Fruchtbier

FRUCHTBIER: Trinkt mehr Obst!

Nina Anika Klotz

Bevor es heißt „Bloß nicht!“  und Reinheitsgebot und so – Biere mit Frucht haben durchaus Tradition und können wahre Wunderwerke sein! Wissenswertes über eine spannende, vor allem belgische Bieridee.

Fruchtbiere und Sauerbiere sind im Grunde eng verwandt: Beide gibt es so nämlich eigentlich nicht wirklich.
Beide Begriffe sind schwammig und umstritten und irgendwie nicht schön, drücken aber andererseits schon irgendwie aus, was gemeint ist und deshalb sind sie halt auch nicht wegzukriegen.

Fruchtbiere also, das sind Biere mit Früchten. In der Regel mit Früchten vergorene Biere. Das Bier ist dabei schon sehr wichtig, den Flüssiges aus vergorenen Früchten allein wäre Wein, Fruchtwein. Hauptbestandteil ist also Bier. Egal welches (eigentlich). Plus Frucht. Egal welche (eigentlich).

Im Englischen spricht man von fruit fermented ales. Und das stimmt auch: Es sind in aller Regel Ales. Denn auch mit den ebenso schwammigen Wilden Bieren sind die Fruchtbiere irgendwie verbandelt: Auch hier ist oft ein bunter Batzen Alkohol und Aroma produzierender Kulturen am Werk, Hefen und diverse Bazillen. Und die bekommen eine Menge Zeit, zu wirken und zu wirken.

Definiere: Fruchtbier

Nach all dem also der Versuch einer Definition von Fruchtbieren: Fruchtbiere sind hochvergorene Biere, bei denen meist schon in der Hauptgärung, manchmal aber auch erst danach, Früchte beigegeben werden. Welche in welcher Form und wie viele ist dabei völlig offen. Sie bekommen dadurch eine fruchtige Note, deren Ausprägung von minimal bis total krass geht. Und in den meisten Fällen haben sie zudem eine säuerliche Note. (Wobei hier dann auch schon gleich wieder Ausnahmen gelistet werden müssten, Blaubeer-Pale-Ales, zum Beispiel.) Die Hopfenbittere spielt eine untergeordnete Rolle. (Der Hopfen selbst aber eigentlich wiederum nicht, da gibt es sehr wohl Besonderheiten zu beachten. Dazu später.) Ach, und wann und wo die Fruchtbiere ihren Ursprung haben, fangen wir gar nicht erst an, zu diskutieren. Früh und überall, das fasst es zusammen. (Es gibt Bierhistoriker, die schreiben, schon die Ägypter haben Dattelbiere gemacht, bei Wikingern und Germanen sind ständige sämtliche Beeren, Heidel-, Holunder, Moltebeeren, Schlehen, Sanddorn, ach kommt, Wurscht, alles halt) ins Bier gewandert.)

Fruchtbier

Eine Art hausgemachte Fruchtbiervariante, gesehen im Beereau, Berlin. (Foto: StP)

Das wohl berühmteste und gängigste aller Fruchtbiere ist das Lambic (einfach gefasst, ein spontan vergorenes Weizen mit beachtlichem Rohfruchtanteil, das ganz bewusst mit ein bis zwei Jahre altem und bereits oxidiertem Hopfen gewürzt wird, der nicht mehr so schlimm antibakteriell wirkt, um der wilden Kultur etwas anhaben zu könne, aber eben ein ganz eigenes Geschmacksprofil mitbringt. Die genauere Beschreibung des Lambic findet Ihr hier). Lambics gibt es freilich auch fruchtfrei, aber die gefruchteten Varianten sind recht berühmt, am berühmtesten die mit Kirschen, deshalb haben die sogar noch einen eigenen Namen bekommen: Kriek. Ein Kriek ist im Grunde nichts anderes als ein Fruchtlambic mit Kirschen. Das ist dann dunkelrot wie Kirschsaft und je nach Brauerei und Variante eher marzipanig-süß oder knacksauer.

