Strassenbräu

STRASSENBRÄU: Kiez first

Nina Anika Klotz

Es gibt verschiedene Philosophien, wie man eine neue Brauerei startet. Timo Thoennißen hat sich für das Prinzip Hyperlokalmarkt entschieden und Strassenbräu als Brewpub in Berlin-Friedrichshain etabliert. Aber dabei wird es wohl nicht bleiben.

2015, kurz vor Weihnachten. Plötzlich, ohne jedes Getuschel und Getöse und Vorab-bald-geht-es-los-Getröte macht dieser gut designeten Brewpub da im bei-uns-nur-Barmöbel-vom-Flohmarkt-Friedrichshain auf – und zwar gleich mit zehn (!) eigenen, ziemlich hervorragenden Bieren am Hahn. Kurios-kreatives, nicht overdone, so wie das Topa, ein Baltic Porter mit Datteln, aber auch makellos Solides, das Stralauer Blond, ein Blond Ale, das jeden Helles-Trinker da abholt, wo er ist – nur halt in besser. Für alle, die nichts über die Hintergründe dieser Bar-Brauerei wussten, war zumindest klar: Hier steht ein Profi an der Brauanlage. Und jemand mit einem gewissen Gespür für Bier als Business ist auf jeden Fall auch dabei.

Strassenbräu

Hahn eins bis fünf sind mit den immer verfügbaren Standards  der  Brauerei besetzt, der Rest wechsel. Wild und oft. (Foto: NAK)

In den eineinhalb Jahren die seitdem vergangen sind, ist Straßenbräu zu einem fix und festen Teil der Berliner Craft-Landschaft geworden und eine der sechs, acht, vielleicht zehn Brauereien, die man so aufzählt, wenn man von Besuchern oder auf den Trichter kommenden Hauptstädtern gefragt wird, was denn Berliner Bier wäre, das man probieren sollte. Dazu muss man dann allerdings auch immer gleich sagen: Kannste aber halt nicht kaufen. So im Laden. Da musst du schon hin. Ins Herz von Friedrichshain. Denn bisher werden Straßenbräubiere nur dort gebraut und (so gut wie) nur dort ausgeschenkt.

Zwei Herzen sind es ja eigentlich, die da in Friedrichshain schlagen, und in der Bahnhofstraße hinter dem Ostkreuz wird das besonders deutlich: Der Bahnhof im Dauerumbau, die Straßen drumherum aufgerissen und provisorisch, Bretterbuden, die Wurst für fast nichts verkaufen, alles Griffitti, Sterni ein Euro. Ein paar Schritte weiter dann aber auch: Speciality Coffee und Coldbrew, Tasse 4 Euro. Mac-Menschen, Yoga und eben dieser Craft Beer Laden.

Strassenbräu: Tags Brauerei, abends Bar

Die Rollläden des Straßenbräu sind nur halb hochgezogen, die Fenster dahinter aber sind auf und deutlich hörbar wird hier heute Vormittag schon gearbeitet. Voller Brauereibetrieb, so wie fast jeden Tag zwischen 8 und 16 Uhr, bis das Bar-Team enrückt, Schläuche abgebaut werden, Rollwägen wegverstaut, der Boden geputzt und die Stühle vom Tisch gestellt werden. Dann beginnt der Brewpubbetrieb.

Strassenbräu

126 Quadratmeter komplett ausgenutzt: der Brewpub von Straßenbräu. (Foto: NAK)

Immer da, von morgens früh bis abends spät, jeden Tag, eigentlich, ist Timo Thoennißen. Schnell schiebt er sein „Büro“ beiseite, ein Stapel Papier und ein Laptop auf dem Tresen der Bar, dann kann er erzählen, wie das eigentlich kam, dass er hier und jetzt eine ganz ungewöhnliche, eigene Art des „Bräu“ ist, der moderne Craft-Bräu, wenn man so will. Sein Braumeister Sebastian Pfister und Brauer Sam O‘Neil machen derweil Lärm. So ist das eben, wenn Besprechungsraum gleich Sudhaus gleich Gärkammer ist. 126 m² plus ein 40 m² Keller für alles. Und das geht.

Nicht ganz so einfach: Brauerein bauen, wo keine waren

Ein halbes Jahr lang hat Thoennißen geplant, gebaut und renoviert. Der Aufwand, aus dem Lagerraum einer Heizungsfirma in einem Altbau aus dem 19.Jahrhundert einen smarten Brewpub mit dunklen Wänden und viel Holz zu machen? Überwältigend. Dafür weiß Timo Thoennißen jetzt, was „Reichsklinker“ ist (das nämlich, was zum Vorschein kam, als sie den Putz von den Wänden hauten und was dem Brewpub ein ganz besonders gutes Meatpacking-Schick gibt), wie viele Stellen bei der Berliner Verwaltung ein Neunutzungsplan passieren muss und warum es durchaus Vorteile hat, als Gastronom bestehende Lokale zu übernehmen, auch wenn man dort alles rausschmeißen und neumachen muss.

Strassenbräu

Auch Lagen und Gärkeller ist im Brewpub integriert. (Foto: NAK)

Timo Thoennißen ist der mit dem Plan, dem Businessplan: Studiert hat er International Business and Finance in Singapore, Neuseeland und Australien. Mit dem Master im Gepäck ging er dann in die Schweiz, um dort für die Allianz zu arbeiten, schließlich landete er für einen Job bei einem Finanzdienstleistungsunternehmen in Berlin – und mitten in einer Quarterlifecrisis. Sagt er nicht so. Könnte man aber diagnostizieren, wenn einer mit einem dermaßen straight nach oben zielenden Lebenslauf mit Mitte Zwanzig plötzlich sagt: „Irgendwie wurde mir immer klarer, dass das nichts ist, was ich für immer machen möchte. Dass ich eigentlich viel lieber etwas produzieren würde.“ Krasser noch: „Etwas mit den Händen schaffen“ wollte er. Das sagt er auch so. Schon ein großer Schritt für jemanden, dessen Hände bisher vor allem Zahlen jonglieren und zwei Handys gleichzeitig bediene können mussten.

