Lars Marius Garshol

KVEIK: Fancy Hefe aus Norwegen

Thomas Redders

Kveik (gesprochen wie geschrieben) ist eine Hefe-Familie, die es ganz schön drauf hat: Spektakuläre Aromen, rasante Gärzeiten und eine enorme Alkoholtoleranz. Damit lässt sich doch arbeiten. Alles über die fancy Hefe aus Norwegen weiß Kveik-Forscher Lars Marius Garshol.

Ganz ehrlich? Die Kveik hat das Zeug zum ganz großen Star der Bier-, zumindest aber der Wilde-Biere-Szene zu werden – und das, obwohl sie eigentlich gar nicht wirklich wild ist. Erstaunlich, dass man die Norwegerin dort noch nicht alle Flasche lang antrifft. Mag daran liegen, dass sie ein heimatverbundenes Familienwesen ist.

Traditionell wurde (und wird) sie über Generationen von norwegischen Brauern weitergegeben. Viele (nicht alle!) Hefebanken bieten die Hefen gar nicht, oder nur als einzelne, purifizierte Stämme an. Und das ist eben nicht das Original. „Echte“ Kveiks sind nicht purifiziert, die von den norwegischen Farmhouse-Brauern genutzten Kveiks enthalten immer mehrere Stämme, teilweise sogar Bakterien.

Einer kennt sich besonders gut damit aus: Lars Marius Garshol ist eigentlich Software-Ingenieur. Nebenbei aber ist er Bier- und vor allem Kveik-Liebhaber. Seine Forschung rund um die Kveik hat ihn zu DEM Kveik-Experten gemacht. Wir haben uns mit Lars über die norwegische Farmhouse-Hefe unterhalten – wo sie herkommt, was sie ausmacht und wie man sie verwendet. Aber beginnen wir mit einer Definition.

Kveik – viele Regionen, viele Wörter

Ganz vereinfacht sind Kveiks laut Lars‘ ursprünglicher Definition „nicht purifizierte, norwegische Farmhouse Hefen“. Damit würde man den Kveiks aber nicht wirklich gerecht werden.

In der historischen Verwendung war „kveik“ eigentlich nur ein Begriff für Hefe in einigen Regionen Norwegens, Dialekt, wenn man so will. Während in anderen Regionen von „yester“, „gjær“ oder „gong“ gesprochen wurde (es gibt, wie man unten sieht, noch mehr Begriffe), wurden die Hefen vor allem im Westen und Süd-Westen Norwegens als „kveik“ bezeichnet.

Kveik Hefen Dialekte

Andere Länder, andere Hefen – oder so ähnlich. Regionale Verwendung unterschiedlicher Wörter für Hefe. (Grafik: Lars Marius Garshol, http://www.garshol.priv.no/blog/380.html)

Lars definiert die Kveik Hefen inzwischen folgendermaßen: „Kveiks sind alles Saccharomyces cerevisiae. Wir haben herausgefunden, dass sie alle von einer einzigen Familie abstammen. Sie sind alle miteinander verwandt, ein separater Ast des Stammbaums für Brauhefen. Das wurde die Definition von Kveik.“ Ergänzend fügt er hinzu: „Wenn eine Hefe in dieser Familie ist und den Kveiks näher verwandt ist, als anderen Hefen, dann ist die Hefe eine Kveik.“ Die geografische Herkunft spielt dabei keine Rolle. Allerdings konnten bislang keine Kveiks gefunden und analysiert werden, die nicht aus dem Westen beziehungsweise Süd-Westen Norwegens stammen.

