Als Werker Dinkelaker vor einigen Jahren ein Chocolate-Porter probiert hat, hat es ihn geschüttelt. „Kannst ja net saufen!“ hat er gedacht. Aber dann…? Dann zog der weltoffene Schwabe hinaus, das Universum jenseits von Hellem um Pils zu erforschen und begann kühne Biere in Böblingen zu brauen. Seine Braumanufaktur Schönbuch ist damit Vorreiter im Schwabenländle. Und das mit 200 Jahren Geschichte.
Drei Schönbuch-Brauhäuser gibt es im Raum Stuttgart, das Herzstück steht in Böblingen, wo Werner Dinkelaker die Fäden hält. Sein Sohn Lukas steht auch schon in den Startlöchern. Schließlich gilt es einen großen Batzen Familiengtradition zu bewahren: Angefangen hat wohl alles um circa 1804 mit Karl Gottfried Dinkelaker, der sich im Alter von 17 Jahren in Nürnberg zum Brauer und Bäcker ausbilden, weil er sonst mit Napoleon in den Russlandfeldzug hätte ziehen sollen. Nach vielen Jahren Leitung einer Rotbierbrauerei zog es ihn wieder in die Heimat zurück. So kaufte Karl ein Haus am Marktplatz in Böblingen, richtete dort eine kleine Brauerei ein und braute nun Bier nach Nürnberger Brauart. Das kam so gut bei den Böblingern an, dass bald Vergrößerung und ein Umzug an den Postplatz nötig waren. Seit 1829 wird also am gleichen Standort Bier gebraut. Dabei hat jede Generation bei Weihenstephan gelernt. Tradition also auf jeder Ebene.
Werner, wieso machst du eigentlich Bier?
Das ist in der DNA, ich hatte gar keine andere Chance. Da kannst nix machen. Ich bin Biersuchender und Bierinteressierter aus voller Leidenschaft. Und: Ich würde echt nicht tauschen wollen. Bier ist die schönste Berufung die es gibt auf der Welt. Ich würde das also genau wieder so machen. Bier entwickeln, brauen und verkaufen zu dürfen, sich daran zu freuen, wie es den Kunden schmeckt, und das Lächeln zu sehen, wenn die Leute dein Bier trinken – das ist für mich einfach das Beste.
Und seit wann machst du das?
Seit 1.1.1997 leite ich die Brauerei, zusammen mit meinem Cousin Götz Habisreitinger. Dabei war mein Werdegang ganz klassisch: So mit sechs Jahren habe ich zum ersten Mal die Werbeprospekte in die Bierkisten gelegt. Nachdem ich 1991 bei Weihenstephan fertig war, bin ich erstmal zu Polar Venezuela und habe dort ein halbes Jahr ein Projekt gleitet. Danach habe ich meinen Wirtschaftsingenieur gemacht und bei der Brauerei Eichbaum gelernt, wie man Außendienst, Vertrieb, Getränkehandel, Gastronomie macht. Oder auch nicht macht. Ich wollte jedoch nochmal losziehen und so war ich ein Jahr lang mit meiner Frau und meiner ältesten Tochter auf Nordzypern, um eine Brauerei aufzubauen. Als ich 30 war, wollte mein Vater allerdings eine Entscheidung – entweder zurückkommen und die Brauerei übernehmen oder was ganz anderes machen. Für mich war jedoch immer klar, dass ich die Brauerei übernehmen will. Was bei der damaligen Situation mit Becks, Rothaus, Warsteiner etc. gar nicht so easy war.
Also nicht ein Stück weit aus der Familienverpflichtung heraus?
Im Gegenteil! Mein Vater hat immer versucht, mir das auszureden – mach was Richtiges hat er immer gesagt, bau dir dein eigenes Leben auf. Das habe ich auch zu meinem eigenen Sohn gesagt – aber das geht zur einen Seite rein und zur anderen wieder raus.
Würdest du die Schönbuch-Brauerei eher als lokal bezeichnen?
Ja total, so im Umkreis von 50km verkaufen wir unser Bier. Mein Vater hat immer gesagt: „Wenn du auf dem Brauereischornstein hockst, dann musst du deine Kunden noch sehen können.“ Und daran halt ich mich auch!“
Trotzdem habt ja ein ordentliches Angebot – wie kommt ihr zu eurem breiten und außergewöhnlichen Sortiment?
