KRÄUTER- UND GEWÜRZBIER: Gagel, Enzian und Heidekraut

Günther Thömmes

Was das Salz in der Suppe ist der Hopfen im Bier. Allerdings nicht immer würzen alle ihre Biere nur mit Hopfen. Das Thema Kräuter- und Gewürzbier ist ein weites Feld – auf das sich unser Autor und Braumeister Günther Thömmes mutig vorwagt.

In der vieltausendjährigen Geschichte des Biers ist der Hopfen eine recht junge Errungenschaft. Seit gut eintausend Jahren bekannt, und erst seit etwa fünfhundert Jahren unabdingbar. Und dies auch nur in erster Linie in Regionen, die dem Reinheitsgebot treu sind und waren. Doch sogar hier gibt es immer mehr ‚Abtrünnige‘: kreative Brauer, die ihre Biere anders würzen wollen als nur mit Hopfen. Die Kräuter und Gewürze einsetzen, als Ersatz, als Ergänzung oder halt einfach mal anders, „wir werden schon sehen“. Auf botanischen Ersatz oder Ergänzungen für Malz, ob Obst, Gemüse, Honig oder andere Stärke- und Zucker-Surrogate, soll hier nicht eingegangen werden. Dafür ist das Thema zu umfangreich und wird an anderer Stelle behandelt werden. Das gleiche gilt für Tee- und Kaffee-Experimente.

Hier soll es ausschließlich um die Zugabe von Kräutern und Gewürzen zum Bier gehen. Was war früher, war geht heute, was geht gar nicht?

Was war früher, war geht heute, was geht gar nicht?

Die letzte Frage ist eigentlich am Leichtesten zu beantworten. Nicht geht, was gesundheitsgefährdend ist, im Sinne von giftig, halluzinogen oder bewusstseinsverändernd. Wenngleich immer noch der alte Spruch gilt, wonach die Dosis das Gift macht, sollten auch erfahrene Brauer von einigen Pflanzen einfach die Finger lassen. Wie von dem einst gerne verwendeten Stechapfel (bewusstseinsverändernd), Bilsenkraut (das Nervensystem angreifende, giftige Alkaloide), Fingerhut (Digitalis, das Gift führt zu Herzmuskelstörungen) oder Fliegenpilz (rauschartige Vergiftung). Im Zweifel informiert das Lebensmittelrecht über die Zulässigkeit. Wenn keine Information verfügbar ist: Finger weg! Es gibt hinreichend geprüfte, zugelassene und wohlschmeckende Alternativen.

Kräuter

Die ätherischen Öle des Rosmarins sollen bei Kreislaufschwäche, Gicht und Rheuma helfen. Ob diese Wirkung auch dem Rosmarin-Bier nachgesagt werden kann?

In alter Zeit, also von den Anfängen des Biers bei den Sumerern bis ins Hochmittelalter, fügten die Brauer dem Bier zu, wozu sie gerade Lust und Laune hatten. So scheint es jedenfalls, wenn man alte Rezepte oder Berichte liest. Das ist aber zu kurz gesprungen. Die Brauer, sowohl vor als auch nach der berühmten Hildegard von Bingen, hatten ein enormes empirisches Wissen um Nutzen und Schaden von Kräutern und Gewürzen, die im Bier ihre Wirkung entfalten.

Kräuter- und Gewürzbier als Heilmittel

Bier wurde, viel mehr als heute, als Universalmedikament gesehen, mit dem man – die richtigen Kräuter hinzugegeben – fast alle Krankheiten kurieren konnte. Zumindest die alltäglichen, wie Blähungen, Durchfall, Gicht, Rheuma oder Fieber. Sogar Schwermütigkeit schien heilbar! Dieser Brauch hat sich bis weit in die Neuzeit gehalten, wie Einblicke in deutsche Braumeister-Lehrbücher außerhalb von Bayern bestätigen.

Zu den gesundheitlichen Aspekten kamen immer, zu allen Zeiten, auch fiskalische hinzu. Die Obrigkeit hatte deswegen ein Interesse daran, Einblick in die Zutaten zu erhalten, damit man diese entsprechend besteuern konnte. So entwickelte sich zum Beispiel das Grutrecht in vielen Städten des Reiches. Die Grut war eine Kräutermischung, die von Stadt zu Stadt variierte und meist in einem Monopolgeschäft von der Obrigkeit verkauft wurde. Oft bereits mit dem Malz vermischt, um Steuerhinterziehung komplett auszuschalten.

