Craft Beer Trend

GEFAHREN DER CRAFT BEER BRANCHE: The Dark Side of Craft Beer

Günther Thömmes

Eine Warnung, Bestandsaufnahme – und Ermutigung: Dipl. Braumeister Günther Thömmes, alias „Der Bierzauberer“, Craft Beer Brauer aus Brunn am Gebirge in Österreich und Buchautor (u.a. Der Bierzauberer, ein historischer Krimi, und So braut Deutschland, ein brandneuer Besseres-Bier-Führer), schaut kritisch auf die Craft Beer Branche. Weil: Craft Beer ist kein Ponyhof.

Immer wieder sehen wir Fotos von fröhlichen, hippen Craftbier-Genießern und Genießerinnen. Prächtige, bärtige Brauerburschen mit halbleeren Gläsern, in Partylaune posierend vor oder hinter Biertheken, meist aufgenommen bei einem der zahlreichen Craftbierfeste oder Bier-Foodpairing-Verkostungen, die seit geraumer Zeit wie Pilze aus dem Boden schießen. Dabei wissen wir alle aber eigentlich nicht, ob die Party erst beginnt oder schon im Abklingen ist.

Craft Beer Trend Brauerei

Ruhe… vor dem Sturm? Vor der Ruhe? Ein Blick in die stillstehende Nightshift Brewing Brauerei in Boston, MA. (Foto: StP)

Auch auf die Gefahr hin, jetzt ein wenig als Spielverderber hingestellt zu werden, möchte ich hier ein paar Betrachtungen einfließen lassen, die euch, lieben Lesern – und eventuell zukünftigen Brauern, aufzeigen sollen, dass die Craftbier-Szene für die Brauer auch ihre Schattenseiten hat. Man kann sich verrennen, falsch beraten lassen, sich von Behörden seine Nerven zerrütten lassen, seine Gesundheit und/oder seine Finanzen ruinieren oder am Ende komplett scheitern. Ich schreibe dies aus der Perspektive eines Craftbier-Brauers der ersten Stunde, der sich – trotz aller Anfangserfolge, erst verrannt hat, dann schlecht beraten wurde, und der Anfang des Jahres – vor dem Scheitern, die Reißleine gezogen hat. Trotz ansprechender Verkäufe und (leicht) schwarzer Zahlen brauchte ich eine Pause, um das ganze Konzept neu zu überdenken. Schon bald, nach einer kleinen Auszeit, werde ich, mit neuen Ideen und etwas abgeklärter, einen neuen Anlauf starten. Denn dazu ist die Branche zu schön, zu spannend, um sich von den Widrigkeiten unterkriegen zu lassen. Man sollte sie aber kennen.

Craft Beer Trend: 2016 das Jahr der Konsolidierung

Gefahren lauern überall: Bei der Arbeit, der Bürokratie, beim Marketing, sogar beim Netzwerken. Und es gibt einige Anzeichen, die darauf hindeuten, dass 2016 das Jahr sein wird, in dem eine erste Konsolidierung stattfinden wird. Da braucht es mehr als kräftige Ellbogen.

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Könnte losgehen – wenn’s losgeht. (Foto: StP)

Je mehr Brauer und solche, die sich dafür halten, unter dem Oberbegriff „Craft“ firmieren, desto unübersichtlicher wird es. Und da liegt bereits die erste Gefahr, besonders für die Mini-Brauereien, die Ein- oder Zweimannbetriebe. Denn Erfolg zieht Nachahmer an, und so drängen, nach US-Vorbild, immer mehr ungelernte Wannabe-Brauer in die Szene, die vorher eine mehr oder weniger erfolgreiche Karriere als Unternehmensberater oder in der Werbung hingelegt haben. Mit Geld in der Hand, strotzend vor Selbstbewusstsein, Hipsterbart und -brille, aber mit wenigen Ideen. Nicht vertraut mit den persönlichen Vertriebswegen der eingesessenen Craftbier-Brauer, packen diese dann die klassischen Vertriebsmethoden des Getränkehandels aus: Freibier, Muster, viel Werbematerial etc. Sachen, die sich die Kleinen, die sich noch am Hocharbeiten sind, nicht leisten können, oder auch nicht wollen. Denn „Craft Beer“ umreißt ja auch ein Lebensgefühl, und eine gewisse Geschäftsethik, mit der man sich bewusst von den klassischen Industriebrauern abheben möchte, die – auch das sollte man nicht unterschlagen, mittlerweile auch ihre Scheibe vom Kuchen abhaben wollen. Und da kauft man sich als echter Craft Beer Brauer halt nicht ein bei einem Händler oder Gastronomen, lässt lieber die Qualität seiner Biere sprechen. Und/oder die eigene Geschichte dahinter.

