Bierbewertungen nach einem Punktesystem gibt es im deutschsprachigen Raum vielfach und seit einigen Jahren, etwa bei den Bier Trophies aus Frankfurt oder vom Falstaff. Diesen Herbst wird auch der Meininger Verlag einen Bewerb mit diesem Bewertungsschema versuchen und setzt dabei auf die Dienstleistung von Doemens. Die „Finest Beer Selection“ soll als Ersatz für den gescheiterten Craft Bier Award dienen und wird ebenso, wie sehr viele andere Getränkebewertungen, nach einem Hundert-Punkte-Schema urteilen.
Ein überraschender Move, denn schon seit Jahren hört man in der Branche, dass Punktebewertungen immer prekärer werden. Vor allem seitdem diverse Portale den „Schwarm“ eingetragene Produkte, Lokale, etc. bewerten lassen, gilt alles, was unter 95 % liegt, für die meisten User:innen bereits als „schwach“. Alles, was unter 90 % (oder 90 Punkten bei einem Hunderter-Schema) liegt, gilt für viele als indiskutabel, weil zu minderwertig.
Teufel und Weihwasser
Seien wir ehrlich: Sobald wir in Google Maps oder auf Tripadvisor auf einen Betrieb stoßen, der mit „nur“ 4,2 von 5 möglichen Punkten bewertet wurde, fragen wir uns, was denn dort so schrecklich schief gelaufen ist – und suchen nach einem Angebot mit besserer „Bewertung“. Der Schwarm hat kein Augenmaß nach dem etwa ein sehr gutes Wirtshaus 3 Sterne bekäme, das Spitzenrestaurant 4,5 – denn 5 sollte eigentlich kaum zu erreichen sein. Nein, man vergibt nur dann weniger als 5 Sterne, wenn man wirklich verärgert wurde (dann vielleicht sogar nur einen – patsch!). Ein Hotel, das mit weniger als 8 Punkten auf booking steht, meiden wir, wie der Teufel das Weihwasser.
Solche Beurteilungs- beziehungsweise Verhaltensweisen sind bei den Verbraucher:innen inzwischen in Fleisch und Blut übergegangen. Kein Wunder, dass Bierfreund:innen einer Brauware, die mit weniger als 95 Punkten bewertet wurde, höchst skeptisch gegenüber stehen.
Bier auf Wein – lass das sein!
Hier stimmt der Spruch, lustigerweise. Denn was beim Wein (auch nicht mehr so gut wie ehedem, aber immer noch halbwegs passabel) funktioniert, muss beim Bier noch lange nicht greifen. Das liegt an den Preisunterschieden, die beim Wein ganz allgemein wesentlich deutlicher ausfallen als beim Bier (sehr hochpreisige Biere, wie etwa ein holzfassgereiftes Bier der Camba Bavaria oder ein kräftiger Schorschbock sind extrem selten und bedürfen keiner „Bewertung“, um ausverkauft zu sein). Beim Wein ist das anders: Wenn zum Beispiel das Spitzengewächs eines Gutes 45,- Euro pro Bouteille ab Hof kostet und der einfache Landwein aus demselben Keller 9,- Euro pro Liter, dann sind 85 Punkte für den letztgenannten eine Empfehlung: „strong buy“. Der Spitzenwein dürfte allerdings nicht viel schlechter als mit 93 Punkten bedacht werden, will man die Bewertung für ihn ebenfalls als Kaufempfehlung sehen.
Kann ein Helles überhaupt 93 Punkte erreichen?
Insofern erscheint es uns als absurd, ein wunderbar alltagstaugliches und schon alleine deswegen einfach gehaltenes Helles mit, sagen wir, 93 Punkten zu bewerten. Was will man dann einem rundum gelungenen Imperial Stout geben, dessen einjährige Nachreifung im Whiskeyfass ebenfalls geglückt ist? 97, 98, 99 Punkte? Der Unterschied ist doch eklatant und nicht in einem so kleinen Bereich zu bemessen! Kategorie-Bewertung hin oder her.
Beim European Beer Star hat man schon vor Jahren über eine Punktebewertung der beurteilten Biere (zusätzlich zu den Medaillen) nachgedacht, dies aber aus nachvollziehbaren Gründen wieder verworfen. Das wichtigste Argument dafür war, dass es für die Vermarktung eher kontraproduktiv wäre, würden einem Bier zum Beispiel 83 (oder gar „nur“ 79) Punkte zugesprochen. Ein solcher Wert würde Konsument:innen eher abschrecken, denn verkaufsfördernd wirken.
Vetorecht gegen die Veröffentlichung der Punktezahl?
Deshalb sind wir gespannt, ob den Beurteilten beim jüngsten Award, den Meininger bei Doemens ausrichten möchte, ein Vetorecht in Bezug auf die Veröffentlichung der erreichten Punkte eingeräumt wird. Überlegen wir uns einmal das folgende Szenario: Ein Kasten eingereichter Biere steht irrtümlich ein paar Stunden in der Sonne, das Bier leidet darunter und wird dementsprechend schwach bewertet, sagen wir mit 83 Punkten (obwohl es in seiner Bestform 95 Punkte einfahren würde). Hat dann die Brauerei das Recht, den Organisatoren die Veröffentlichung der Punktezahl zu untersagen? Oder muss die verheerende Öffentlichkeitswirkung eines solchen kleinen Unfalls inkaufgenommen werden? Weil womöglich der Mitbewerber vergleichend wirbt und voller Häme die schwache Punktezahl des Marktbegleiters präsentiert?
100 Biersepp-Punkte: 2012 verworfen.
Als Redakteur des Fachmagazins wein.pur haben ich an zahllosen Blindverkostungen teilgenommen. Wir hatten damals ein „5-Gläser-Schema“. Wenn dabei ein einfacher Gutswein mit drei Gläsern bewertet wurde konnte es schon sein, dass mich ein indignierter Winzer angerufen und sich über die „schlechte“ Bewertung beschwert hat. Trug ich derlei meinem Chefredakteur vor, zeigte sich derselbe amüsiert: „Was will er, drei Gläser sind doch eine hervorragende Bewertung!?“ Ich konnte dem wohl zustimmen, wusste allerdings auch, dass 3 von 5 „Gläsern“ nicht unbedingt verkaufsfördernd wirkten. Angesichts dieser Erfahrungen habe ich – zum Wohle der Brauer:innen – meinen 2012 gefassten Plan, Biere nach einem „Hundert-Biersepp-Punkte-Schema“ zu bewerten, gleich wieder verworfen.
(29. August 2023)