Evin O’Riordain ist zweifellos eines der bekanntesten Gesichter der internationalen Bierszene. Was er in seiner The Kernel Brewery, im wahrsten Sinne des Wortes, unter der Brücke geschaffen hat, haben wir euch schonmal erzählt, als wir zu Besuch dort in London waren (lest gerne hier nochmal nach). Aber für Evin gibt es noch eine Menge mehr, als „nur“ gutes Bier zu brauen.
Er ist ein sehr zurückhaltender, zuvorkommender Mensch. 1999 aus dem irischen Waterford nach London gezogen, war Käse damals sein Bier. Angefangen hat er bei Neal’s Yard Dairy, einem bekannten Londoner Käseproduzenten, weitergemacht mit dem eigenen Stand auf dem Borough Market. In seinen Anfängen in der Käseindustrie hat er noch Kommunikationswissenschaften studiert, nebenbei seinen Ph.D. über Simon Beckett geschrieben. Das Bier hat er 2007 für sich entdeckt. Er sollte einem Kunden von Neal’s Yard Dairy dabei helfen, eine Käseladen in Manhattan zu eröffnen. Und so begann die Geschichte mit irgendeinem frischen, amerikanischen Pale Ale. Welches, weiß er heute auch nicht mehr.
Evin liegt selbstverständlich eine Menge an seinem Bier – noch mehr aber an seinem Umfeld, seinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Er könnte viel mehr produzieren und verkaufen, will er aber nicht. Es gibt keine Nachtschichten, alle fangen gleichzeitig an, faire Bezahlung ist ihm wichtig. Die Gemeinschaft zählt!
Und mit dieser Einstellung steht er im Londoner Stadtteil Bermondsey nicht alleine. Er hat sich mit Freunden eine kleine Kommune geschaffen. Jetzt ist er zu einem seiner seltenen Tap-Take-Over nach Berlin in die Biererei gekommen – eine Gelegenheit mit ihm über mehr, als nur die The Kernel zu sprechen.
Evin, hattest du die Zeit, dir schon ein paar Bier-Bars in Berlin anzuschauen? Oder hast du vielleicht sogar schon eine Lieblingsbar?
Ich war bis jetzt nur bei Heidenpeter’s. Aber dort habe ich eine Menge Menschen getroffen, mit denen ich mich unterhalten habe. Jen, zum Beispiel, aus dem Muted Horn, oder die Jungs von Mikkeller und Brewdog. Alle haben ein paar Geschichten über ihre Anfänge in Berlin erzählt. Die wirklich wichtigen Dinge über einen bestimmten Ort werden außerdem nicht unbedingt durch einen Craft Beer Bar repräsentiert. Also ich finde, für einen Brauer, der nach Berlin kommt, ist es spannender in die Brauereien zu gehen und zu schauen, was dort passiert.
Wenn du nach England kommst, würde ich dir empfehlen ein paar „cask beer“ zu trinken, weil das typisch englisch ist. Es ist oft wirklich schlecht, aber gleichzeitig ist es das, was uns in England besonders macht (lacht).
Es gibt eine Menge Geschichten über dich und The Kernel. Zum Beispiel, dass ihr alle braut, abwechselnd die Abfüllmaschine betreibt, alle ans Telefon geht, wenn ihr in der Nähe seid. Aber wer trifft bei euch die Entscheidung, ob es was Neues gibt? Wer entscheidet welches Bier in’s The Kernel Portfolio aufgenommen wird?
Wir machen nicht wirklich neue Biere. Für das Pale Ale, zum Beispiel, benutzen wir einfach immer anderen Hopfen. Wenn wir was Neues machen, dann kommt es meistens aus meiner Homebrewing-Zeit. Unsere alten Rezepte zum Beispiel, kommen aus einem Homebrewing-Club in London, der in den 70ern gegründet wurde (Anm. d. Red.: Durden Park Beer Circle, 1971). Die Mitglieder haben ein spezielles Interesse daran, wie Bier vor 50 Jahren gebraut wurde. Sie haben eine Menge recherchiert. Und sie haben dieses Pamphlet über alte britische Biere geschrieben. Das erste Mal, dass ich diese Biere probiert habe, war als ich einen der Gründer getroffen habe. Die Biere waren super. Also habe ich angefangen sie zuhause zu brauen. Das Ganze dann in großem Maßstab zu brauen, war eigentlich nur eine Evolution.
Aber zurück zu deiner Frage. Oft entscheide ich, aber nicht immer.
Du hast das Pamphlet angesprochen: „Old British Beers and How to Make Them“ von Dr. John Harrison und Mitgliedern des Durden Park Beer Circle. Holst du dir all deine historischen Rezepte aus diesem Pamphlet?
