Hopfengut No. 20 Titel

HOPFENGUT No. 20: Hopfen und gut

Thomas Redders

Als die Geschwister Charlotte Müller und Lukas Locher das Hopfengut No. 20 in Tettnang von ihren Eltern übernommen haben, haben sie einiges voran getrieben: Aus einem Hopfengarten wurde ein ganzheitliches und ziemlich spektakuläres Hopfenerlebnis mit Restaurant, Museum, Brauerei, Laden – allem halt. Und trotzdem geht es den beiden sehr darum, Traditionen lebendig zu halten. Ihr Motto: „Altes wahren, Neues wagen“.

Hopfenernte, das war früher wie tindern – nur krasser!
„Tettnang war damals wahrscheinlich der größte Heiratsmarkt Süddeutschlands“, sagt Lukas Locher und muss selbst ein bisschen lachen. Obwohl es halt stimmt, irgendwie. Und dann erzählt er:

Während heute natürlich ein Großteil der Arbeitsschritte im Rahmen der Hopfenernte automatisiert sind, war die Ernte auf dem Tettnanger Hopfengut No. 20 bis in die 1950er Jahre echte Handarbeit. Der „Hopfengickeler“ hat mit einem langen Haken die Querdrähte so schnalzen lassen, dass sich die Rankdrähte gelöst haben und zu Boden fielen. So konnten die „Hopfenbrockerinnen“ die Dolden per Hand von der Pflanze brocken und sammeln. Und dann wird’s romantisch.

Lass mich dein Ästlebrocker sein

Wenn die Ranken dann erstmal unten waren, kamen die Ästlesbrocker ins Spiel. Jungs, die sich zu ihren auserwählten Hopfenbrockerin gesetzt und sie beim Dolden brocken unterstützt haben. So Gentleman! Dadurch konnte die Hopfenbrockerin, die pro Korb bezahlt wurde, ihren Verdienst nämlich aufstocken. Im Gegenzug hatte der Ästlesbrocker Zeit das Herz seiner Auserwählten zu gewinnen. Wie man das halt so macht: mit klugen Sachen und guten Witzen und so.

Und dann wird die Geschichte auch noch ein bisschen schmutzig, arg grenzwertig, aus heutiger Perspektive: Eine besondere Rolle bekam nämlich die Hopfenbrockerin, die die letzte Pflanze aberntete. Sie wurde zur „Hopfensau“ ernannt und oftmals auf höchst fragwürdige Weise gefeiert – vom Transport auf einem Wagen voller Mist, bis hin zum Tunken in ein Jauchefass. Hört sich furchtbar an. Allerdings hatte die Hopfensau einen ganz entscheidenden Vorteil gegenüber den anderen Hopfenbrockerinnen: Sie bekam am Ende alle angebrochenen Körbe und konnte ihren Verdienst somit erheblich verbessern.

Hopfengut Hopfensäcke

Tettnanger Hopfen in sogenannten RB 60 Säcken zum Versand bereit. (Foto: TR)

Charlotte und Lukas wissen all das, weil sie in einen Hopfenbetrieb hineingeboren wurden, das Hopfengut No. 20, ein paar Kilometer nördlich des Bodensees. Ein echtes Traditionsunternehmen. In vierter Generation bauen die Lochers hier Hopfen an. Und mittlerweile machen sie sogar noch viel mehr: Seit Lukas und seine Schwester Charlotte 2015 das Gut übernommen haben, gehört zum Hopfengut No.20 neben dem Hopfenanbau, dem Museum und einer gemütlichen Gaststätte auch eine kleine Brauerei.

Hopfengut No.20: Familienunternehmen goes Start-Up

Die neue Generation der Hopfenbauern hat aus dem alten Gut ein neues Start-Up gemacht. Weil die Zeit dafür reif war. Weil es diese Begeisterung für eine neue, bessere Bierkultur gibt und die – natürlich! – auch die Rohstoffe umfasst. Weil die Leute wissen wollen, wo guter Hopfen für besseres Bier herkommt  – und weil Lukas und Charlotte wirklich etwas dazu zu erzählen haben. Das Alles-in-Einem-Paket zieht jährlich rund 25.000 Besucher an.

Hopfengut No. 20

Das Hopfengut No. 20 Dreiergespann: Fritz Tauscher, Charlotte Müller und Lukas Locher (v.l.n.r.). (Foto: Hopfengut No. 20)

Eine Volkswirtin, ein Agrarwissenschaftler und ein Brauer

Der Weg zum Hopfengut No. 20, ob mit dem Auto, oder zu Fuß über den Tettnanger Hopfenweg, könnte idyllischer kaum sein: Die nördliche Bodenseeregion ist geprägt von Obstanbau und einem beeindruckenden Alpen- und Bodenseepanorama. Erst rund um das 19.000 Einwohner Städtchen Tettnang tauchen die ersten der grob 150.000 Hopfenpflanzen auf den 40 Hektar des Hopfenguts No. 20 auf – Ende August, zum Anfang der Ernte, in voller Blüte. Die tiefen Gletscherböden und das milde, wechselhafte Bodenseeklima sind ideal für den Hopfenanbau. Das Tettnanger Hopfengut No. 20 hat einige Stammsorten, die sie jedes Jahr anbieten, aber auch immer wieder neue an den Markt angepasste. Zu den in Tettnang angebauten Sorten (>> mehr über die wichtigsten Hopfensorten) gehören beispielsweise Tettnanger, Herkules und Mandarina, aber auch Cascade, Callista, Centennial uvm.