Lambics zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie ewig brauchen. Das ist die Sache mit der Spontangärung des im verranzen, alten Kühlschiff ausgegossenen Jungbiers, das sich dort mit Lactobazillen und Pediococcus und Brettanomyces und was nicht auch alles infiziert und dann so gemächlich vor sich hin gärt. Und gärt. Und gärt.

Der Berliner Braumeister Seba Pfister von Straßenbräu in Friedrichshain hat sich unlängst an einer etwas schnelleren, sportlicheren Variante des Lambic versucht. Hat dann auch nur eineinhalb Jahre gegoren und gelagert. Aber schmeckt wie ein belgisches Lambic. Er nennt es ein „Domesticated Wild Ale“, weil es ohne die Kühlschiffnummer auskommt, ein wilder Mikroorganismen-Mix darin wütet, der geregelt beigegeben wurde. Und dann hat er genau das mit Früchten vergoren. Mit unterschiedlichen Früchten. Jeweils nur rund 20 Liter. Im Frühling 2019 ließ er dann vier Version zeitgleich aus dem Tank um die Fruchtbiere made in Friedrichshain zu vergleichen.

Welche Frucht kommt ins Fruchtbier?

Bei der Wahl der Früchte gibt es für den Braumeister eigentlich nur ein Kriterium: der persönliche Geschmack. Säure- oder Zuckergehalt waren für ihn eher nebensächlich. Er entschied sich also für Mirabellen (im Ergebnis sein Favorit), Aprikosen, Plattpfirsich (kommt am eindeutigsten daher, den Pfirsich erkennt jeder selbst mit Schnupfen) und Mispeln.

So vage wie vieles rund um das Thema Fruchtbier ist auch die Antwort auf die Frage, wann und wie die Früchte ins Bier kommen. Alles geht, theoretisch. Bedenken muss der Brauer halt, dass frisches Obst mit einer Schicht Risiko auf der Schale daherkommt. Da können immer ein paar wilde Hefen oder andere Mikroorganismen sitzen, die sich freuen, endlich auch mal in Bier machen zu dürfen. Wer das also vermeiden will, gibt die Früchte in den noch heißen Sud, zum Abkühlen dazu. Bei ohnehin Wilden Bieren werden die rohen Früchte oft zur Hauptgärung in den Gärtank gepackt. Oder, und das ist der straighte, belgische Weg, das Ganze passiert erst viel, viel später, wenn das fertige, lange, in Fässern gereifte Bier zu einer weiteren Gärrunde in einen Bottich Obst gepumpt wird.

So hat Seba Pfister es auch gemacht: „Das Sauerbier war schon eineinhalb Jahre alt. Dann haben wir es zwei Monate auf den Früchten gären lassen.“ Auf Früchten, die er zerschnitten, vakuumiert und eingefroren hatte, um bei allen Sorten gleichzeitig mit der Fruchtgärung starten zu können, also unabhängig von den Saisons der Früchte. „Und durch das Einfrieren gehen die Zellwände kaputt, wodurch sich später der Geschmack einfacher löst, das fand ich also noch zusätzlich vorteilhaft.“

Es gibt auch Brauer, die meinen, die Früchte sollten lediglich „angestoßen“, also leicht gematscht werden, ehe die Fruchtgärung startet. Und wieder andere setzen auf Mus. Fruchtpüree. Es ist also einmal wieder wie immer: alles möglich, nicht muss nur so, geht auch anders.

Roh oder nicht?