Verfechter des Reinheitsgebotes (RG) argumentieren auch gerne mit dem RG als frühes ‚Anti-Drogen-Gesetz‘. Dieses Argument hält jedoch der Geschichte nicht stand. Hatten doch die Brauer Norddeutschlands gleiche Rohstoff-Möglichkeiten, aber keine Gesetze nötig. Also liegt der Schluss nahe, dass es die mangelnde Bierqualität im Bayern des 14./15. Jahrhunderts war, die restriktive Gesetze erforderlich machte. Naheliegend durch das in Bayern übliche ‚radifizierte‘ Braurecht, welches lokale Konkurrenz weitgehend ausschaltete. (Wer den Brauterminus ,radifiziert‘ nicht kennt: Radifiziert leitet sich ab von Radix, lateinisch für Wurzel. Das Braurecht war also am Ort beziehungsweise am Haus verwurzelt. Dadurch konnte jeder Brauer machen, was er wollte.) Im Gegensatz zum harten, qualitätsfördernden Konkurrenzkampf der norddeutschen Hansebrauer. Aber das ist eine andere Geschichte….

‚Grut‘ zu definieren ist ein schwierig Ding

Eine sichere Definition von Grut ist heutzutage schwierig, gesichert ist aber, dass Gagel (Myrica gale) und Sumpfporst (Rhododendron tomentosum, auch Wilder Rosmarin) Hauptbestandteile der Grut waren. So sehr, dass Gagel und Grut teilweise synonymisch verwendet wurde, was die Definition zusätzlich erschwert.

‚Abgeschmeckt‘ und komplettiert wurde die Grut dann mit dem, was lokal verfügbar war, wie zum Beispiel Fichtensprossen, Wermut, Mädesüß, Anis und Kümmel sowie allen üblichen Gartenkräutern wie Schafgarbe, Beifuß, Rosmarin, Thymian, Salbei, Lorbeer, Wacholder, Oregano, Basilikum, Minze oder Koriander.

Kräuter

Gruselt euch die Vorstellung von Minzgeschmack im Bier? Keine Angst, das passt.

Mit der Einführung des Reinheitsgebots schien die Grut am Ende ihrer Geschichte angelangt zu sein, aber weit gefehlt. Besonders außerhalb von Bayern wiesen viele Städte dem Hopfen weiterhin die Türe. Köln war bis in die Neuzeit eine Hochburg der Grutbiere, bis dann, angeblich aus gesundheitspolitischen Gründen, Grutbiere als so genannte ‚Dollbiere‘ (sic!) verboten wurden.

Sogar in Bayern wurde nur wenige Jahrzehnte nach dem legendären Jahr 1516 der Einsatz von Koriander wieder zugelassen.

Auch in Norddeutschland brauchte der Hopfen länger, um sich exklusiv durchzusetzen. Eine Ausnahme vom Mittelalter an bis in die heutige Zeit blieb die Gose (mit Hopfen und Koriander, sowie den nicht-botanischen Zutaten Salz und Säure).

Hopfen trifft Heidekraut

In Flandern und den Niederlanden ist Hopfen bis heute kein alleiniges Würzmittel, wie zum Beispiel das beliebte Witbier mit Koriander und Orangenschalen zeigt.

Schottisch und skandinavische Brauer liebten zwar auch den Hopfen, jedoch oft in Verbindung mit Heidekraut (Calluna vulgaris, engl. Heather). Die beliebten ‚Heather-Ales‘ halfen angeblich zur Blutreinigung, bei Erkältungskrankheiten, Gicht und Hautausschlägen, bei Koliken, Nierenerkrankungen, Rheuma, Schlaflosigkeit und Verdauungsbeschwerden. Eine echte Universalmedizin.

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Beliebte Kombination: Orangenschale und Koriander gibt dem Witbier seinen unvergleichlichen Geschmack.

In der Folge, also im 16./17. Jahrhundert, waren lediglich Bayern und Böhmen strikte Hopfenkonsumenten. Ausnahmen gab es, aber eher selten. Nur Kriegs- und Notzeiten, wie der Dreißigjährige Krieg, brachten Brauer auch dort wieder in die Verlegenheit, Alternativen zum Hopfen zu suchen.

