Was gärt, Alter? – Eigentlich ist es nicht zu erklären, warum die Hefe in der Bierproduktion oft ein bisschen unterschätzt wird. Schließlich bringt sie den Spaß ins Glas und macht aus Brotsaft Bier mit mehr oder weniger vielen Promillchen. Zugleich ist Bierhefe aber auch ein störrischer Akteur.
Wie Hefen arbeiten hat Dr. Fritz Briem in unserem Artikel „Basiswissen HEFE“ einmal zusammengefasst. Supervereinfacht: Hefe frisst Zucker, raus kommt dabei Alkohol und CO2.
Dabei beeinflusst Bierhefe aber auch ganz entscheidend den Geschmack des Bieres. Und: Bierhefe ist nicht gleich Bierhefe. Es gibt unterschiedliche Stämme und Familien, die wiederum unter unterschiedlichsten Bedingungen mehr oder weniger gern Zucker fressen.
Wir haben uns mit Hilfe von Dr. Katja Schulze, Kilian Moser und Florian Steininger dem Mysterium Bierhefe genähert. Die drei haben mit ihrer Firma Oculyze ein vereinfachtes System zur Hefeanalyse entwickelt.
Beginnen wir mit der Geschichte der Bierhefe: Wann wurde Hefe überhaupt entdeckt?
Der Weg zur Reinzucht
Die heutigen Bierhefestämme sind vermutlich aus Weinhefen hervorgegangen und haben sich über Jahrtausende entwickelt. Es existieren Aufzeichnungen aus dem 12. Und dem 13. Jahrhundert – sogar einige Schriften der Alchemisten, die über 1500 Jahre alt sind – die die Begriffe „fermentatio“ oder „fermentum“ enthalten. Allerdings werden die Begriffe zu der Zeit noch nicht mit dem Gärprozess der Hefe in Verbindung gebracht. Vielmehr sind es Oberbegriffe für Fäulnis, Gärung und Verdauung.
Den ersten Schritt in Richtung wissenschaftlich fundierter Analyse von Mikroorganismen und deren Einfluss auf Gärprozesse hat 1680 Antoni van Leeuwenhoek gemacht. Mit einem selbst gefertigten Mikroskop hat er kleine, runde Objekte in gärender Flüssigkeit wahrgenommen. Allerdings war ihm zum damaligen Zeitpunkt die Bedeutung seiner Entdeckung noch nicht bewusst.
Charles Cagniard de la Tour hat 1836 zum ersten Mal bewiesen und beschrieben, dass sich Hefe als lebender Organismus vermehrt und dass sie für die alkoholische Gärung verantwortlich ist. Nahezu zeitgleich mit ihm kamen auch Friedrich Traugott Kützing und Theodor Schwann zu ähnlichen Ergebnissen und widerlegten die Annahme von Friedrich Wöhler und Justus Liebig, dass es sich bei der Gärung um einen „Zersetzungsprozess von der eigentümlichen Art, die wir mit chemischen Methamorphosen bezeichnet haben“, handele.
Mit ihren Entdeckungen lösten die Drei einen regelrechten Wissenschaftsstreit über die Hintergründe der Gärung aus. Wöhler und Liebig machten sich in einem Aufsatz, der in den Annalen der Pharmacie veröffentlicht wurde, über die Ergebnisse regelrecht lustig.
Pasteur als Streitschlichter
Louis Pasteur, der zunächst an der Kristallstruktur von Weinsäure forschte, hat im Zusammenhang seiner Beobachtungen an Gärstörungen erkannt, dass in „gesunden“ Gärfässern kleine, runde Kügelchen schwammen, während in „kranken“ Fässern ohne Alkohol nur Bakterien zu finden waren. Wenig später erklärte er, dass „die Hefe infolge ihrer Lebenstätigkeit den Zucker in Alkohol und verschiedene Säuren spaltet […].“ Damit konnte er den Wissenschaftsstreit zu Ungunsten von Wöhler und Liebig schlichten, obwohl er erst 1878 anerkannte, dass nicht er selber den Zusammenhang zwischen Gärung und Hefe erbrachte, sondern Cagniard de la Tour, Kützing und Schwann. Was Pasteur noch nicht einordnen konnte, obwohl er es beobachtete, war der Einfluss von Fremdhefen.
