Mike Hieronymus

Auf ein Bier mit den apokalyptischen Reitern

Martin Rolshausen

In der Ferne war das Hufeklappern der Pferde zu hören, auf denen die apokalyptischen Reiter über Bierfässer sprangen und Flaschen zum Klirren brachten. Ein Raunen ging durch die Büros der Brauereien und die Wirtshäuser, die Vereinsheime und Wohnzimmer. “Der Bierabsatz ist im Jahr 2023 gegenüber dem Vorjahr um 4,5 % gesunken”, hatte das Statistische Bundesamt im Februar mitgeteilt. Das sind 394,2 Millionen Liter weniger als im vergangenen Jahr.

394,2 Millionen Liter weniger Bier

Die in Deutschland ansässigen Brauereien und Bierlager, hat die Behörde zusammengerechnet, haben 2023 insgesamt rund 8,4 Milliarden Liter Bier abgesetzt. “Nach dem leichten Anstieg im Jahr 2022 um 2,7 % setzte sich damit der langfristige Trend sinkender Absatzzahlen fort”, haben die Statistikerinnen und Statistiker festgestellt. 

„Das Ende der Bier-Nation Deutschland“

Die Branche konnte das Bundesamt damit nicht überraschen. Brauer, Händler, Wirte – sie alle haben es schon lange gespürt und erlitten. Auch die Wirtschaftsjournalisten wussten längst Bescheid. Bereits vor vier Jahren hat einer von ihnen in der „Welt“ seinen Artikel zur Lage der Brauwirtschaft getitelt mit: „Das Ende der Bier-Nation Deutschland“.  

Keine Rolle auf dem Weltmarkt

Die Endzeitstimmung ist aus diversen Statistiken in die Berichterstattung geflossen. Im in der „Welt“ zitierten Bericht des führenden deutschen Hopfen-Anbieters Barth-Haas wurde damals zum Beispiel festgestellt, dass deutsche Braukonzerne auf dem Weltmarkt keine Rolle spielen. Im Ranking der Braugiganten taucht erst auf Platz 23 (da wiehern die Gäule der apokalyptischen Reiter) ein deutsches Unternehmen auf: die Radeberger-Gruppe, zu der unter anderem auch Jever, Berliner Kindl, Binding, die Dortmunder Actien-Brauerei und Tucher gehören. Radeberger, sagte die Statistik (und nun schnauben die apokalyptischen Reiter-Pferde), hat als größte deutsche Braugruppe gerade mal 0,6 Prozent Weltmarktanteil.  

Bier ist Heimat

Die Nummer eins auf der Liste, die belgische Anheuser-Busch InBev Gruppe, haut dagegen knapp 30 Prozent der Welt-Bierproduktion raus. Es folgt die niederländische Heineken-Gruppe mit knapp 13 Prozent. Ab da wird es einstellig.  

Ja, die apokalyptischen Reiter machen gerade wieder etwas Lärm. Aber sie galoppieren in eine Richtung, die uns als Freundinnen und Freunde des Bieres nicht beunruhigen sollte. Denn zum einen lebt die Bier-Nation Deutschland – und in Österreich und der Schweiz ist es nur unwesentlich anders – nicht von den großen Konzernen, sondern von den vielen kleinen und mittelständischen Brauereien.  Die machen deutsches Bier nicht zum Weltmarktführer, aber zu einem Stück Heimat.  

Interesse an Bier verloren

Zum andern ist es richtig, dass es manchen dieser Brauereien nicht gut geht. Aber vielleicht bieten wir den apokalyptischen Reitern mal ein Bier an, damit sie eine Weile aufhören, wild durch die Gegend zu marodieren und es ruhig genug ist, um sich zu fragen, warum der Bierkonsum zurückgeht. Denn offenbar hat ein Teil der bisherigen Zielgruppen ja ganz offensichtlich das Interesse verloren. 

Veränderte Lebensgewohnheiten

“Der Rückgang des Konsums liegt insbesondere an der Alterung der Gesellschaft, hat also demographische Gründe, aber wir stellen auch ein wachsendes Gesundheitsbewusstsein fest”, hat der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer-Bunds, Holger Eichele, neulich dem Magazin “falstaff” erzählt. Es sei so, dass “viele Menschen ihre Lebensgewohnheiten ändern, auch was das Ausgehen am Abend betrifft”.  

Kostensteigerungen

“Diese Entwicklung ist nicht überraschend und auch noch nicht abgeschlossen. Es ist davon auszugehen, dass sich das in den kommenden Jahren weiter verschärft. Was aber neu und in diesem Ausmaß überraschend ist: die massive Konsumzurückhaltung der Verbraucher. Dass die Menschen wegen der Inflation weniger Geld ausgeben, macht nicht nur dem Handel, sondern auch der Gastronomie zu schaffen – und damit auch unseren Brauereien”, erklärt Eichele, um dann über die Kostensteigerungen zu klagen. 

Mischgetränke und alkoholfreies Bier

“Digitalisierung, Spezialisierung, Regionalisierung und Globalisierung sind die Megatrends”, sagt Eichele auf die Frage, was Brauereien denn tun, um den Trend zu stoppen. Außerdem: noch mehr Mischgetränke und alkoholfreies Bier. Vermutlich alles nicht falsch.  

