Peter Esser hat vor gar nichts Angst. Furchtlos setzt er den Kölnern Alt vor und eröffnet im Rotlichtviertel einen Brewpub. Da herrscht Friede, Freude und so weiter – seit die Polizei in der Helios Braustelle ihren Stammtisch hat.
Wenn einer den Spitznamen „Crazy“ trägt, bedeutet das nichts Gutes. Peter Esser weiß das. Er stand „Crazy“ Aug und Aug gegenüber. Und es hätte ganz schön übel ausgehen können. Für Peter. Ist es aber zum Glück nicht.
Als Peter Esser die ziemlich heruntergekommene Eckkneipe in Köln-Ehrenfeld 2001 übernimmt, kann er sich noch nicht vorstellen auf welches Abenteuer er sich einlässt. Die Vormieterin hat ihn zwar gewarnt: Die Gegend sei ein berüchtigter Drogenumschlagplatz und einige zwielichtige Gestalten trieben sich hier herum. Aber was soll’s, er will ja nur in Ruhe ein bisschen Bier brauen.
Mit seinem Konzept eines reinen Brewpubs, stößt er im Kölner Kiez erstmal auf Widerstand. „Viele Stammgäste des Vorbesitzers haben sich beschwert, dass Sie bei mir keinen Schnaps bekommen. Ich hab das ganz bewusst gemacht, auch wenn ich wusste, dass das vielen nicht gefallen würde.“ Für Peter gibt es nur diesen Weg, er ist schließlich überzeugt von seinem Bier, was soll man auch irgendwelchen Fusel trinken, sein Bier schmeckt doch ohnehin viel besser.
„Crazy“ sieht das damals allerdings etwas anders. „Der Typ war Kampfsportler und ziemlich unberechenbar“, sagt Peter. An einem Tag taucht „Crazy“ plötzlich auf und will sein Korn-Cola trinken, so wie er es die Jahre zuvor immer getan hat. „Als ich ihm gesagt habe, dass er das bei mir nicht kriegt, wollte er mich zusammenschlagen“. Die beiden sind allein, Peter dem muskelbepackten Kampfsportler hoffnungslos unterlegen. Kurioserweise rettet ihn in dem Moment ausgerechnet eine Kneipen-Benimm-Regel. „Im ungeschriebenen Kneipengesetz steht, dass der Gast den Bereich hinter dem Tresen nicht betreten darf“, sagt Peter, und der aufgepumpte Knaller da vor ihm scheint sich warum auch immer daran zu halten. Pöbelnd zieht er ohne Korn und Cola schließlich ab. „Das war meine Rettung. Ich weiß nicht ob ich ansonsten überhaupt nochmal aufgestanden wäre“
Sondereinsatz Braustelle
Weil „Crazy“ es mit anderen, geschrieben Gesetzen nicht ganz so ernst nimmt, wird er ein Jahr später verhaftet. Bleiben aber noch genügend andere üble Typen, die weiter in der Helios Braustelle rumhängen und den normalen Biertrinkern ein bisschen die Lust verderben, sich da gemütlich rein zu setzen. Peter Esser meldet sich also schließlich auf der Wache, um das Problem mit Drogen und Schlägertypen in seiner Brauerei anzugehen. Die Lösung ist so simpel wie genial. „Die Ehrenfelder Polizei führte einfach einen Stammtisch bei mir ein – die regelmäßige Präsenz hielt die ungebetenen Gäste fern“, sagt Peter.
„Ein Alt, ich meine, ein Dunkles, bitte!“
Von da an geht es mit der Helios Braustelle nach oben, die Lokalpresse berichtet über den Brewpub, macht ihn über die Viertelgrenzen hinaus bekannt und bringt eine neue Klientel in den Laden. Aber als es gerade so richtig schön anfängt zu laufen – legt Peter sich mit der ganzen Stadt auf einmal an.
