Schneeeule Ulrike Genz

SCHNEEEULE: Marlene wäre stolz!

Thomas ReddersIm Portrait

Pff, Berlin. Mit ihrem kulturellen Erbe hat es die Stadt ja manchmal nicht so. Beinahe hätte sie ihr eigenes Bier aussterben lassen. Original Berliner Weisse. War fast weg. Ist erst von den Craft Beer Leuten zurückgeholt worden. Und jetzt gibt es sogar eine Brauerin, die eigentlich nichts anderes macht.  Ulrike Genz betreibt seit 2016 alleine ihre Brauerei, die Schneeeule („Ein bisschen hilft mein Mann beim Papierkram!“). Seit dem steht der Name „Schneeeule“ für Berliner Weisse wie kaum ein anderer: die echte Berliner Weisse. Ohne Strohhalm. Ohne Sirup. Aber mit Brett. Ulrike Genz hat es damit sogar in die Sternegastronomie geschafft.

Die Einfahrt zur Schneeeule in Reinickendorf sieht erstmal aus wie die einer der ganz großen Brauereien – mit Pförtner, Passierschein und LKW-Verkehr. Erst dann taucht irgendwo dazwischen ein kleiner, roter Transporter auf. Ulrike Genz‘ Schätzchen. Hinterm Steuer: Die Frau mit dem unverkennbaren Strohhut. „Arbeits- und Hygieneschutz“, erklärt sie schmunzelnd. Eh klar.

Dann erklärt sie: Das riesige, ehemalige Borsiggelände beherbergt neben der Schneeeule mehrere Unternehmen. Ulrike Genz fasst es kurz und knapp: „Schwerindustrie und leichte Biere!“ Ihre Räumlichkeiten verstecken sich im hinteren Teil des Geländes, erkennbar nur durch das kleine, grüne Schild an der Tür. Drei Räume, geschätzte 150 m2 , voll mit wildem Bier in allen Gärstadien.

Aber wer ist diese Frau, die binnen kürzester Zeit zu einer echten Marke in Sachen Berliner Weisse wurde und die eine Brauerei als One-Woman-Show betreibt?

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Berliner Weisse will auch stilgerecht getrunken werden – aus einem Kelch. (Foto: NAK)

Zu allererst ist Ulrike Genz Berlinerin. Nein, stimmt nicht: Weddingerin. Man nimmt’s genau. Angefangen hat die Diplom-Brauingenieurin ihre Bier-Karriere an der TU Berlin. Biotechnologie. Schnell aber hat sie festgestellt, dass die Brauer ihr irgendwie sympathischer sind, „die waren nicht so hochnäsig“, und hat den Studiengang gewechselt.

Die erste Bekanntschaft mit der Berliner Weissen hat Ulrike Genz schließlich bei einem VLB-Fest (Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei in Berlin e.V.) gemacht. VLB-Braumeister Kurt Marshall hat für das Fest zum freien Ausschank eine Berliner Weisse gebraut und Genz damit gepackt: „Davon konnte man einige trinken, ohne dass es einen umhaut. Und man kann sich sogar alleine mit dem Bier beschäftigen, so spannend ist es.“ Das Problem: Es war schier unmöglich im Handel eine Original Berliner Weisse zu bekommen – das Bier schien fast ausgestorben. Also entschloss Ulrike Genz sich dazu, selber eine zu brauen.

Die allererste Schneeeule Berliner Weisse

Die erste Schneeeule Berliner Weisse entstand zum 3. Berliner Weisse Gipfel im März 2016. In Zusammenarbeit mit Andreas Bogk braute Ulrike Genz auf dem Gelände der Willner Brauerei die Gipfel Weisse. Bestätigung und Anerkennung gab es dafür von allen Seiten. Vor allem Billy Wagner, seines Zeichens Sommelier und Wirt des mit einem Michelin Stern ausgezeichneten „Nobelhart und Schmutzig“, war begeistert: „Wir kaufen alle!“ Das war der offizielle Startschuss des Projekts „Schneeeule“.

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Ulrike Genz präsentiert ihr BIer auf der Berliner Handgemacht. (Foto: NAK)

Brauen ohne Sudhaus

Die Brauerei ist im klassischen Sinne eigentlich gar keine. Es ist vielmehr ein kleines Hexenlabor, denn die Würze lässt Ulrike Genz nach eigenem Rezept woanders herstellen. Zuerst von BrewBaker und Hops & Barley, bekommt sie den Sud heute von der Berliner Bierfabrik, um ihn anschließend weiter zu verarbeiten. Die entscheidenden Schritte bei der Berliner Weissen kurz zusammengefasst: „Lacto rein, Brett rein!“ Die Berliner Weisse ist das Aushängeschild der Schneeeule, inzwischen auch über die Stadtgrenze hinaus. Schneeeule gibt’s bereits in Norwegen, Dänemark, Tschechien, Belgien und den Niederlanden.

Der Name „Schneeeule“ hat sich eher zufällig ergeben. Zum einen sehen die weißen Flügel und die gelben Augen mit etwas mehr Vorstellungsvermögen wie eine Berliner Weisse aus. Weil Weisse-Schaum und Schnee und Bier und gelbe Augen. Sie verstehen. Zum anderen, so erklärt Ulrike Genz, gibt es ein Sprichwort in der Altmark: „Wat diin iin siin Uhl is diin andern siin Nachtigall“ („Des einen Eule ist des anderen Nachtigall“). Das Sprichwort trifft wunderbar auf die Berliner Weisse zu – sie ist speziell, nicht jedermanns Sache. Und die drei „e“ im Namen sorgen dafür, dass man vorm Bierregal beim Lesen der Etiketten stehen bleibt und einen zweiten Blick auf die Flasche wirft.