Wir machen halt einfach alles worauf wir Lust haben. Im Moment bieten wir unser festes Sortiment plus verschiedene Saisonbiere an. Unser Dunkles gibt es von Januar bis leer ist. Dann, weil wir mit als erste schwäbische Brauerei Weißbier gemacht haben, einen Weizenbock zur Fastenzeit – klassisch. Dann kommt Mai bis September das Bier von meinem Sohn: Lucky Experience. Anschließend machen wir einen hellen Doppelbock mit 9,3/9,5% und dann unser scheinbar profanes Weihnachtsbier. Das hat sich übrigens hammerhart entwickelt, weil wir die Rezeptur geändert haben. Mittlerweile haben wir damit ein Wachstum von 15% erreicht.
Seid ihr brautechnisch eigentlich voll ausgelastet, oder ist noch Luft nach oben?
Ja wir sind voll ausgelastet. Ein neuer Tank kommt auch bald. Schwester Doris aus dem Kloster Mallersdorf hat mal zu mir gesagt: „Werner, merk dir eins: Viel Hekto – viel Arbeit.“ Wir versuchen einfach Schritt für Schritt voran zu kommen. Wichtig ist halt am Ende, dass die trinkenden Leute ganz arg glücklich sind.
Wieviel Ausstoß produziert ihr denn pro Jahr?
Zwischen 40- und 50.000 Hektoliter, das können wir auch gut machen. Das ist alles kein Problem, weil wir auf dem neuesten Stand der Technik sind – bis auf unsere Flaschenabfüllung, da rattert‘s ordentlich.
Tendenz steigend?
Ja, der Umsatz steigt, und zwar, seit wir keine Marketingagentur mehr haben, die uns sagt, wie wir uns zu präsentieren haben!
Hast du quasi darauf gewartet, dass der Markt für besondere Biere entsteht?
Wir selber machen ja seit 2011/12 Craft Beer per Definition. Pale Ale, Amber Ale und, ich sage mal, wir machen das sehr erfolgreich und mit einer unheimlichen Distribution in der umliegenden Gastronomie, weil wir die allerersten waren. Da konnte Pale Ale noch keiner aussprechen und die Leute hielten mich für verwirrt, sowas im Ländle anzubieten. Mittlerweile sind wir bei 1-1,5% Anteil an unserem gesamten Bierabsatz. Auch im knöchernen Biermarkt Schwaben. Der Markt sieht hier natürlich anders aus als in Berlin.
Wie bist du darauf gekommen Craft Beer in zu machen?
Ich komm ja viel rum. Ende der 90er, Anfang 2000 habe ich bei Wolfgang Stempfl in München eine Verkostung gemacht. Chocolate Stout und IPA hat er da mitgebracht und dann bin ich nach dem Vortrag zu ihm hin und habe gesagt: Du Wolfgang, ich schätz dich echt sehr, aber das kannst du nicht saufen das Zeug, was ist das denn eigentlich? So bin ich das erste Mal mit nicht-schwäbischen Biersorten in Berührung gekommen. Gewurmt hat’s mich aber trotzdem und so habe ich auch meinen Biersommelier bei ihm gemacht.
Daraufhin bin ich nach New York geflogen, um mir die Brooklyn Brewery anzuschauen. Gerrit Oliver hat mich samt Frau und Sohn vier Stunden durch die Brauerei geführt und wir haben uns echt alles angeschaut und das ganze Thema Brauen und Brautradition abgehandelt – ich finde ja seine Bücher auch so toll. Da sagte er: Guck mal das sind Citra und Cascade Hopfen und ich wollte wissen, wie man damit braut.
Dann bin ich heim und sagte zu meinem Braumeister Gustl: „Komm‘ das machen wir mal.“ Nur so für uns und vielleicht ein bisschen für unsere Gäste, um mal zu probieren. Das ist Grundsatz bei uns, da wird nicht lang nachgedacht sondern eine Entscheidung getroffen.
Hat sich das Trinkpublikum dadurch verändert?