Erst das späte 19. Jahrhundert, mit der reichsweiten Einführung des Reinheitsgebots zwischen 1871 und 1906, brachte den endgültigen Durchbruch für den Hopfen im ganzen Deutschen Reich. In einem nur unwesentlich früheren Buch, von 1852 (!), mit dem Titel „Ausführliches Lehrbuch der Bierbrauerei“, verlegt in Berlin, finden sich noch Rezepte mit folgenden Pflanzen, die ausdrücklich als ‚Hopfen-Surrogate‘ angeführt werden: Die getrocknete Wurzel des Roten Enzians, das Kraut vom Bitterklee, das Kraut der Schafgarbe, das Tausendgüldenkraut, das Kardobenediktenkraut, der Wermuth, die bittere Kreuzblume, die Veilchenwurzel und das Quassiaholz.

Die Kolonisierung bringt neue botanische Entdeckungen ins Bier

Wobei die zunehmende Eroberung und Kolonisierung der Welt durch die europäischen Mächte auch für die Brauer über die Jahrhunderte den Horizont erweiterte, nicht nur mit Quassiaholz (aus Südamerika) oder Eukalyptus (aus Australien).

Die Brauer begannen zunehmend, zwischen der Wirkung der Zutaten auf die Gesundheit und erwünschten geschmacklichen Verbesserung zu unterscheiden. Wann genau die geschmacklichen Verbesserungen endgültig den Vorzug erhielten vor eventuellen medizinischen (oder nur Placebo-)Effekten, ist nicht mehr feststellbar.

Fakt ist aber, dass ein heutiger Brauer mit großer Kenntnis ein ungeheures Arsenal an Kräutern und Gewürzen, ja sogar Pilzen, verwenden kann und darf. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt, außer der des geltenden Lebensmittelrechts. Und es sollte IMMER der geschmacklichen Verbesserung dienen, denn gesundheitsbezogene Angaben im Zusammenhang mit Bier sind verboten.

Ein Arsenal von Zutaten ist heute verfügbar

Alles, was regulär im Lebensmittelmarkt oder im gut sortierten Gewürzhandel erhältlich ist, was im eigenen Kräutergarten wächst und auch sonst zum Kochen oder Speisenzubereitung eingesetzt wird, darf man ausprobieren.

Pfeffer, Koriander, Paradieskorn, Muskatnüsse, Pomeranzenschalen, Gewürznelken oder Zimt sind, neben den bereits oben genannten Kräutern, Beispiele für beliebte Zutaten. Sie haben aus vergangener Zeit bis in die heutige überlebt und können, bei richtiger Anwendung, dem Brauer wie dem Genießer große Freude bereiten.

Aber auch moderne Gewürzmischungen kann man ausprobieren, warum nicht mal was auf Currybasis, ostasiatisch oder mexikanisch angehaucht?

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Granatäpfel so weit das Auge reicht? Ab ins Bier damit!

Erlaubt ist, was gefällt. Und experimentieren für manchen Brauer Pflicht.

Wobei man aber nicht unterschätzen sollte, dass so manche Zutat im Bier völlig anders schmeckt als auf einem saftigen Steak oder im Salat, und auch bisweilen ätherische und andere Öle ausgelöst werden können, die zum Beispiel dem Bierschaum gar nicht gut bekommen.

Vorreiter dieser ganzen Idee des „Erlaubt ist, was gefällt“ war, wieder einmal, der westfälisch-österreichische Braupionier Axel Kiesbye, der seit einigen Jahren mit seinen ‚Waldbieren‘ für Furore sorgt. Jedes Jahr eine neue Edition mit Früchten des Waldes, die es so im Bier noch nicht gegeben hat. Fichte, Wacholder, Schwarzkiefer, Lärche, Zirbe, Tanne, oder aktuell, die 2017er-Edition: Mit der Blüte der Wildkirsche!

Immer mehr Brauer, wie beispielsweise Sebastian Sauer (Freigeist/Abraxas), das Gruthaus in Münster oder Jopen in den Niederlanden, brauen spannende Biere mit historischen Bezügen. Alte Bierrezepte werden wieder neu entdeckt und interpretiert.

Oder gleich ran ans wilde Neue, wie Andreas Seufert (Pax Bräu).

Da bleibt noch einiges zu erwarten in der Zukunft.

Solange die Gesundheit und das Wohlbefinden der Biertrinker oberste Priorität haben, sollte alles erlaubt sein. Aber die zweithöchste Priorität, gleich danach, die sollte der Geschmack haben.

Cheers!