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Die Berliner Weisse gilt als eines der komplexesten Biere überhaupt. (Foto NAK)

Jetzt stellt man sich vielleicht die Frage, wie Ulrike Genz all die Produktionsschritte auf der begrenzten Fläche hinbekommt, wo die notwendigen Maschinen Platz finden: Gärung, Abfüllung, Etikettierung, Verpackung. Die Antwort ist ziemlich simpel. Ulrike Genz macht tatsächlich alles in Handarbeit. Mehr Craft geht gar nicht. Die Abfüllanlage wird von Hand betrieben. Jeweils vier Flaschen passen unter die Anlage, dann bücken, abnehmen, die nächsten anschließen. Eine teure Etikettiermaschine sucht man vergebens. Das MHD wird per Hand auf jedes Etikett gestempelt. Anschließend kommt es, mit Milch als Klebstoff, auf die Flasche – dabei muss das Etikett nicht akribisch genau ausgerichtet werden. Handverpackt in Pappkartons à 12 Flaschen werden die Schneeeulen dann, zumindest in Berlin, von Genz persönlich in ihrem roten Wagen ausgeliefert.

In Anlehnung an Marlene Dietrich

Die Schneeeule hat sich eindeutig der Berliner Weissen verschrieben. Dementsprechend gibt es das ganze Jahr die Berliner Weisse Variationen. Die Original Berliner Weisse und das Aushängeschild der Schneeeule: Marlene, benannt nach dem Berliner Original. Außerdem: Yasmin, gebraut mit Jasminblüten. Kennedy, gebraut mit amerikanischem Hopfen. Und Inge, gebraut mit Ingwer und Granatapfelschalen. Immer mal wieder kommt eine neue Sorte dazu, eine alte verschwindet.

Schneeeule Berliner Weisse

Vier Mal Schneeeule Berliner Weisse: Inge, Kennedy, Marlene und Yasmin. Akurat geklebte Etiketten – wozu? (Foto: TR)

Daneben werkelt Ulrike Genz immer an besonderen Kreationen, die in limittierter Form auf den Markt kommen. Diese reichen von Berta Grey, BRLOs Madame Grey mit Brett versetzt als Berlin Beer Week Bier 2018, über ein barrel aged bretted sour IPA mit Wiestner bis hin zur Berliner Geuze mit h.ertie – um nur einige zu nennen. Die Produktion der Schneeeule ist seit der Brauereigründung 2016 rasant gestiegen. Nachdem es im letzten Jahr noch rund 80 Hektoliter waren, werden es in diesem Braujahr bereits 150.

Zuletzt war Ulrike Genz in Norwegen, um mit der Mikrobrauerei Eik & Tid (Eiche & Zeit) ein Farmhouse Ale mit Kveik Hefe zu brauen. Die Kveik Hefe scheint es ihr aktuell angetan zu haben. Und Norwegen. Sie schwärmt vom Bergen Bier Fest (Bergen Ølfestival) und vom norwegischen Wacholder.

Schneeeulen-Definition der Berliner Weissen

Nun muss man sich gezwungenermaßen die Frage stellen, was eine Berliner Weisse überhaupt ist. Denn so eine richtige, vor allem vollständige Definition gibt es eigentlich nicht. Schönfeld, Ende des 19. Jahrhunderts Ordinarius an der VLB hat die Berliner Weisse als: „ein obergäriges Bier von ganz besonderen Eigenschaften [definiert]. Charakteristisch ist der saure und doch weiche Geschmack, der hohe Kohlensäuregehalt und der Bukettreichtum.“

Ulrike Genz ist damit grundsätzlich einverstanden, fügt aber hinzu: „ Da fehlt die Brett!“ und bevorzugt die Definition: „Milchsauer vergorenes Weizenschankbier mit Nachgärhefe in Flaschengärung.“ Die Brett in der traditionellen Berliner Weissen ist wissenschaftlich belegt. Prof. Methner von der TU Berlin hat nachgewiesen, dass alte Berliner Weisse immer auch Brett enthalten haben. Und der „Champagner des Nordens“ bekommt sein Aroma vor allem durch die Brett. Weitere Charakteristika sind Auslegungssache. „Stammwürze über 12 °Plato finde ich zu viel. Aber es gibt viele Herangehensweisen“, sagt Genz. Nur die Touristen-typische Weisse mit Sirup, ohne Brett hat ihren Namen nicht verdient. Da fehlt es an Aufklärung findet Genz und würde öfter gerne mal sagen: „Waste da trinkst ist Quatsch!“

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„Was du da trinkst, is‘ Quatsch!“ – Ulrike Genz, Schneeeule. (Foto: NAK)

Stillstand ist Rückschritt

Jetzt wirkt die Berlinerin alles andere als unzufrieden, wenn sie über die Schneeeule und ihr Leben als Brauerin spricht. Trotzdem kommt als Antwort auf die Frage, ob sie soweit glücklich sei mit der Schneeeule, eine Genz-typische und mit einem lauten Lachen versehene Antwort: „Scheiße klein alles hier!“ Denn das scheint tatsächlich gerade ihr größtes Problem mit der Schneeeule zu sein. Sie braucht mehr Platz. Zum einen, um irgendwann von der Brauerei zu leben und zum anderen, weil sie im letzten Jahr, wie sie selbst stolz sagt, „eine Menge fame geerntet hat“. Die Leute mögen ihr Bier.

Daher sind die Ziele ziemlich klar definiert: „Zuerst mal eine größere Abfüllanlage und irgendwann bei entsprechender Nachfrage eine eigene Brauanlage!“ Aber alles erst, wenn es nicht mehr so scheiße klein hier ist!