Plan B. B wie Bier.

Schnaps war dabei Timos erster Gedanke. Schnaps ist nämlich etwas, das seine Mutter mit den Händen produziert. Jedes Jahr zum Ende des Sommers, wenn die Familie Thoennißen nicht mehr wusste, wohin mit all dem Obst auf ihrem Anwesen auf dem Land in der Nähe von Aachen. „So viel Marmelade kann man gar nicht kochen“, sagt Timo. Also wurde destilliert.

Nach einer kleinen nach-Feierabend-Marktanalyse schließt Timo Thoennißen das Gründen einer Schnapsmarke (konkreter: Jackfruit-Brand für besondere fernöstliche angehauchte Cocktailmischen) dann allerdings doch aus: zu schwieriger Mark, sagt er. Also Plan B. B wie Bier.

Da sieht er ziemlich genau zwei Wege, wie man es angehen kann: Der etwas weniger steile, aber eben auch viel, viel längere, auf den sich der Gypsie-Brauer macht, der mal hier einen Sud und mal da einen zu braut, den er dann selbst in den lokalen Vertrieb bringt durch von Bar zu Bar getingele und mit den Besitzern quatschen, das alles, während die Miete und die Heizkosten noch durch den ungekündigten „Dayjob“ gecovert sind. „Machen in Berlin ja viele so“, sagt Thoennißen.

Marketing oder Lokalmarktking?

Der härte Weg, der deutlich mehr Mut verlangt, ist der, alles auf eine Karte zu setzen und gleich Vollgas zu geben. Neustart als Craft Beer Brauer. Dabei, so Thoennißen, habe man dann die Wahl zwischen den Modellen „Volle Pulle Marketing“ und „Kiezking“. Ersteres bedeute, dann von Anfang an alles in Markenaufbau und Marketing setzt. Den Namen als neues Craft Beer Label bekannt macht – deutschlandweit. International vielleicht gar. Als Kiezking versucht man hingegen, sich zunächst in der näheren Region Namen und solide Fanbase aufzubauen. Dafür braucht es freilich einen vorzeigbaren Ort, eine Heimat, sprich: eine Brauerei und idealerweise auch einen eigenen Ausschank.

Sttrassenbräu

Von Anfang an dabei: Braumeister Seba Pfister. (Foto: NAK)

Für beides braucht man freilich Geld. Ziemlich viel Geld, denn sowohl das abstrakte Gut „Marke“ ist sehr, sehr teuer, als auch eine Brauanlage plus Gär- und Lagertanks und eine Brewpubausstattung. Und dann wusste der Unternehmer Thoennißen natürlich auch, dass er ehrgeizige Hobbybrauerei zuhause hin oder her, einen Profi an seiner Seite brauchte und heuerte Sebastian Pfister direkt von der VLB weg an, machte ihn zu seinem Braumeister, stellte ihm einen Brauer zur Seite. Kostet auch wieder massig Geld.  Die Berliner Banken braucht man darum nicht fragen, weiß Thoennißen heute. Erstens, Gastronomie im Allgemeinen… puh. Zweitens: Craft Was? Und drittens: Herr Thoennißen, sagen Sie noch mal bitte, Sie und wer sind Ihre Geschäftspartner? Keine? Nur Sie? Allein? Hm. „Als Solopreneuer bekommt man eigentlich keine Unterstützung“, sagt der alleinige Straßenbräu-Geschäftsführer rückblickend. „Letztlich war es dann der Privatkredit meines Vaters, der mir den Start ermöglicht hat und den ich die nächsten zwanzig Jahre abbezahlen werde.“ Eine mittlere sechsstellige Summe. Aber: Tilgung läuft schon, so wie Straßenbräu sich macht, ist alles im Plan.

Nach dem Kiez geht es weiter

In dem Plan, dem einen. Das Dinge hier im Kiez zum Laufen bringen. Darüber hinaus gibt es freilich auch noch andere Pläne. Kurz- und mittelfristige, in Arbeit stehende. Straßenbräubiere irgendwann in die Flasche und damit aus dem Kiez raus zu bringen, das ist ein ziemlich solider Plan, dafür gibt es auch schon Gespräche mit dem Craft Zentrum, wo Thoennißen dann brauen und abfüllen könnte. Das ganze Prinzip Straßenbräu in andere Städte zu verpflanzen ist dann eher ein noch vager Plan, aber einen, den es durchaus gibt. Warum sollte das so nicht auch in Hamburg funktionieren? Mit einem Brewpub in diesem Stil, mit Bieren aus dem gigantischen Rezeptfundus, der hier bereits entstanden ist, nach all den Learnings des Ersten-Mals. Denn sicherlich, Friedrichshain mag seinen spröden Charme haben, aber der Erfolg von Straßenbräu baut nicht auf diesem Pflaster allein und wird – ziemlich sicher – bald aus dem Kiez raus wirken.

Strassenbräu

Das Team aus Tima Thoennißen, Seba Pfister und Brauer Sam ONeil. (v.l.n.r.)

Auf einen Blick

Strassenbräu
Timo Thoennißen

(quasi) immer verfügbar:

  • Stralauer Blond – Blind Ale
  • Sonnenal(l)e(e) – Pale Ale

Hopfenhelden-Tipp: Beerengarten  – Waldbeeren Ale