Die hohe Qualität des Tettnanger Hopfens hat dafür gesorgt, dass das „grüne Gold“ vom Bodensee inzwischen international gefragt ist. Das Hopfengut No. 20 exportiert seinen Hopfen  nicht mehr nur innerhalb Europas, sondern auch in die USA, nach Südamerika und nach Australien.

Erntezeit bedeutet für die Geschwister Hauptsaison. Charlotte, so etwas wie die CEO des Start-Ups, leitet die Geschicke im Restaurant und im Hopfen-Museum. Die Diplom-Volkswirtin kümmert sich, neben den Finanzen, mit ihrer offenen und herzlichen Art um die, gerade zu dieser Zeit, zahlreichen Gäste – ob im Restaurant, dem Laden oder im Museum.

Lukas‘ Schwerpunkt ist ganz klar der Hopfenanbau. Wenn der Agrarwissenschaftlicher, der ganz nebenbei ein beeindruckender Redner ist, über Hopfen, die Historie des Guts und die Faszination guter Biere spricht, merkt man gleich, dass das Hopfengut No. 20 sein großes Herzensprojekt ist.

Das Hopfengut-Bier braut ein gelernter Brauer: Fritz Tauscher. Hauptberuflich betreibt er in siebter Generation die Brauerei und den Gasthof Zur Krone in Tettnang. Nebenbei braut er die Spezialitätenbiere des Hopfenguts. Die Zusammenarbeit ist für ihn ganz klar ein Win-Win-Geschäft. Die Geschwister haben einen erfahrenen Brauer an Bord, während Fritz Tauscher die Möglichkeit hat, viele verschiedene Biere in kleinen Margen zu brauen, zu experimentieren und auszuprobieren.

Hopfengut Brauerei

Die kleine 250 Liter Anlage auf dem Hopfengut No. 20. (Foto: TR)

Die kleine 250 Liter Anlage des Hopfengut No. 20 gibt es erst seit 2015. Der große Traum der Eltern wurde mit der Übergabe der Leitung an die nächste Generation als krönendes Finale umgesetzt. Nebenbei mitgeführt von Fritz Tauscher produziert die Anlage 250 bis 300 Hektoliter im Jahr. Fritz Tauscher verarbeitet selbstverständlich nur den Hopfen des Hopfenguts – und davon eine ganze Menge. Alle Biere des Hopfenguts sind – wie soll es anders sein – besonders hopfenbetont, teilweise mit bis zu einem Kilogramm Hopfen pro Hektoliter. Das Black Ale, der „sud eins“, das „melon ipa“ und das Pale Ale sind das ganze Jahr über zu haben. Darüber hinaus braut Tauscher saisonal weitere Biere, darunter unter anderem ein Stout und die Aushängeschilder des Hopfengut No. 20: die „Heiße Ernte“ und ein Bier namens „Hopfensau“.

Letztere sei ihr Favorit, erklärt Charlotte.  Dabei ist die Hopfensau ein Jahrgangsbier, immer wieder neu, von Jahr zu Jahr anders, aber immer stark und fett und großartig. Die Hopfensau wird auf dem Hopfengut No. 20 in Anlehnung an die Hopfenbrockerinnen mit dem letzten geernteten Hopfen gebraut. Die Sau auf der Flasche wird dabei jedes Jahr von einem anderen Künstler aus der Region gezeichnet.

Lukas‘ Lieblingsbier ist die „Heiße Ernte“. Die wird just in diesen Tagen wieder gebraut. Es ist ein Grünhopfenbier! Den Namen hat das Bier in Anlehnung an den Film von Hans Heinz König bekommen: Eine Liebesgeschichte in den Tettnanger Hopfenfeldern.

Das Ziel hinter dem zusätzlichen Aufwand durch die Brauerei definiert Lukas ganz klar: „Wir wollen das erreichen, was die Winzer bereits geschafft haben.“ Was er damit meint ist genauso simpel, wie plausibel: Der Winzer produziert die Trauben und den Wein selber. Das lockt Besucher auf die Weingüter und macht die Herstellung transparent. Das Hopfengut No. 20 hat im Prinzip den selben Anspruch: Guter Hopfen und gutes, handwerklich hergestelltes Bier aus einer Hand.

Titelbild: Hopfengut No. 20