Nicht alle. Es gibt ein paar andere Quellen. Da sind einige historische Blogs online von Menschen, die an Brauhistorie interessiert sind.
Einer zum Beispiel ist der von Ron Pattinson. Er betreibt den Blog „Shut up about Baclay Perkins“. Er hat Rezepte aus aller Welt gesammelt. Besonders in Deutschland tötet das übrigens das Reinheitsgebot!
Du hast einmal gesagt, dass der Unterschied beim Ausgehen zum Bier trinken zwischen New York und London der ist, dass in London das Zusammensein mit Freunden an erster Stelle steht, die Menschen also eher in die Kneipe um die Ecke gehen. In New York liegt der Fokus mehr auf dem Bier, die Menschen nehmen größere Wege auf sich. Denkst du, dass es heute immer noch so ist? Oder fahren die Londoner auch mal etwas weiter für ein gutes Bier?
Das ist nicht einfach. Aber ich denke, dass es immer noch so ist. Du hast hier eine starke Bier-Trinker-Kultur. In England gehen die Menschen auch nicht mehr nur um die Ecke, aber in Amerika reisen sie für Bier. Die Nachbarschaften sind auch einfach nicht so eng zusammen. Es gibt aber auch in New York ein paar Orte, wie zum Beispiel Brooklyn, wo du einfach um die Ecke in die nächste Bar gehen kannst. Aber die meisten Amerikaner müssen reisen, weil Nachbarschaft dort einfach etwas anderes bedeutet, die Städte sind viel größer.
Aber auf der anderen Seite sind Menschen extra zu euch in die Brauerei gekommen, als ihr dort noch Bier verkauft habt. Du hast geschlossen, weil es zu viel wurde.
Aber wir haben nur samstags von 9 bis 14 Uhr geöffnet. Das belegt komischerweise meinen Punkt. Das ist nicht die typische Trinkzeit. Und in Bermondsey waren auch nicht nur wir. Dort wo unsere Brauerei steht, sind heute 12 oder 15 Brauereien auf einem Kilometer. Als wir geschlossen haben, waren dort schon 9 Brauereien. Aber es ist eine Challenge für die Besucher geworden, in jeder Brauerei ein Bier zu trinken. Es hatte eigentlich gar nichts mehr mit Bier zu tun. Es ging viel mehr darum, die Samstage damit zu verbringen, möglichst viel Alkohol zu trinken.
Vielen von den Menschen war es ziemlich egal, was sie trinken. Das hat genervt und war ein Grund, wieso wir geschlossen haben. Da waren eine Menge Junggesellenabschiede. Die Menschen haben einfach nur versucht, möglichst schnell besoffen zu werden. Bier war vielleicht der Grund, warum sie gekommen sind – aber nicht gutes Bier.
John Kimmich (Gründer von The Alchemist) hat mal einen Satz gesagt, den du fast genauso in einem Interview wiedergegeben hast. Ihr sagt beide, dass es für euch wirklich wichtig ist, euch um euer Personal zu kümmern, dass sie gute Arbeitsbedingungen haben, dass es keine große Fluktuation gibt und, dass sie fair bezahlt werden. Woher kommt diese Einstellung?
Das ist ganz natürlich. Die Frage sollte sein: Warum sind nicht alle so? Das ist genau das, was gerade in der Welt falsch läuft. Es gibt wenig Menschen, vor denen ich so viel Respekt habe, wie vor John Kimmich. Er ist großartig und hat den ein oder anderen Widerstand überwunden, um dahin zu kommen, wo er ist. Er macht einen extrem guten Job und könnte durchaus arrogant sein, ist er aber nicht. Er ist immer sehr demütig.
Letztes Jahr im Juni war dieser Terroranschlag in London am Borough Market. Ich habe dort gearbeitet. Und die einzige Person, die eine Mail geschickt hat, um mir zu sagen, dass er an uns denkt, war John. Ich meine, niemand muss sich melden, es ist auch keine Kritik, aber trotzdem war er der Einzige. Und wir haben uns nur ein paar Mal getroffen. Er kennt tausende Brauer auf der ganzen Welt. Aber er ist die Art Person, die sich kümmert und so versteht man, dass er sich auch um seine Angestellten kümmert. Es ist natürlich.
Wenn du dich um deine Angestellten kümmerst, kümmern sie sich darum, dass sie ihren Job gut machen. Und wenn sie ihren Job gut machen, machen sie gutes Bier. Das ist vielleicht sogar ein egoistischer Grund. Aber du kannst kein gutes Bier machen, wenn deine Angestellten nicht glücklich sind und andauernd den Arbeitgeber wechseln.
