Cider, Cidre, Sidra, Apfelsekt und Apfelschaumwein! Viele Begriffe – und es gibt noch mehr – die im Kern alle das Gleiche meinen: vergorenen, karbonisierten (teils natürlich, teils mit zusätzlich hinzugefügter Kohlensäure) Apfelsaft. Andreas Schneider ist Experte auf diesem Gebiet und hat mit uns über sein Handwerk gesprochen.
Berechtigte Frage vorweg: Was hat das mit Bier zu tun? Nix. So direkt. Die Herstellung von Cider gleicht erstmal eher der von Wein. Und auch die Apfelanbauer und Apfelanbäuerinnen sehen sich wahrscheinlich eher dem Wein zugehörig, als dem Bier. Dennoch hat der prickelnde Apfelschaumwein in Deutschland einen kleinen Aufschwung mitgemacht, den er auch dem wachsenden Interesse an handwerklich gebrauten Bieren zu verdanken hat. In britischen Pubs oder französischen Bars eh längst Standard, bieten auch hier immer mehr Bierbars den ein oder anderen Cider an. Weil’s im Grunde ja um dasselbe geht: Ein spannendes Getränk mit Liebe zum Handwerk gemacht. Versuch wert!
Die Cider-Grundlagen hat der Berliner Craftbrauer Philipp Brokamp vom Hops&Barley (hier!) schonmal erklärt. Cider ist – wie Bier auch – keine neue Entdeckung des 20. oder 21. Jahrhunderts. Wer genau den Cider erfunden hat, kann man nicht sagen, da der Apfel schlichtweg schnell weit verbreitet war. Die Ursprungsform des Apfels (Malus pumila/Malus domestica) wuchs vermutlich am Fuße des Tien Shan Gebirge an der Grenze von Nord-West China, Kasachstan und Kirgisistan. Als Wortstamm gilt das griechische Wort sikera, beziehungsweise das hebräische shēkhār, was so viel wie berauschendes Getränk bedeutet.
Heutzutage wird Cider weltweit hergestellt. Die bekanntesten Regionen sind aber sicherlich der Südwesten Englands (Cider), die Normandie und die Bretagne (Cidre). Aber auch in Deutschland werden – vor allem in Hessen – rund 50 Millionen Liter Apfelwein (also auch nicht karbonisierter) jährlich produziert.
Cider Macher mit Tradition
Einer der Produzenten ist der Obsthof am Steinberg. Gegründet wurde der Hof, auf dem vor allem Äpfel und Birnen angebaut werden, 1965 von Albert und Waltraud Schneider. 1993 hat Andreas Schneider den elterlichen Hof übernommen und auf biologischen Anbau mit mittlerweile über 8500 Bäumen – mit teils extrem seltenen Sorten – auf rund 16 Hektar umgestellt. Darum wollten wir einmal von dem waschechten Hessen wissen, was einen guten Cider ausmacht, was die handwerklichen Herausforderungen während des gesamten Anbaus und der Produktion sind und ob der Cider das Potential hat, auch in deutschsprachigen Raum ganz groß zu werden.
Andreas, wie bist du denn zum Thema Cider gekommen? Klar, ihr habt einen riesengroßen Obsthof und ihr seid im Frankfurter Raum, das heißt das Thema Apfelwein lag euch immer sehr nahe. Aber Apfelwein ist ja nicht gleich Cider.
Ich sage immer, dass Apfelwein der Oberbegriff ist. Darunter gibt es Cider, es gibt Perlweine, Schaumweine, Eisweine, Sherrys, oder Ports. Im Grunde aber reden wir halt von Wein aus Äpfeln! Es sei denn, du sprichst über großtechnisch designten Cider – entschuldige, wenn ich das so sage – das ist Limonade, irgendetwas Zusammengepanschtes. Wobei: Das ist übrigens bei uns beim Apfelwein auch oft so. Ein eher technologisch hergestelltes Getränk, anstelle von wirklichem Handwerk.