Geschichte der Kveik

Über die Geschichte der Kveik Hefen und vor allem deren ursprüngliche Herkunft ist bislang nicht viel bekannt. Man weiß lediglich, dass die Kveik Hefen über Generationen von Farmhouse Brauern in ganz Norwegen auf unterschiedlichste Art und Weise weitergegeben wurden. Die typischen Methoden waren dabei:

  • Flaschen oder ähnliche Gefäße, in denen die Hefe aufbewahrt wurde
  • Strohringe
  • Leinentücher
  • eine Art getrockneter Kuchen
  • Holzringe oder sogenannte „kveikstokker“
Kveikstokk Kveik Hefen

Kveikstokk aus Holz zum Abschöpfen der Kveik Hefen – oder was dachtet Ihr? (Foto: Lars Marius Garshol, http://www.garshol.priv.no/blog/264.html)

Besonders die letzte Methode ist typisch. Der „kveikstokk“ diente auch bei anderen Lagerungsmethoden als Hefeabschöpfer. Er wurde in die noch heiße Würze getunkt und die sich darauf niederlassende Hefe anschließend getrocknet.

„Heute“, erklärt Lars schmunzelnd, „brauchst du nur noch einen Löffel und einen Kühlschrank.“ Aber im Prinzip trifft das den Nagel ziemlich genau auf den Kopf: Die vielleicht einfachsten Methoden sind die Lagerung in Glasgefäßen (Vorsicht mit möglichem Restdruck im Gefäß!), und die Trocknung, beispielsweise auf Backpapier mit anschließender kühler Lagerung. Für besonders lange Lagerungszeiten kann die Kultur mit Glycerol (Lars rät 15-25%) gemischt und im Eisfach gelagert werden. Das Glycerol verhindert das Gefrieren, die geringe Temperatur sorgt trotzdem für längere Konservierung.

Charakteristika von Kveik Hefen

Preiss et al. haben in ihrem Paper „Traditional Norwegian Kveik Yeasts: Underexplored Domesticated Saccharomyces cerevisiae Yeasts” außerdem die typischen Merkmale von Kveik Hefen analysiert und folgendermaßen zusammengefasst:

Kveik Hefen

  • bestehen immer aus mehreren Stämmen
  • sind schnell fermentierend (deutliche Aktivität nach 30 Minuten, vollständige Fermentation oft bereits nach 36 Stunden) und fermentieren bei hohen Temperaturen (bis zu 43°C)
  • sind nicht-phenolisch
  • haben eine hohe Alkoholtoleranz (bis zu 16 Vol. %)
  • bilden unterschiedliche Aromen, häufig in Richtung tropischer Früchte
  • flocken extrem stark
  • können getrocknet werden
  • sind zu einer Dämpfung von 75-85% in der Lage

Außerdem stellte das Forscherteam fest, dass sich Kveik Hefen an Hand ihrer Merkmale in zwei Hauptfamilien aufteilen lassen. Lars fand heraus, dass sich diese beiden Hauptfamilien auch regional durch den Jostedalsbreen (Jostedal Gletscher) trennen lassen. Lediglich Stranda bildet dabei eine Ausnahme. Der Grund dafür ist nicht bekannt, allerdings wird vermutet, dass die Hefe irgendwann über den Gletscher „importiert“ wurde.

Kveik Hefen

Die zwei Kveik Arten lassen sich auch geografisch durch den Jostedalsbreen trennen. (Grafik: Lars Marius Garshol, http://www.garshol.priv.no/blog/378.html)

Besonderheiten beim Brauen mit Kveiks

Neben den bereits genannten Eigenschaften, müssen beim Brauen mit Kveiks noch ein paar Dinge beachtet werden. Aber eines vorab: Kveik eignet sich wunderbar zum Brauen!

Typisch für mit Kveik fermentierte Biere ist die schnelle Trinkbarkeit, häufig direkt nach der Fermentierung. Eine kurze Lagerzeit von bis zu einer Woche kann den Geschmack allerdings verbessern. Außerdem betont Lars, dass es sich bei der Kveik anbietet, vergleichsweise wenig Hefe in die Würze zu geben, dafür aber für genügend Sauerstoff zu sorgen – einfaches Umgießen der Würze aus geringer Höhe genügt. Wie bei anderen Hefen auch, sollte die Temperatur möglichst konstant gehalten werden.