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Die USA werden oft als Maß der Dinge herangezogen. Ein Ausblick also: Bei Nightshift Brewing in Boston setzen sie auf Fasslagerung. (Foto: StP)

Die Köche von außerhalb aber verderben nicht nur den Brei, sondern auch die Stimmung, und letzten Endes auch Preise und Marge. Denn, hey, Überraschung: Auch wir müssen Geld verdienen zum Leben! Ist der Preiskampf erst eröffnet, ist es – aus leidvoller Erfahrung der letzten Jahrzehnte, nur eine Frage der Zeit, bis auch beim Craft Beer nicht die besten Biere die erfolgreichsten sind, sondern die mit dem besseren, sprich: skrupelloseren Marketing.
Daher hier ein eindringlicher Appell an alle Bierkäufer: Schaut euch genau an, wer das Bier herstellt. Lasst euch nicht von dämlichen Werbefloskeln beeindrucken. Und schaut nicht nur auf den Preis. Sonst werden in den nächsten 2-3 Jahren einige gute Brauer das Handtuch werfen.

Craft Beer muss sich lohnen

Denn Geld ist auch beim Craft Beer wichtig. Und zwar nicht nur, wenn es einem aufgrund säumiger Kundschaft und schwierigen Inkassos fehlt. Geld braucht man für den täglichen Betrieb, aber auch, um weitere Träume umzusetzen und den Betrieb zu erweitern. Oder überhaupt erst vom Gypsy-Brauer zum echten Brauer mit eigenem Betrieb zu werden. Hier lauert die nächste Falle: Denn Geld kann man ja kaufen. Der Preis dafür kann, muss aber nicht sein: Aufgabe der Eigenständigkeit; Abhängigkeit von Banken, die den Kredit sofort fällig stellen, wenn es Probleme gibt; kreative Einengung; oder, im schlimmsten Fall, wenn das Geld von Freunden kommt: Verlust dieser Freundschaft. Denn beim Geld hören Spaß und Freundschaft bekanntlich auf.

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Was gebraut wird will verkauft werden: Abfüllung der Nightshift Brewing Co. in Boston. (Foto: StP)

Freundschaften sind wichtig im täglichen Umgang und auch bei Mitarbeitern und Kollegen, aber man sollte es nicht ans Geld koppeln. Es gibt m.E. nichts Schöneres, als mit dem besten Freund oder den besten Freunden eine Craftbier-Bude eröffnen zu wollen. Vorausgesetzt, man kann sich die Arbeit sinnvoll aufteilen: Brauen, Einkauf, Vertrieb (viele, viele Autokilometer!), Papierkram, Etikettendesign, Repräsentation (Feste und Verkostungen), eventuell noch Gastronomie. Wer sich da allein zu viel zumutet, geht bald auf dem Zahnfleisch. Ich höre immer wieder von Kollegen, die von 7 mal 14 Wochenstunden reden. (Die mit Kindern von NUR 6 mal 14). Wenn das zu lange nicht passt, gerät alles in Schieflage. Irgendwann macht die Gesundheit nicht mehr mit. Das Privatleben leidet, weil man nur noch „Craft Beer“ lebt, denkt und handelt. Wenn sogar die Wahl des Urlaubsziels und die Freizeitgestaltung (wenn es sie denn gibt!) davon dominiert werden, dann sollte man dringend eine Auszeit nehmen. Aber Auszeiten werden leider nicht so ohne weiteres akzeptiert. Händler, Publikum und Veranstalter wollen ihre Lieblinge sehen. Anfassen. Mit ihnen diskutieren. Und drei Monate ohne ein neues Bier? Undenkbar.