Emil Christian Hansen war es anschließend, der feststellte, dass die Anstellhefe nur aus einer einzigen Hefeart bestehen sollte. Er forschte zunächst an der Universität in Kopenhagen an Pilzen. Anschließend begann Hansen 1877 für die Carlsberg Brauerei zu arbeiten und widmete sich der Hefe. Dort fand er 1883 heraus, dass für die Kontamination von Bier wilde Hefen verantwortlich waren. Er war der Erste, der eine Hefezelle isolieren konnte: die „Carlsberg bund gær nr. 1″, eine untergärige Hefe, aus der die heute bekannte Saccharomyces carlsbergensis hervorging. Damit steht er für die Anfänge der Reinzucht. Rückblickend hat die Entdeckung die gesamte Brauindustrie grundlegend beeinflusst, da Hansen die isolierte Hefe auch an andere Brauereien weitergab.
Eduard Buchner erhielt 1897 den Nobelpreis der Chemie, weil er es schließlich war, der nachweisen konnte, dass der Extrakt der Hefe vergärt und somit eine zellfreie Gärung existiert.
Aufbau und Fortpflanzung der Bierhefe
Hefen – so auch die braubaren Hefen, die Bierhefen – sind einzellige Mikroorganismen, die in ihrer Zellgröße stark variieren können und folgendermaßen aufgebaut sind:
Hefezellen können sich sowohl vegetativ (asexuell) über (multilaterale) Sprossung, als auch sexuell durch Ausbildung von Ascosporen fortpflanzen. Die Regel bei gezüchteten Saccharomyces cerevisiae ist allerdings die vegetative Vermehrung. Auf die kontrollierte Vermehrung der Hefezellen haben viele Faktoren einen entscheidenden Einfluss. Dazu gehören, um nur einige zu nennen:
- das Fermentationsverfahren
- die Substratkonzentration
- die Konzentration der Stoffwechselprodukte Ethanol und Kohlendioxid
- die Vitalität
- die Anstellkonzentration der Satzhefe
- die Wasseraktivität
- der osmotische Druck
- der pH-Wert
- und das Redoxpotenzial.
Brauer und Brauerinnen kategorisieren anders
Anders als in der Wissenschaft ergibt es für Brauerinnen und Brauer wenig Sinn, Bierhefen taxonomisch einzuteilen. Vielmehr sind die Eigenschaften der Hefe entscheidend. „Es hat sich bewährt, Hefestämme nach braurelevanten Eigenschaften zu kategorisieren. Hierunter fallen z.B. Gärleistung, optimale Arbeitstemperatur, Flockungseigenschaften oder auch Nebenprodukte, die den Geschmack ausmachen. Für am sinnvollsten halten wir eine Trennung in Faktoren, die die technischen Aspekte des Brauprozesses beeinflussen und Faktoren, die einen Einfluss auf den Geschmack des Bieres haben“, sagen Schulze, Moser und Steininger. Aber was macht die perfekte Gärung aus?
Neben der optimalen Würzezusammensetzung ist vor allem „eine ausreichend hohe Konzentration und Viabilität der Hefe entscheidend für die Gärung – letzteres beschreibt den Anteil lebender Zellen“, betonen die drei HefespezialistInnen.
„Nur wenn immer mit derselben Zahl Hefezellen angestellt wird, kann ein geschmacklich reproduzierbares Bier gebraut werden. Empfohlen werden 15 bis 20 Millionen Zellen pro Milliliter bei einem Stammwürzegehalt von 12°Plato. Ist die Konzentration lebender Zellen zu gering, kommt es zu Gärverzögerungen und das Risiko von Kontaminationen steigt. Außerdem nimmt die Schaumstabilität ab.“ Die Zählung stellt sich dabei oft nicht so einfach dar. Die klassische Methode mit der Thomazählkammer ist sehr aufwendig und erfordert viel Übung.
