RED HOT: Kein! Helles!

Nina Anika Klotz

Als Ulf Dörge das Red Hot in München erföffnet hat, gab es dort quasi kein Bier und erst recht kein Craft Beer. Das hat sein Barchef-slash-Biersommelier Tibor Kantor gehörig geändert

Es war einmal ein Saupreiß, der wollte die Saubayern ein bisschen ärgern. Deshalb machte er mitten im tiefsten Schwabing ein Restaurant auf, in dem es kein Helles gab. Kein! Helles! Für den gemeinen Münchner heißt das: Es gab in Ulf Dörges Red Hot quasi kein Bier. Denn Pils und – Achtung – Kölsch? Das gilt ja wohl nicht. „Ich habe das absolut bewusst gemacht, mir war klar, auf wie viel Unverständnis ich damit stoßen würde – und das was genau richtig so“, sagt der Koch heute. Denn mit dem Unverständnis kam auch ein Aufmerken. Die Gäste fingen überhaupt erst einmal an über Bier nachzudenken statt einfach nur das Essen – amerikanisches Barbecue-Diner-echter-Männer-Food, Spare- und Shortribs, Burger, so was – damit runter zu spülen.
Dass das Red Hot heute, zweieinhalb Jahre nach seiner Eröffnung, die längste Bierkarte Münchens oder vielleicht sogar ganz Bayerns hat, verdankt Ulf Dörge seinem Barchef Tibor Kantor. Selbst komme er mehr aus der Weinecke, sagt er, aber der Tibor, der spinnt total auf Bier.

Als Bayer fragte sich Kantor einfach, warum es eigentlich in Belgien und England Bier gibt.
Und ob das vielleicht auch gut ist.

Kantor wirkt im ersten Moment ein bisschen knurrig. Ist er aber gar nicht. Er ist einfach nur ein müder Nachtmensch, der in seiner weißen Bartenderjacke an einem verregneten Nachmittag in einem leeren, kühlen Gastraum steht und ein Interview geben soll. Puh. Erst mal ein Bier für den Gast? Ein Cocktail? Bitte, das macht er gern. Barkeeper-Ehre. Als er einen Highball serviert hat, setzt er sich an den Tisch, gießt sich selbst ein Wasser ein und erzählt wie das kam, mit ihm und dem Bier.

SOUNDBITE: Tibor Kantor und das Bier

„Irgendwann habe ich mir überlegt: Warum gibt es eigentlich in England dieses Bier und in Belgien jenes? Wenn wir in München doch das beste Bier der Welt haben und alles andere Schmarrn ist, warum trinken die seit Jahrhunderten was anderes?“ Möglicherweise schmeckt das doch auch. Also legte Kantor seine bayerischen Vorbehalte ab und probierte. Vieles. Und war zunehmend begeistert. Man muss sich nur darauf einlassen, sagt er, dass so ein Ale wärmer getrunken wird.

Das Red Hot liegt etwas versteckt in der Amalienpassage in München-Schwabing. Trotzdem ist es oft genug krachend voll. (Fotos: NAK)

Das Red Hot liegt etwas versteckt in der Amalienpassage in München-Schwabing. Trotzdem ist es oft genug krachend voll. (Fotos: NAK)

Und wenn man speziell über Craft Beer spricht, dann gibt es noch etwas, das Tibor Kantor ganz besonders reizt: dass das ein „grass roots movement“ ist, dass hier gilt „major ist das böse evil“. So etwas gefällt ihm, immer schon. Der Tibor hat nämlich eine „diy Punk/Hardcore-Vergangenheit“, sagt er. „Wenn man als Barmann Spirituosen einkauft, ist man leider schon sehr von den großen Konzernen abhängig. Aber eine Bierkarte mit 800 Positionen kann ich schreiben ohne einen einzigen Großkonzern dabei zu haben.“

Craft Beer Beratung im Red Hot kommt vom geprüften Biersommelier

Ganz so lang ist die im Red Hot noch nicht, aber sie wächst beständig. Von einer auf zwei auf mittlerweile drei Seiten. Biere aus Bayern, Restdeutschland, Amerika, UK, Italien, Dänemark – alles dabei. Beschrieben sind die alle nicht, nur Stil, Brauerei, Größe, Alkohol und Preis. Für alles weitere soll der Gast sich vertrauensvoll an den Barmann wenden. Schließlich ist Kantor auch seit einem Jahr Biersommelier. Und als solcher hilft er gern und kompetent bei der Entscheidungsfindung:

SOUNDBITE: Bierberatung vom Barmann

Erst mal muss der Sommelier wissen, was der Gast vorhat: Isst er auch was? Bleibt er länger oder nur auf ein Bier? Und: Was kennt er, was trinkt er sonst? „Wenn einer ein Helles will, komme ich nicht mit einem Single Hopped IPA. Das überfordert ihn völlig, von der Terminologie genauso wie vom Getränk. Was soll denn der Chi-Chi? Also frage ich, ob er vielleicht mal ein Kellerbier will, was ja im Grunde ein unfiltriertes Helles ist. Das ist dann schon mal ein Unterschied, geschmacklich aber vertraut.

Echte Biergespräche im Red Hot, kein Stammtischgebrummel

Beide, Ulf Dörge und Tibor Kantor, stellen fest, dass ihre Gäste sich Laufe des vergangenen Jahr verändert haben. „Wenn die hier reinkommen, haben die ihre Hausaufgaben gemacht“, sagt Dörge. Die wissen über Bier bescheid, über Craft Bier, haben was auf Wikipedia gelesen und wollen sich kreuz und quer durch die Karte zu trinken. Da klingen die Gespräche mit dem Barmann dann auch anders. Da geht es schon mal um Pale Ale versus Imperial Pale Ale. Und Kantor stellt andere Fragen: „Eher malzig oder eher hopfig? Oder auch: Eher blumig oder erdig? Die meisten verstehen eigentlich, was man meint. Klar gibt es immer ein paar, die dann lachen, aber wer interessiert ist, wird versuchen, sich darunter etwas vorzustellen.“

Als guter Barmann hat Tibor Kantor dabei natürlich auch das Wetter im Hinterkopf und beobachtet, wie der Gast drauf ist. Wer Herzschmerz wegsaufen will, kriegt nicht das, was Kantor der fröhlichen Mädelsrunde auf den Tisch stellt. Und die Vorgeschichte zählt: „Es ist immer Aufgabe eines guten Barmann, sich zumerken, was der Gast bei seinem letzten Besuch getrunken hat.“

Barchef und Biersommelier Tibor Kantor. Und im Vordergrund: Bier. (Foto: NAK)

Barchef und Biersommelier Tibor Kantor. Und im Vordergrund: Bier. (Foto: NAK)