Vor 20 Jahren hatten wir eher ältere Kundschaft, unsere Pils-Stammtrinker waren eigentlich durchgehen Ü-40. Das hat sich gedreht, wir scheinen ein sehr gutes Image bei den Jüngeren zu haben. Weil wir eben auch verirrte Bierstile anbieten. Unser Image verändert sich also, gewollt oder ungewollt. Früher waren wir beispielsweise praktisch nicht präsent in Stuttgart, sondern nur in Sindelfingen und Böblingen bekannt. Durch unsere neuen Biere sind wir heute stark in Stuttgarter Bars vertreten. Dabei sind wir keine Craft Brauerei im engeren Sinne und wollen es auch gar nicht sein. Aber das Bild in den Köpfen der Menschen ist am Ende entscheidend. Spezialität vs. Massenprodukt. Unser Bier kostet auch seinen Preis, weil wir uns eben so unglaublich reinhängen damit unser Bier was Besonderes wird. Und langsam kommt das dann bei den Leuten an. Bier ist halt kein schnelles Geschäft.
Wie schaut der Traditionalist auf die Start-Ups?
Es sind doch die ein oder anderen Menschen mutig und haben ihren Traum verwirklicht, indem sie angefangen haben zu brauen. Egal ob Gypsy oder in der Garage. Das bringt Spannung und Vielfalt mit sich und deshalb finde ich das grundsätzlich ganz toll und freue mich – ich seh‘ das bissle globaler. Bier ist das verbindende Element auf der Welt. Wenn es positiv zum Zusammenhalt der Brauer beiträgt dann feiere ich das. Deswegen unterstütze ich alle kleinen Brauer in der Region mit Zutaten, Tipps Hilfe etc. Da ist die Brauereitüre immer sperrangelweit offen. Da darf man nicht kleinkariert sein. Wir wollen Bier spannend halten und nur wenn’s dem Kunden am Ende schmeckt dann sind wir erfolgreich.
Kann man bei euch Gypsy-brauen?
Gypsy-brewing darf nur der Olli von der Kraftbierwerkstatt machen, denn eigentlich haben wir keine Kapazität dafür. Das ist ein guter Freund von mir, der sich seinen Traum, Bier zu brauen erfüllt hat. Ich habe versucht, ihm alles über Bier beizubringen und lass ihn bei uns brauen, dafür hat er mir meinen Blog eingerichtet. Und uns macht das ja auch Spaß, da dürfen alle mitmachen.
Und Craft Beer Rückschläge?
Ja unser Kraftpaule-Bar-Projekt hat ja leider nicht geklappt – ich habe mich so geärgert. Vielleicht waren der Thorsten Schwämmle und ich da zu früh dran, oder Böblingen ist einfach wirklich zu klein. Wir mussten am Ende einfach einen Cut machen. Es gibt aber trotzdem auf niedrigem Niveau immer mehr Bierinteressierte hier und die Craft-Welle kommt hier ja gerade erst an. Da wird sich auf jeden Fall noch was ändern.
Was ist also deine Vision, die du durch Bier umsetzen willst?
„Wenn jemand eine Vision hat, dann soll er zum Arzt gehen“, das hat Kohl schon gesagt. Ich lebe im Heute und Jetzt. Was mir aber neulich unter die Nase gekommen ist, ein tolles alkoholfreies Bier. Da haben wir jetzt eine Umkehrosmose-Membranfiltration angeschafft. Für unsere Größe ist das außergewöhnlich, aber da mache ich keine halben Sachen, weil alkoholfreies Bier gutes Potenzial bietet und auch gefragt ist. Daran tüfteln wir also gerade herum, damit das Bier auch nachher wirklich toll schmeckt!
Was sind deine Ziele für die nächsten Jahre?
Ich mache auf alle Fälle ‘ne Weltbierreise. Ich möchte neue Kollegen kennenlernen und ein bissle rumkommen. Und in der Brauerei: Da müssen wir einfach weiter dranbleiben und gute Biere machen, dann dürfte uns da so viel nicht passieren. Wenn du es schaffst, Spaß an deine Kunden weiterzugeben, dann braucht man sich als kleiner Brauer eigentlich keine Sorgen machen, denke ich.
Über so etwas wie eine Bierweltreise berichtest du dann auf deinem Bierblog, richtig?
Klar, was gibt es Geileres? Ich verreise brutal gern. Dann gucke ich wo ein schönes Festival ist und fliege für 2-3 Tage hin und schaue mir 2-3 Brauereien an, wenn ich dort bin. Dann trifft man sich, trinkt Bier und redet über Bier und die aktuelle Entwicklung. Und wo Gleichgesinnte sind, fühlt man sich ja meist immer gleich wie zu Hause. Bier verbindet, immer.