Für die Viabilität gilt laut Schulze, Moser und Steininger: „Idealerweise sollte sie für Propagationshefe so hoch wie möglich sein, mindestens jedoch 90% betragen. So ist gewährleistet, dass es zu keinen negativen geschmacklichen Auswirkungen durch Autolyse (Zersetzung) der Hefe kommt.“
Was verbindet Butter, Fusel, Hefe und Biergeschmack?
Oftmals wird unterschätzt, dass die Bierhefe einen entscheidenden Einfluss auf den Geschmack des Bieres hat – Hopfen, klar, Malz auch, aber Hefe? Was machen diese kleinen Helfer, um den Geschmack zu beeinflussen? Und was haben Butter und Fusel damit zu tun?
„Hefe verstoffwechselt Zucker unter anderem in Würze.“ Will heißen: Während des Gärprozesses entstehen Stoffwechselnebenprodukte. „Die Gärtemperatur hat einen Einfluss auf die Stoffwechselprozesse. […] Diese können zu einem erhöhten Anteil an Diacatyl führen.“ Diacetyl und Zinkmangel sorgen für einen Buttergeschmack im Bier. „Ein weiteres Nebenprodukt, welches man bei geschmacksintensiven Bieren nicht sofort bemerkt, aber am nächsten Tag spürt, sind die Fuselalkohole“, erklären die drei Hefecracks. Dabei sind Fuselalkohole nicht per se schlecht und reine „Katerbringer“ – sie sind auch Geschmacksträger. „Am tragischsten ist natürlich der Beigeschmack durch Autolyse – also durch tote Hefezellen, die sich im Bier auflösen“, betonen Schulze, Moser und Steininger.
Die Regenerierung der Bierhefe: Stressfaktoren
Die Anstellhefe muss bei jedem Brauvorgang einige Anforderungen erfüllen. Dazu zählen unter anderem:
- Gute Vitalität
- Infektionsfreiheit
- Wenig Totzellen (ideal: <2%)
- Ein dem Bier entsprechender pH-Endwert
- Gutes Redoxvermögen
- Keine Schädigung der Schaumhaltbarkeit
Daher sollte die Anstellhefe regelmäßig ausgetauscht werden. Allerdings ist regelmäßig ein ziemlich dehnbarer Begriff. Es gibt Betriebe, die den Hefesatz nur ein- bis zweimal nutzen, andere deutlich öfter. Das sorgt für Degeneration und löst bei der Bierhefe Stressfaktoren aus. „Die Hefe wird von den gleichen Dingen gestresst wie wir: Schlechte Ernährung, zu wenig Ruhepausen zwischen den Gärprozessen, hohes Alter der Population oder zu viel Alkohol“, sagen die drei HefespezialistInnen schmunzelnd. Konsequenz ist unter anderem eine Verschlechterung der Gärintensität.
Der Weg zu neuen Bierhefen
Eine neue braubare Hefe zu finden ist schwierig. Es sind viele Schritte notwendig. „Zunächst muss über eine Vereinzelung auf Agarplatten (und einen genetischen Fingerprint) sichergestellt werden, dass eine Reinhefe getestet wird. Verschiedene Vortests stellen dann sicher, dass für den Brauvorgang wichtige Eigenschaften vorhanden sind. Hierunter fallen beispielsweise die Fähigkeit, Zucker aus der Würze nutzen zu können, Wachstum im Gegenwart von Hopfen, Ethanol-Toleranz und die Fähigkeit Alkohol zu produzieren. Zudem ist wichtig, dass Stämme propagiert (also vermehrt) werden können. Zeigen all diese Tests, dass die Hefe als Brauhefe geeignet ist, kann über eine Test-Fermentation und eine sensorische Prüfung bestimmt werden, ob es sich um eine Hefe handelt, die neue vorteilhafte Eigenschaften aufweist“, fassen Schulze, Moser und Steininger den komplizierten Prozess zusammen.
