Freigeist Bierkultur

FREIGEIST: Erwecker der Bier-Leichen

Nina Anika KlotzIm Portrait

Als einer der allerersten Craft Beer Brauer Deutschlands lässt Sebastian Sauer mit Freigeist Bierkultur ausgestorbene und tot geglaubte Bierstile wieder auferstehen

Es war einmal.

Eine Geschichte über Sebastian Sauer sollte auf jeden Fall mit „Es war einmal“ anfangen. Weil wir uns damit ganz weit zurück begeben, an die allerersten Anfänge der deutschen Craft Beer Bewegung. Und noch  viel weiter zurück in der deutschen Biergeschichte. Denn Sebastian Sauer, 28 Jahre, gelernter Kaufmann aus der Gegend um Aachen und Gründer von Freigeist Bierkultur, ist einer der ersten Craft Beer Brauer dieses Landes. Als solcher hat er sich den alten, den fast und den ganz vergessenen Bierstilen unseres Landes verschrieben. Und damit hat er sich einen großen Namen gemacht. Vor allem in den USA. Und das kam so:

Es war einmal ein junger Rheinländer, der trank sehr gerne Bier. Doch eines Tages wurde ihm das Angebot seines örtlichen Getränkemarktes zu langweilig. Also fuhr er über die Grenze nach Belgien, um dort Bier einzukaufen. Dabei entdeckte er eine große, weite Bierwelt, die er bis dahin noch gar nicht gekannt hat. Was es da nicht alles gab! So viel Bier und jedes anders!  Da beschloss der Rheinländer, diese Bierwelt zu seiner Welt zu machen. Nach Abi, Zivildienst und Lehre bewarb er sich bei der Helios Braustelle in Köln-Ehrenfeld als Restaurant- und Vertriebsleiter.

Freigeist Bierkultur

Bu-hu: Logo der Freigeist Bierkultur. (Foto: NAK)

Er und der Inhaber der Braustelle, Peter Esser, wurden schnell Freunde – und 2009, als Sauer gerade mal 22 Jahre alt war, auch Partners in Crime: „Ich habe Peter einfach gefragt, ob wir nicht einmal ein Bier zusammen machen wollen.“ Ein saures Bier. „Anlass war für mich, dass bei der Übernahme der Schultheiß-Brauerei durch Radebergers Kindl  die schlechtere Berliner Weisse überlebt hatte.“ Um dem etwas entgegenzusetzen, brauten Sauer und Esser „Abraxxxas“, eine moderne Interpretation des Lichtenhainers.

Oldies, but goldies

Ja: Lichtenhainer. Reichlich unbekannt. Ein altes deutsches Bier, leicht, hell, säuerlich, kaum bitter, rauchig – und so gut wie tot. Das perfekte Bier für Sebastian Sauers Craft Beer Marke „Freigeist Bierkultur“. Denn mit der will Sauer vor allem eines:  Tote zum Leben erwecken. Bier-Leichen neues Leben einhauchen.

Das allerdings nicht um jeden Preis: „In erster Linie geht es mir darum, gutes Bier zu brauen“, erklärt Sauer. „Wir verwenden keine alten Qualitäten, nur um damit historisch authentischer zu sein. Sprich: Alte Malzqualitäten aus dem 19.Jahrhundert zu rekreieren, wo irgendwelche Kornblumen drin waren, macht für uns keinen Sinn. Uns steht heute eine bessere Qualität zur Verfügung und die wollen wir auch nutzen.“ Insofern könnte man die Philosophie hinter der Freigeist Bierkultur besser so formulieren: „Wir überlegen, wie ein alter Bierstil heutzutage sein könnte, wenn er fortgeführt worden wäre.“

Freigeist Bierkultur

Tapliste am Ausschank der Freigeist Bierkultur auf dem „Wurst & Bier“-Event in Berlin. (Foto: StP)

So hat er es auch mit seinem Adambier gemacht, das „Methusalem“ heißt und unter der Marke „The Monarchy“ erschienen ist, ein Gemeinschaftsprojekt mit Fritz Wülfing. (Ja, irgendwie kommt es einem oft so vor, als wäre Sauer nicht einer sondern viele: Er steckt hinter Freigeist, dem Bier der Braustelle, ist eine Hälfte von The Monarchy, betreibt mit Bierkompass einen Bierverlag, hat im Auftrag der „Fetten Kuh“ ein Bier für den Burgerladen erdacht, das „Fette IPA“ usw.). Das Adambier ist ein Bierstil, der in den 1960ern ausgestorben ist. „Gab es gar nicht mehr“, sagt Sauer, „kein originalgetreues Beispiel davon weltweit.“ Also wühlt er sich durch alte Braubücher in Archiven, liest so ziemlich alles von Ron Pattinson, dem führenden britischen Bierhistoriker und forscht im Internet, bis er sein Adam-Rezept zusammen hat. Das Besondere an diesem Stil ist unter anderem nämlich dies: „Früher gab es viel Mischgärung, sprich, dass bei einem Bier sowohl ober- als auch untergärige Hefe verwendet wurde. Das ist heutzutage absolut unüblich, wir haben es aber trotzdem gemacht.“