Wobei Mus freilich, manches Mus, noch einen anderen Vorteil hat: Das gibt es auch pasteurisiert. Keine Mikroben, keine unberechenbaren Aromen und so… –  „Ich habe festgestellt, dass sich durch das Pasteurisieren der Fruchtpürees auch der Geschmack etwas verändert. Deshalb habe ich mich für rohe Früchte entschieden – um den vollen, unveränderten Fruchtgeschmack zu haben.“ Bei dem wildvergorenen Sauerbier sei das ja auch kein so großes Problem. „Das sind ja schon genügend Sachen drin, die das Bier gegen andere Eindringlinge schützen. Die bereits im Bier vorhandenen Kulturen haben die Oberhand. Und wenn mit den Früchten frischer Zucker und ein paar zusätzliche Mikroorganismen hinein kommen, dann sind sie schneller darin, alles wegzufuttern, da haben die Neuen nicht viele Chancen“, so der Braumeister. „In ein IPA  aber würde ich keine frischen Früchte geben, das ist viel zu empfindlich.“ Das ist dann viel eher ein Fall für das pasteurisierte Püree, Fruchtmark – oder Saft.

Seba Pfister hat „zwischen 350 und 600 Gramm pro Liter“ Früchte verwendet. „Ich habe mich da an belgischen Bierrezepten orientiert.“ Die langen etwas mehr in die Vollen, andere Fruchtbiere kommen auch mit weniger aus  – es hängt vom gewünschten Ergebnis ebenso ab wie von der Obstsorte und dem Ausgangsbier. Und die Dauer? Same, same: „Ich habe alle zwei Wochen probiert und entschieden, wie lange das Bier auf den Früchten bleiben soll“, sagt Seba Pfister. „Es ist ein bisschen Geschmackssache: Am Anfang ist die Frucht sehr dominant und man hat auch noch die ganze Süße des Fruchtsaftes. Dann geht die Gärung wieder los und es ist ein bisschen ’stinkiger‘. Dann kommt die Punkt, an dem es tiptop ist, später fängt das Aroma an abzunehmen. Da geht die Frucht zurück und die Brett tritt wieder nach vorne.“ Dem Pfirsich würde er beim nächsten Mal nur einen Monat geben, der Mirabelle dafür sogar mehr als zwei.

Fruchtbier

Braumeister Seba Pfister (l.) und Gründer Timo Thoennißen vor ihrer Brauerei Straßenbräu in Friedrichshain, Berlin. (Foto: NAK)

Die Ergebnisse unterscheiden sich – absolut offensichtlich. Das fängt bei der Farbe und der Karbonisierung an, ist deutlich in der Nase und natürlich auf der Zunge. Und es sind nicht nur die einzelnen Früchte, die man als unterschiedliche Früchte wahrnimmt. Nach derselben Gärzeit scheint die Mispel etwa deutlich trockener als die Mirabelle. Wobei, so Seba, die Betonung wohl auf „scheint“ liegen muss: „Klar, die Unterschiede der vier Biere sind deutlich. Es ist aber die Frage, ob es einfach nur daran liegt, dass die eine Frucht mehr Zucker hatte und die Brett deshalb mehr gearbeitet hat, das Bier am Ende säuerlicher rauskommt. Ich denke eigentlich viel mehr, dass die Brett auf unterschiedliche Kontexte reagiert , Säuregehalt, pH-Wert – da passieren viele Dinge, die wir nicht wirklich kontrollieren können und einfach mal passieren lassen.“

Außerdem, so der Braumeister weiter: „Viele Biere sind technisch gesehen trocken, haben aber einen Süße-Effekt. Das kommt dann vom Alkohol oder einer Aromatik, die dem Gehirn Süße signalisiert. Ich bin also nicht sicher, ob das Bier mit Mirabelle wirklich süßer ist oder man es nur meint.“

Wie alle Biere leben auch Fruchtbiere im Glas weiter, der erste Schluck schmeckt anders als der letzte, wenn sie ein bisschen stehen, verändern sie sich, haben nach und nach unterschiedliche Aromen ihren großen Auftritt. „Wobei irgendwann halt immer der Punkt kommt, an dem du dein Bier einfach zu lange stehen lassen hast“, warnt Seba Pfister. Und trinkt seins lieber schnell mal aus.