Das sogenannte Reinheitsgebot neu formulieren

Aber es ist der 23. April, an dem ich mich mit den apokalyptischen Reitern auf ein Bier hinsetze, also der Tag des deutschen Bieres, an dem der Brauerbund um sein goldenes Kalb tanzt: das sogenannte Reinheitsgebot – im Vorläufigen Biergesetz von 1993 verbindlich verankert. Ein guter Tag also, um vorzuschlagen, das Gesetz zu ändern und ein neues Reinheitsgebot zu formulieren. 

Alle Bierstile brauen dürfen

Und zwar so, dass man als deutsche Brauerin und als deutscher Brauer jeden Bierstil brauen und experimentieren kann, ohne dafür um Sondergenehmigungen betteln und die auch bezahlen zu müssen – wobei in den südlichen Landstrichen ja nicht mal Betteln und Bezahlen etwas bringt.  

Fragen an den Brauerbund

Warum kann eine deutsche Brauerei nicht stressfrei ein Witbier mit Orangenschalen und Koriandersamen brauen? Warum darf ein solches Bier aber hierzulande verkauft werden, wenn es aus der Weltkulturerbe-Bier-Nation-Belgien kommt? Warum können Brauereien jenseits der deutschen Grenze ganz selbstverständlich mit Kräutern und Gewürzen brauen, während man bei uns mit der Härte des Gesetzes rechnen muss, wenn man es tut?  Warum darf mit Kunststoff gefiltert, aber nicht, wie es in großen Biernationen üblich ist, mit Kandiszucker, Kaffee oder Früchten gebraut werden?

Keine Experimente – im Gegenteil

“Keine Experimente” ist ein politischer Kassenschlager aus den muffigen Jahren der Republik. Experimente, hat die Berliner Brauerin Ulrike Genz vor ein paar Tagen gesagt, sind “Quell des Wissens”. Also warum suchen Brauereien ihr Heil in Mixgetränken, anstatt mit Bier und allem, was die Natur uns schenkt, selbst zu experimentieren? 
 

„Das ist ein sehr gefährlicher Weg“

Auf diese Fragen hat der Brauerbund keine überzeugende Antwort. “Ich glaube, dass das Reinheitsgebot die Errungenschaft ist, die es geschafft hat, das deutsche Bier besonders zu machen, es auch zu differenzieren zu Bieren aus anderen Ländern. Das wird den deutschen Brauereien langfristig etwas bringen. Wenn man anfängt, daran rumzutüfteln, wäre meine große Sorge, dass man es nicht besser macht. Dann wird vielleicht gesagt: Es geht nicht nur um Kreativität, es sollte auch um Kosten gehen, um Effizienz, um was auch immer… Das ist ein sehr gefährlicher Weg, auf den man sich da begeben würde. Und ich weiß nicht, warum man so etwas tun müsste, wenn die Konsumenten es gar nicht wollen. Warum an etwas rütteln, was gelebt und geliebt ist?”, hat der Präsident des Braubunds, Christian Weber, vergangenes Jahr im Hopfenhelden-Interview gesagt. 

Österreich hat es vorgemacht

Hier lohnt ein Blick nach Österreich: Im Nachbarland wurde das sogenannte Reinheitsgebot rechtlich längst neu formuliert, die Vorschriften ergänzt. Dort darf auch mit anderen natürlichen Zutaten gebraut werden. Der Absatz ist dadurch nicht eingebrochen. Und wer der Meinung ist, dass das für die Kundschaft wichtig ist, kann nach dem sogenannten Reinheitsgebot brauen und das auch werbewirksam aufs Etikett schreiben. Denn im Gegensatz zum Jahr 1516 können die Menschen heute lesen.  

Brauerbund sollte den Kurs ändern

Im Jahr 508 nach dem Erlass des bayerischen Reinheitsgebots würde es also auch der deutschen Bier-Kultur guttun, wenn der Gesetzgeber Freiheit ermöglicht. Und der deutsche Brauerbund könnte die Energie, die er zur Verteidigung einer Vorschrift, die ja durchaus bereits verändert wurde und zwischendurch auch ziemlich lange Zeit niemanden wirklich interessiert hat, aufbringt, sinnvoller einsetzen.  

Bier sollte kein Billigprodukt sein

Es mag abenteuerlich und völlig weltfremd klingen, aber: Der Brauerbund könnte zum Beispiel dafür kämpfen, dass Bier nicht als Billigprodukt verramscht wird. Dafür, dass Bier in der Gastronomie für Vielfalt steht, also beim Wunsch „ein Bier!“ gefragt wird: „Da haben wir einige spannende – welches denn?“ Und er könnte sich überlegen, wie er die kleinen Brauereien so in Szene setzt, dass sie nicht zermalmt werden zwischen den Interessen der Giganten.  

Wer jetzt in der Ferne das Hufeklappern der Pferde hört, auf denen die apokalyptischen Reiter über Bierfässer springen, weil das Ende der deutschen Bierkultur angeblich nahe ist, wenn das Reinheitsgebot fällt, sollte sich erstmal zum Entspannen ein Bier aufmachen – gerne eins, das nicht nach dem sogenannten Reinheitsgebot gebraut ist. 

(Das Foto oben zeigt ein Kunstwerk von Mike Hieronymus.)

(23. April 2024)