„Hängt ihn auf!“ Das sei die Reaktion gewesen, als er sein Ehrenfelder Alt das erste Mal den Gästen vorgesetzt habe, sagt Peter. Hohe Wellen geschlagen hat das Bier, sehr hohe. Ein Affront gegen die kölsche Kultur, Identität, ja den Stolz der Stadt sei das gewesen. Der Kölner Express weigert sich gar, etwas über das Kölner Alt zu schreiben. Manch einer benutzt das Wort „Blasphemie“. Dabei geht es Peter mal wieder nur um das Bier. Dass er aus Düsseldorf stammt, spielt hierbei eine untergeordnete Rolle, auch wenn er selbst gern selbstgebrautes Alt trinken möchte. „Das Ehrenfelder Alt ist unser Produkt“, sagt Peter. Er ist überzeugt von dem Bierstil, der sich mit seinem kräftigeren, malzigen Körper und der dunklen Farbe deutlich vom süffigeren Kölsch abhebt.
Und dann? Irgendwie legten sich die Wogen. Denn was sollten die Kölner auch machen: Dieses Bier – es schmeckte einfach verdammt gut. „Die meisten Gästen vermieden zwar das Wort Alt und bestellen ein Dunkles, das Bier hat sich aber etabliert“. Eine indirekte Bestätigung für Peter, dessen Mut sich ein weiteres Mal auszahlt .
Offenheit zählt in der Helios Braustelle
Für Peter Esser war das Kölsche Alt auch ein Test. Wie aufgeschlossen können Kölner sein, sind sie bereit für unkonventionelle Biere, wie steht es um ihre Offenheit? Offenheit ist ein großes Thema in der Braustelle. Schankraum und Brauanlage gehen fließend ineinander über. An Brautagen sind die Gäste mittendrin und Peter lässt Neugierige teilhaben an seinem ganzheitlichen Ansatz. Neben dem Bier macht er hier mit seinen Mitarbeitern nämlich auch die Nudeln und Knödel selbst. Zudem nutzt Peter den Treber um Brezeln oder Fladenbrot aus Malztreberteig zu backen. Braue Gutes und erklär wie es geht. Nach dem Motto können Interessierte ihm über die Schulter schauen. Ganz spontan an Brautagen oder selber Brauen bei einem der regelmäßigen Braukurse, die bereits Monate im Voraus ausgebucht sind.
Offenheit aber auch gegenüber neuen Bierstilen und Zutaten sind in der Helios Braustelle gefragt. Sein Muddy Waters IPA hat sich längst am Zapfhahn festgesetzt. Das läuft immer. Ist quasi sein Craft-Beer-Aushängeschild. Ohne so genannt zu werden. „Craft ist mir zu schwammig. Nur weil ein Norddeutscher Brauereikonzern sagt: ‚Wir machen ein Pale Ale‘, ist das noch kein Craft Beer. Und wenn doch, dann gibt es in der Braustelle kein Craft Beer.“ Ihm wird der Begriff zu inflationär verwendet. Interesse für alternatives, handwerklich gebrautes Bier hatten die Leute laut Peter von Beginn an, auch ohne Craft Beer-Welle.
Seit Jahren hat er ein „Bier des Monats“ – da freuen sich die Leute immer wieder auf was Neues. Neben dem hopfengestopften Imperial Stout „Black Empire“ landet so auch ein mit Honig gebrauter IPA-Weizenbier-Verschnitt, „Honey Boo Boo“, in den Gläsern der experimentierfreudigen Gäste. Wobei Peter viele seiner Gäste schon zu den Experten zählt. „Die Leute wissen handwerklich gebrautes Bier nicht nur immer mehr zu schätzen, sondern sie wissen auch ganz genau was sie trinken“
Der Initiator der vielleicht ältesten Craft-Beer-Events Deutschland, dem Festival der Bierkulturen im Ehrenfelder Bürgerzentrum, ist ohnehin der Meinung, dass es bei Craft Beer nicht immer um das noch verrücktere Bier gehen sollte. „Für ein Pils ist die echte Alternative einfach ein besseres Pils“, sagt er. Dem lässt sich wohl nichts weiter hinzufügen. Man muss gar nicht mal furchtlos sein um auf die Idee zu kommen. Ein wenig Mut tut es auch.