Wie sieht das Handwerk denn aus, das ihr macht? Wo liegt der Unterschied? Wie beginnt das Handwerkliche?
Das Erste ist, dass wir – wie ein Winzer – die Sorten pflanzen, die wir vinifizieren wollen. Das ist ein ganz bewusster Akt. Dann hegen wir die Pflanzen bis sie blühen und fruchten. Bei den historischen Sorten kann es bis zu 10, 15 Jahre dauern, bis sie einen richtigen Ertrag haben. Anschließend sammeln wir die Äpfel sortenrein von Hand, ohne schütteln. Die Äpfel fallen von allein runter. Wir sammeln die grünen und die reifen Äpfel separat.
Kann man alle für die Cider-Produktion verwenden?
Ja, mit den grünen keltern wir unseren Hausschoppen, unseren Hauswein, und die vollreifen geben unsere sortenreinen Apfelweine.
Ihr habt 125 Apfelsorten. Welche sind besonders gut für Cider geeignet? Und warum?
Es kommt ein bisschen darauf an, was man damit machen will. Im traditionellen Bereich kommt eher der Bohnapfel oder der Trierer Weinapfel in Frage. Im sortenreinen Bereich eher der Boskoop, Ananasrenette, Rote Sternrenette.
Und warum sind die so gut?
Weil die eine gewisse Aromatik mitbringen. Beim Craft Beer wird mit speziellem Aromahopfen gehopft. Und das was beim Brauen der Aromahopfen ist, ist bei uns die Ananasrenette, die Goldparmäne, der Boskop, oder die Rote Sternrenette.
Müssen die Äpfel auch einen gewissen Zuckeranteil mitbringen? Gibt es da auch eher technische Herausforderungen an die Sorten?
Wir haben jetzt gerade zwei starke Jahrgänge vom Oechsle-Grad (Anm. d. Red.: Vereinfacht die Stammwürze der Winzerinnen und Winzer) gehabt, also extrem viel Zucker. Wichtig ist aber eher, dass die Frucht reif ist. Dann ist sie in der Harmonie. Wenn du viele grüne Früchte vergärst, hast du viel Stärke. Das machen die ganzen Großen. Anschließend brauchst du aber viele Hilfsmittel. Wir nehmen keine Hilfsmittel, keine Zusätze. Low Intervention, wie es so schön beim Naturwein heißt.
Also setzt ihr nicht mal Hefen zu, um die Gärung etwas anzukurbeln? Komplette Spontangärung?
Komplette Spontangärung! Alle unsere Weine! Ausnahme ist nur der Sekt, da wird beim Versekter nach der ersten Spontangärung die zweite Gärung in der Flasche mittels Champagnerhefe vollzogen.
Nochmal kurz vom Baum ausgehend: Ihr habt es geerntet, was passiert dann mit den Äpfeln, die zu Cider werden sollen?
Die werden sofort gepresst. Die Früchte können wir auch nicht lange aufheben, die sind so auf den Punkt gereift, dass sie sonst innerhalb weniger Tage oder sogar Stunden übergehen. Wir sammeln die Äpfel, pressen sie und danach lassen wir den Saft erstmal stehen, ähnlich wie die Naturwinzer. Das ist natürliche Sedimentation ohne Zusätze.
Wie lange dauert das?
Das kommt auf die Sorte, auf den Saft und auf den Jahrgang an. Das kann drei Tage dauern, aber auch mal zwei Wochen.
Du erkennst dann, dass es anfängt zu blubbern und zu schäumen, nehme ich an.
Nein, das sollte noch nicht anfangen zu blubbern und zu schäumen, das sollte erstmal einfach nur kühl stehen. Danach ziehen wir es vom Trub weg und haben den von Natur aus vorgeklärten Saft. Den füllen wir in einen Gärbehälter, dann kommt ein Gärspund drauf und erst jetzt setzt die Spontangärung ein.
Wie lang dauert die dann?
Es gibt Weine, die sind nach dreieinhalb Monaten fertig, andere brauchen eineinhalb Jahre.