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Die wahre Arbeit in der Craft Beer Brauerei ist eher unglamourös. (Foto: StP)

Zum Thema Arbeit: Die Brauerarbeit besteht leider nicht daraus, sich möglichst coole Kollab-Partner zu suchen, mit denen man dann hip und fotogen für die Social Media posieren kann. Die Wirklichkeit des Braueralltags ist hart, und der Alltag erfordert neben einem guten Fundament (Ausbildung!) auch die Bereitschaft zu dreckiger, nasser und schwerer Arbeit. Eine Hälfte des Jobs ist Putzen (die andere Saubermachen). Auch hier sollte man eine vernünftige Work-Life-Balance anstreben.

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Craft Beer ist ein Job bis spät in die Nacht. In jede Nacht. (Foto: StP)

Wer sich die Arbeit gut aufteilt, hat auch Nerven übrig für die Bürokratie. Denn es ist leider so, dass alle Gesetze, Normen und Vorschriften auch in der Bierbranche eine Holschuld sind. Egal ob Zoll, Lebensmittelkontrolle oder Finanzamt. Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Und Strafen, bereits für Bagatellvergehen (z.B. Etikettenfehler), können schnell in Dimensionen gehen, die ein kleiner, junger Betrieb nicht verkraften kann und so am Besten gleich wieder zusperrt. Auch hier sollte man die Sache mit sicherer Expertise, der nötigen Zeit und Geduld angehen. Und auch hier klappt das nur, wenn man anderweitig entlastet wird.

Dos and Don’ts für Craft Beer Gründer

Und damit ich denjenigen unter den Lesern, die eventuell selber beginnen wollten, wieder etwas Mut mache, hier eine Zusammenfassung einiger ganz simpler, aber essentieller Dos und Dont’ts. Damit – und einem guten Plan – kann man dann im schönsten Beruf und der besten Szene der Welt auch lange und erfolgreich arbeiten.

  • Mach nicht alles alleine.
  • Nimm guten Rat an in Fragen, wo du dich nicht auskennst. Besonders Bürokratie, Grafikdesign, Buchhaltung, Recht.
  • Nimm dir Zeit für Freunde und Familie.
  • Schalte gelegentlich ab vom Thema „Craft Beer“
  • Sei fair zu Kollegen, Lieferanten und Kunden/Händlern.
  • Lass dich nicht unterkriegen.
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Nightshift Brewing (hier der Taproom) hat ihren Namen auch nicht von ungefähr: Craft Beer – ein rund um die Uhr Job. (Foto: StP)

Und den Biertrinkern unter den lieben Lesern gebe ich folgende Empfehlungen mit, wenn ihr eure Lieblingsbiere weiterhin genießen wollt:

  •  Trinkt am Besten Craft Beer, bei dem ihr den Brauer oder die Brauerei persönlich kennt. Nicht jedes neue Bier ist automatisch ein gutes Bier. Gesundes Misstrauen schützt vor Enttäuschungen.
  • Behandelt eure Lieblingsbrauer wie normale Menschen, gebt ihnen Zeit und Raum zum Rückzug und für ihr Privatleben.
  • Überfordert sie nicht mit Wünschen und Begehrlichkeiten.
  • Respektiert ihre Preise, damit sie davon leben können.
  • Und macht den Preiskampf NICHT mit! Bei einem IPA für 90 Cent geht es nicht mit rechten Dingen zu!

Wir sollten uns den Spaß nicht verderben lassen, aber wissen, was wir tun. In diesem Sinne Cheers!

Euer Bierzauberer Günther Thömmes

Copyright Günther Thömmes, März 2016 – Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung.

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Und wofür das alles? Dafür. (Foto: StP)