Mehr als Saccharomyces cerevisiae
Es gibt zwar eine Vielzahl an Hefearten, aber bis heute sind nur wenige ausführlich untersucht und beschrieben. Die Saccharomyces cerevisiae ist die zum Brauen am häufigsten verwendete Hefeart. Daneben gibt es bislang nur wenige braubare Hefen. „Eine Nicht-Saccharomyces-Art ist zum Beispiel Dekkera bruxellensis (Brettanomyces bruxellensis). Sie wird für belgische Spezialbiere und die Original Berliner Weisse verwendet. In einem afrikanischen Ur-Bier wurde die Gattung Schizosaccharomyces pombe nachgewiesen“, erläutern Schulze, Moser und Steininger. Außerdem gibt es noch einige andere, die sich je nach Bierstil besser, oder schlechter eignen (teilweise von der S. cerevisiae abgeleitet). Um nur ein paar zu nennen:
- Saccharomyces pastorianus
- Brettanomyces (lambicus, bruxellensis, claussenii…)
- Torulaspora delbrueckii
- Kveik
Variation beim Alkoholgehalt
Was haben alkoholfreies Bier und Starkbier gemein? Sie brauchen spezielle Hefen! Hefe sorgt für den Alkohol im Bier. Was ist aber, wenn das Bier gar keinen Alkohol enthalten soll? Oder wenn das Bier besonders viel Alkohol enthalten soll? Es gibt einige Verfahren, die den Alkoholgehalt im Bier regulieren. Eines davon hängt direkt mit der verwendeten Bierhefe zusammen.
Hefe in alkoholfreien Bieren
Die vielleicht bekannteste Hefe für alkoholfreie Biere ist die Saccharomycodes ludwigii. „Sie kann Maltose nicht vergären und somit die Hauptgruppe des in der Würze vorhandenen Zuckers nicht in Alkohol umwandeln. Ein Vorteil ist, dass mit dieser Hefe das Brauen eines alkoholfreien Bieres für kleine Brauereien mit geringerem Ausstoß möglich ist, da keine Membrantrenntechniken (Dialyse oder Umkehrosmose) oder thermische Methoden (Verdampfung oder Rektifikation) nötig sind“, erklären Schulze, Moser und Steininger. Weiterer Vorteil: Der Geschmack kann verbessert werden, weil der Gärprozess nicht – wie bei Verwendung von Hefen, die für Vollbiere geeignet sind – vorzeitig abgebrochen werden muss. Daneben gibt es noch weitere Stämme, die sich für alkoholfreie Biere eignen – beispielsweise die Doemens Stämme 400, 500 und 501.
Bei Starkbier hilft Weinhefe
Besonders stark alkoholische Biere benötigen ebenfalls spezielle Hefe. Auch dafür gibt es Lösungen: „Will man über 8% Alkohol hinaus, kann man sich der Hefen aus dem Weinbereich bedienen. Sie sind dem Stress von höheren Alkoholgehalten gewachsen. Zunächst wird ein Starkbier mit der bevorzugten Bierhefe eingebraut. Starkes Einbrauen reduziert dabei den Wassergehalt und erhöht den Alkoholanteil. Das Ausgangsstarkbier mit circa 8 Vol.% kann nun in einer zweiten Gärung unter Zugabe von Speise mit einer Weinhefe weiter veredelt werden. Diese wiederum setzt über ihre spezifischen Stoffwechselwege Aromakomponenten frei“, erläutern Schulze, Moser und Steininger.
Die Hefe ist also eigentlich ziemlich abgefahren und hat es verdient, mehr Beachtung zu bekommen – gerade im Hinblick auf den Geschmack des Bieres. Und: Es gibt noch so viele Hefearten, die nicht ausführlich untersucht und beschrieben sind, dass mit ziemlicher Sicherheit noch der ein oder andere zum Brauen hervorragend geeignete Stamm dabei sein dürfte.
Titelbild: Little Earth Project