Und wie kannst du steuern, dass du lieblichere Weine rausbekommst, oder weniger liebliche, wenn du die Gärung einfach machen lässt?
Wir keltern möglichst spät. Mir ist es am liebsten ab dem 10. Oktober bis in den November, Dezember hinein. Das ist aber in den letzten heißen Jahren nicht so einfach gewesen wie früher. Der Klimawandel macht sich bei uns in der Gärtechnik bemerkbar. Wir nehmen Nachtkälte, das heißt, wir machen das Gärlager nachts auf. Wir ziehen dann die Cidre oder Apfelweine, die fruchtig oder lieblich sein sollen frühzeitig von der Hefe ab und lagern sie dann bei zwei Grad in unserem Kühlhaus. Dort kommt die Gärung meistens zum Abschluss und die Cidre behalten ihre Restsüße. Die Flaschen werden dann beim Lohnabfüller – wir haben selber keine Abfüllanlage – tankrein abgefüllt. Das heißt, wir lassen bis zu zehn verschiedene Sorten füllen. Dann sagen wir ihm, wo wir Kohlensäuren dabeihaben möchten und wo nicht. Der einzige Prozess, der bewusst gesteuert wird, ist die Abfüllung. Wir sagen, wir füllen im Januar den Wein in der Menge ab, er wird einmal über einen Cross-Row-Filter filtriert und in der Regel auf 20, 30 Milligramm leicht aufgeschwefelt. Alle anderen Apfelweine des Jahrgangs werden nach dem Hefeabstich ohne Filtration und ohne Schwefelung im Kühlhaus eingelagert. Im Sommer schenken wir sie direkt vom Fass aus – Naturapfelweine im besten Sinn!
Ihr arbeitet neben Äpfeln auch mit Birnen. Gibt es da gravierende Unterschiede in der Verarbeitung, oder ist ein Birnenwein im Grunde gleich wie ein Apfelwein?
Es ist weitaus diffiziler einen guten Birnen-Cidre zu machen, weil unsere Birnen extrem viele Gerbstoffe haben. Wenn man da nicht aufpasst und die Gärung bis zum Ende geht, ist das sowas von brachial trocken, weil wir keine Gerbstoffschönung machen. Das heißt, wir lassen alles drin! Das ist richtig krass, einfach Vollgas! Da kommen manchmal Cidre raus, die wir erstmal zwei, drei Jahre einlagern müssen, bis die Gerbstoffe so eingebunden sind, dass der Wein genussfähig wird.
Was passiert mit den Gerbstoffen in der Zeit? Die verschwinden ja nicht einfach.
Die reifen. Der Wein wird einfach runder und komplexer. Die restlichen Zuckerstoffe karamellisieren und geben eine komplett andere Struktur. Der Wein reift. Wir füllen seit 1998 Jahrgangs-Cidre ab und können bis zu 18 Jahre gereiften anbieten – erlebbar in unseren Raritäten-Verkostungen.
Ich kenne ein paar Cider-Macher, die arbeiten mit Saft, teilweise auch mit pasteurisiertem Saft und setzen da dann Hefen künstlich hinzu. Das ist aber natürlich nicht so schön und craftig und geht eben nicht direkt vom Produkt an sich aus.
Das machen viele. Aber wir können gerne mal ein Tasting machen und ich zeige dir den Unterschied zwischen einem normannischen Cidre, einem bretonischen Cidre, einem schweizerischen Cidre und einem deutschen Cidre, alle unterschiedlich gemacht. Es gibt ein paar, die nehmen irgendeinen pasteurisierten Saft, haben schöne Hipster-Bärte, leben in der Metropole und sagen, das ist Cider. I say: This is fucking bullshit! Weil: Ich kenne die Jungs und Mädels, die wirklich am Apfel arbeiten. Und es ist ein absoluter Unterschied, ob du irgendeinen No-Name Saft nimmst, oder ob du wirklich am Terroir arbeitest, dich also mit deinen Sorten, deiner Gegend, dem Klimawandel auseinandersetzt.