Im Grunde genommen ist die Brauerei vor allem da, um denen, die dort arbeiten, zu helfen. Jeder muss gut bezahlt werden, stolz auf die eigene Arbeit sein, fair behandelt werden. Und jedem muss eine Stimme gegeben werden.
Ihr arbeitet in Bermondsey nicht alleine, sondern in eurer eigenen kleinen Kommune. Das gibt es in einer so großen Stadt nicht oft. Welche Rolle spielt eure Nachbarschaft dabei, diese Eigenschaft zu behalten?
In der Brauerei kann ich direkt auf die Leute schauen. Aber die Brauerei steht dort, weil wir mit einem Kollektiv aus Nahrungsproduzenten dort hingezogen sind. Wir wissen, dass man gemeinsam mehr schaffen kann, als alleine. Das ist einer der Gründe, warum wir dort hin gezogen sind. Denn ganz offensichtlich ist das Leben hart, wenn du alleine bist. Wenn du gute Freunde und Nachbarn hast, ist das Leben vielleicht nicht einfach, aber du kannst definitiv gemeinsam mehr schaffen.
Bevor ich angefangen habe zu brauen, habe ich über Jahre Käse verkauft. Heute sind meine Ex-Arbeitgeber unsere Nachbarn. Drei meiner alten Kollegen haben hier ihr eigenes Käseunternehmen aufgemacht.
Wenn sich alles in der Brauerei nur um mich drehen würde, könnten wir keine Gemeinschaft aufbauen. Und je mehr Verantwortung du den Menschen gibst, je mehr bekommst du zurück. Es ist schwer diesen Effekt in größerem Maßstab zu erzielen, aber man kann tun, was man kann. Der Lohn, zum Beispiel, den Menschen in anderen Brauereien gezahlt bekommen, ist oftmals nicht so hoch, weil der Job inzwischen ziemlich populär ist. Man lernt dort vielleicht etwas, aber das ist nicht nachhaltig.
Dave Seymour, Gründer von Brew By Numbers, hat mal über dich gesagt: „Er hat etwas so Spannendes in die Bierszene in London gebracht, etwas, dass dringend gebraucht wurde um die Szene wiederzubeleben. Er hat den Grundstein für jeden Anderen gelegt.“
Das ist ein bisschen überzogen (lacht). Es gab vorher schon eine Menge Bier in London. Ich liebe Dave. Er ist einer unserer Nachbarn. Brew By Numbers sind vielleicht 500 Meter von uns entfernt, Partizan vielleicht einen Kilometer. Sie sind unsere engsten Nachbarn und gleichzeitig unsere engsten Freunde.
Unsere alte Brauerei war eine 600 Liter Anlage, eine kleine One-Man-Show. Wir sind Schritt für Schritt gewachsen und dann nach zweieinhalb Jahren in die neue Brauerei gezogen. Wir haben die alte Brauerei an Partizan weitergegeben. Und Andy hat sie dann an einen Ex-Mitarbeiter weitergegeben. Man hätte sie für ein paar tausend Pfund verkaufen können, aber es hat so irgendwie einen größeren Wert. Als wir wussten, dass Andy eine Brauerei gründen will, haben wir ihn gefragt, warum er nicht unsere nimmt.
Es war uns ein wenig peinlich, weil die Brauerei echt scheiße war (lacht). Aber wenn du es jemandem umsonst gibst und ihm das sagst, weiß er auf was er sich einlässt. Dann hat Andy es, offensichtlich im selben Ansporn, an seinen Mitarbeiter weitergegeben. So versuchen wir einen Unterschied zu machen.
Ich habe einige Interviews von dir gelesen und dich jetzt das erste Mal persönlich kennengelernt. Auf mich wirkst du mit dem, was du bei The Kernel hast, sehr zufrieden. Woher nimmst du die Motivation für die nächsten Jahre.
Ich frage mich oft selber, warum Menschen das Gefühl haben, dass sie ständig wachsen müssen. Die Welt selbst steht doch nie still. Wir haben immer eine Menge in der Brauerei und auch privat zu tun. Wenn in der Brauerei alles unter Kontrolle und ruhig ist, bin ich wirklich glücklich. Das bedeutet nicht, dass ich dann abschalte und nichts tue. Es könnte sein, dass ich mehr Zeit zuhause mit meinem Sohn verbringe. Wenn du als Brauerei nicht wächst, hast du vielmehr Zeit dich darum zu kümmern, dass die Qualität deines Bieres steigt. Du lernst die ganze Zeit, mit Menschen umzugehen. So ist das Leben, nichts steht still!
Titelbild: Evin O’Riordain, The Kernel Brewery