Freigeist Bierkultur wird ein Exporthit

Mit Ron Pattinson hat Sauer übrigens auch schon zusammen gebraut: Die beiden haben 2013, genau zwanzig Jahre nachdem das letzte, originale polnische Grodzisk Bier vom Markt verschwunden war, ein Grätzer rekreiert. Ganz echt mit 100 Prozent über Eichenholz geräuchertem Weizenmalz und dem originalen Hopfen.

Als erstes stand ein Händler aus Italien auf der Matte, erzählt Sauer, der seine Biere haben wollte. Dann folgten weitere Anfragen und Einladungen für das Ausland. „Wir standen da plötzlich mit unserem Stand auf Bierfesten neben Brauereien wie Cantillo, De Molen und anderen Hochkarätern. Und unsere Biere sind richtig gut angenommen worden. Das war schon verrückt. Vor allem an unserer Gose waren die Leute im Ausland total interessiert.“

Freigeist Bierkultur

Der Brauer erklärt sein Bier: Sebastian Sauer hinterm Zapfhahn. (Foto: StP)

Mit genau dieser Gose, dem „Freigeist Geisterzug“, kamen dann auch die Amerikaner. Mit den Shelton Brothers klopfte einer der wichtigsten Importeure europäischer Biere an und verlangt Sauer-Bier. Und zwar viel davon. Halb Amerika ist doch ganz verrückt nach Gose – dem guten alten deutschen Sauerbier, benannt nach dem Flüsschen Gose bei der Stadt Goslar. „Ich glaube nicht, dass es in den USA irgendjemanden interessiert hätte, wenn wir ein IPA gemacht hätten. Da hätten die gesagt: ‚Ja, schön, haben wir genug von, behaltet das mal da bei Euch.‘“, glaubt Sauer. Stattdessen also Gose. „Die wurde mit großem Interesse aufgenommen und alle wollten wissen, wieso wir diesen Bierstil brauen und warum wir ihn mit Fichtenzweigen herstellen.“ Weil das so muss. So war die originale Gose eben.

Freigeist Bierkultur – 99 Points!

Seither ist Freigeist in US-Craft Beer Kreisen fast schon ein „household name“. Im Ernst, kein deutscher Craft Beer Brauer ist da drüben so gut bekannt wie Sebastian Sauer mit Freigeist. Sechs Mal war er schon drüben, seine Biere auf Gastrotouren und Craft Beer Festen vorzustellen. Und er wird schwer gefeiert: Sein „Lambik Ohrwal“ hat satte 99 over-all-Punkte auf Rate Beer abgesahnt. Genauso seine „Eszett Geuze“, ein winzig kleiner Sondersud aus dem Jahr 2010. Das ist auch der Grund, warum das gute neue, alte Bier hierzulande so schwer zu bekommen ist.

Label des Salzspeicher Bieres von Freigeist Bierkultur

Ein typischer Sebastian Sauer – salzig und eben sauer (Foto: StP)

Für seine Sude arbeitet Sauer mit verschiedenen Brauerein zusammen, Vormann in Hagen-Dahl, Göller in Köln, der Braustelle, natürlich. Über eine eigene Brauerei habe er immer mal wieder nachgedacht, erzählt Sauer im rheinischen Sing-Sang, sich aber auch immer wieder dagegen entschieden. So ist er einfach flexibler. Und hat mehr Kopf für verrückte Sachen.

Broihan zum Beispiel. Ein Bier aus dem Mittelalter. Weizen. Längst ausgestorben. Könnte man mal machen. Allerdings gäbe es da ein Problem, sagt Sauer. Ein originaler Broihan wäre maximal zwei Wochen haltbar. Oder die Braunschwaiger Mumme. Auch dafür hat Sauer schon tief in der Biergeschichte gewühlt. Spannendes Bier, weil es mit aus heutiger Sicht völlig verrückten Sachen gebraut wird: Innwändiger Tannenrinde und Tannenspitzen, Benediktenkraut und Berberitzen.
Und so rezeptete und braute er glücklich und zufrieden bis an das Ende seiner Tage.