Eric Bordelet (Anm. d. Red.: Cidre-Hersteller aus der Normandie), einer unserer Besten, sagt immer: „Levure ancestrale“, also „die Ahnenhefe“. Die ältesten Organismen, die auf der Welt leben, sind Hefepilze. Mit älterem Material kann man nicht arbeiten. Wenn du, wie wir, in deiner Plantage keinen chemischen Pflanzenschutz einsetzt, hast du die ganzen autochthonen levure ancestrale. Wenn du damit vergärst, brauchst du keine Reinzuchthefen mehr. Resultat: Echter Stoff!
Wenn ich dir zuhöre, sprichst du immer von Wein. Würdest du das Thema eher bei den Weintrinkern ansiedeln, oder anders gefragt, warum wird es oft mit Craft Beer in Verbindung gebracht?
Gerade im Ausland läuft das Hand in Hand, das sind die gleichen Leute, die sich für Bier und Cidre interessieren, obwohl das ganze Thema – Terroir, Lagen, Sorten – eigentlich ein Weinthema ist. Das spielt ja beim Bier eine nicht so große Rolle. Man könnte es beim Bier zur Rolle machen, indem man sagt: Das sind meine 50 Hektar, da baue ich jetzt meinen Dinkel oder meine Gerste an, die mälze ich hier, die braue ich mit Wasser von hier. Daneben habe ich ein kleines Feld mit Hopfen und da hättest du ein wirklich echtes Craft Beer. Das Bier kommt aber einfach eher aus dieser Volksernährungsrichtung, also das flüssige Brot aus dem Mittelalter. Aber das könnte man vielleicht umbrechen – so wie wir beim Apfelwein.
Glaubst du das Thema Apfelwein hat viel Potential, wenn man das auf diesen Cider–Fahrwagen aufsetzt und sagt: Hier kommt jetzt ein cooles Produkt, das wir zwar schon ewig machen und das ein Teil von deutscher Tradition ist – wenn auch sehr regional – aber jetzt können wir damit auch junge Leute außerhalb Hessens gut erreichen?
Ja, das geht! Sehe ich ganz klar so. Es ist so: Ich mache Apfelwein bei uns auf dem Hof jetzt seit 1993. Wir haben immer schon ein junges Publikum gehabt. Es kommt im Endeffekt immer ein bisschen darauf an, was jeder einzelne bereit ist auszugeben. Wenn du Schüler oder Student bist und nur ein geringes Einkommen hast, greifst du eher auf die günstigen Sachen zurück. Kennen wir alle! Wenn du aber einen Job hast und schon genug Kopfschmerzen von anderen Getränken gehabt hast, überlegst du dir schon, ob du nicht einfach das Geld in hochwertigen Apfelwein steckst. Kopfschmerz ist eigentlich noch ein guter Punkt. Das ist glaube ich auch etwas, dass Leute aus Unwissenheit mit Obstwein in Verbindung bringen.
Warum stimmt das nicht?
Ich habe zweimal Erdbeerwein gemacht, allerdings anders als in der Ausbildung erklärt. Dort habe ich gelernt: Ein Drittel Fruchtsaft, ein Drittel Zucker, ein Drittel Wasser. Das wird dann vergoren. Man muss relativ viel Vitamin C und Schwefel dazu geben, damit die Fruchtfarbe stabil bleibt. Und wenn du da noch Restsüße drin hast, hast du am nächsten Tag einen riesen Schädel! Und es schmeckt noch nicht mal richtig gut. Mein Erdbeerwein war aus 100 Prozent Erdbeersaft. Anschließend habe ich noch Bioland Akazienhonig dazugegeben, weil die Erdbeere relativ wenig Süße hat. Getränketechnologisch gesehen hat sie viel mehr Säure. Das war dann der Kniff, wie ich den Erdbeerwein ein bisschen runder und fülliger hinbekommen habe. Und: Keine Kopfschmerzen, nie. Versprochen!