. Diesem Tank muss man den Sauerstoff entziehen. Dann überführt man das junge Bier aus dem ersten Gärungstank zum Hopfenstopfen in diesen zweiten Tank. Für jeden Sud braucht man also zwei Gärbehälter. Und weil wir nicht genug Platz hatten, konnten wir nicht mehr Celebration Ale herstellen. Unsere Herausforderung war also: Wie können wir anders hopfenstopfen? Nach einem Jahr Arbeit wurde das Torpedo IPA geboren.

Zu dieser Zeit haben wir unser Sortiment dramatisch erweitert. Wir haben alles gebraut, was man sich vorstellen kann mit allen Zutaten, die man sich nur vorstellen kann. Jahrelang hab ich das gemacht.

Gibt es Zutaten, die du nur einmal probiert hast und dann nie wieder?

Ja, sicher. Es gab schon ein paar Sachen, die überhaupt nicht funktioniert haben. Aber wie willst du lernen, wenn du keine Fehler machst?

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Was ist grün und muss in den Tank? Haufenweise Amarillo, Hallertauer und Chinook!

Und wurdest du auch mal positiv überrascht?

Das passiert auch heute noch. Wir als Firma engagieren uns sehr stark in der Hopfenentwicklung. Wir arbeiten schon lange mit Landwirten und Züchtern zusammen. Und oft brauen wir Biere mit Hopfen, der bisher nur eine Nummer hat, also ein Experiment ist. Manchmal entstehen dabei großartige Sachen, die einen wirklich umhauen. Ein paar Jahre später bekommt dieser Hopfen einen Namen und kommt auf den Markt. Citra war zum Beispiel so ein Fall. Für mich ist das immer besonders toll. Ich bin einfach total hopfenverrückt.

Dann magst du sicher auch NEIPAs, die in Deutschland gerade total angesagt sind. Was denkt Sierra Nevada darüber? Werdet ihr auf den Zug aufspringen und euer eigenes NEIPA brauen oder seid ihr dafür zu cool?

Wir sind nie zu cool für irgendwas. Naja fast nie. Ich glaube, es ist fragwürdig, ob NEIPA überhaupt ein eigener Bierstil ist. Manche werden mich dafür hassen, aber es ist halt einfach eine Art von IPA. Und die Craft Bier Welt verändert sich so schnell, dass es sehr selten vorkommt, dass ein spezielles Bier, eine Marke oder ein Bierstil sich langfristig bewähren.

Wenn man mich fragt, werden NEIPAs bald wieder in der Versenkung verschwinden und durch etwas anderes ersetzt werden. IPAs an sich werden bleiben, das wird nicht verschwinden. Es ist schon lange der bei weitem beliebteste Bierstil in der amerikanischen Craft Bier Welt. Und das wird auch so bleiben. Aber IPAs werden jedes Jahr neu erfunden werden.

Willst du für uns mal eine Vorhersage treffen, welches Bier das NEIPA ersetzen wird?

Ah ich wünschte, ich hätte eine Glaskugel! Session IPAs sind bei uns schon lange beliebt. Die Leute mögen den geringeren Alkoholgehalt und den trotzdem intensiven Geschmack. Diese Kombination gefällt. Wenn du an einem Abend vier oder fünf Biere trinken willst, dann ist das Torpedo IPA vielleicht nicht die richtige Wahl. Aber was kommt nach NEIPA und Session IPA? Keine Ahnung. Wir haben immer viele Experimente am Laufen und wir haben ein paar Ideen. Aber was am Ende durch die Decke gehen wird, das wissen wir nicht.

(Aufmacherfoto: Bayerische Staatsbrauerei Weihenstephan)

Unser Interview mit Scott Jennings ging noch weiter. Wenn ihr es in voller Länge hören wollt, dann klickt mal in unseren Podcast „Hopfenhelden trifft“!