Kveik Hefe

Die Kveik bei der Arbeit – etwa eine halbe Stunde nach Hefezugabe. (Foto: Lars Marius Garshol, http://www.garshol.priv.no/blog/393.html)

Auch beim Abschöpfen der Hefe müssen ein paar Dinge beachtet werden. Die Hefe besteht nicht aus einem einzelnen Stamm, sondern ist ein Mixkultur. Das bedeutet, dass die Zellkonzetration einiger Stämme an einem Ort in der Würze höher, an einem anderen geringer ist. Lars rät: „Ernte wie der ursprüngliche Besitzer der Hefe, also nach der selben Zeit (ab der Hefezugabe) und am selben Ort (oben oder unten).“ Ein weiterer Grund für die rechtzeitige Ernte ist der, dass Bakterien in der Regel langsamer wachsen als Hefen. Um den Bakterein diese Chance zu nehmen, sollte die Hefe nicht zu lange in der Würze gelassen werden.

Durch die starke Flockung der Kveiks kann es beim Abfüllen in Flaschen dazu kommen, dass die Hefe am Boden der Flasche „festklebt“ und es naheuzu keine Karbonisierung gibt. Um das Problem zu umgehen, sollte unter Umständen eine weitere Hefe hinzugefügt werden.

Die Aromen variieren sehr stark zwischen den unterschiedlichen Kveiks – von tropischen Früchten über Orangenzeste bis hin zu erdigen und weihnachtlichen Aromen, aber auch typische funky Noten sind nicht selten. Die richtige Auswahl ist entscheidend.

Mehr als Farmhouse Ale

Das norwegische Farmhouse Ale – „maltøl“ – ist im Prinzip nur ein Überbegriff für teilweise mit Kveiks gebraute Biere. Maltøl lässt sich in mehrere Unterkategorien aufteilen, allerdings variieren Zutaten und Brauarten teilweise sehr stark. Die zwei bekanntesten Stile, bei denen die Kveik genutzt wird, sind das Kornøl und das Vossaøl.

Das Kornøl wird an Norwegens Westküste, also westlich des Jostedalsbreen Nasjonalpark gebraut. Das Vossaøl wird, wie der Name schon sagt, rund um Voss hergestellt. Lars beschreibt die beiden Arten folgendermaßen:

  • „Kornøl: Hell (Pale), trüb, süß, fruchtiges Raw Ale (Anm. d. Red.: die Würze wird nicht gekocht) mit Kveik und Wacholder Aroma.
  • Vossaøl: Klar, dunkelrot oder braun, süßlich, fruchtiges Ale mit Wacholder Aroma und Kveik, lange gekocht.“

Inzwischen nutzen viele Brauereien, aber auch Homebrewer, Kveiks für verschiedene Bierstile, vom IPA bis zum Porter. Besonders im Sommer bieten sich die Kveiks durch die hohe Temperaturtoleranz zum Brauen an.

Übersicht einiger Kveik Hefen

Um sich eine Übersicht über die bislang entdeckten und analysierten Kveik Hefen zu verschaffen, lohnt sich ein Blick in das „Farmhouse yeast registry“ von Lars. Darin beschreibt er die Kveiks sehr ausfühlich: Eigentümer, Herkunft, maximale Gärtemperatur, maximale Alkoholtoleanz…

Hier ist ein kleiner Überblick über einige der ersten von ihm analysierten Kveiks:

  • Sigmund
  • Rivenes
  • Stranda
  • Hornindal
  • Lærdal

Forschung mit Farmhouse Hefen

Ein aus kanadischen und finnischen Forschern bestehendes Team arbeitet bereits seit einiger Zeit an der ursprünglichen Herkunft und Entwicklung der Kveik Hefen. Sie stehen damit kurz vor der Veröffentlichung. Daneben bleiben aber noch weiter Fragen offen. Lars fasst die wichtigsten folgendermaßen zusammen: „Woher stammen andere Farmhouse Hefen? Sind sie verwandt mit den Kveiks? Sind sie verwandt zueinander?“ Außerdem fügt er hinzu: „Wichtiger Forschungsschwerpunkt wäre auch: Wie nutzt man Kveik? Wie viel Hefe sollte man verwenden? Zu welchen Stilen passt Kveik? Wie lang sollten die Biere lagern? All das ist wissenschaftlich noch nicht ausreichend untersucht.“

Titelbild: Lars Marius Garshol