BIERPREISE: Das muss die Brauerei verdienen!

Thomas ReddersBierwissen

Wir haben uns zwei einfache Fragen gestellt: Was muss Bier kosten? Was darf Bier kosten? Die Idee war es, eine Faustformel aufzustellen, um grob überschlagen zu können, ob ein Bierpreis – obwohl er manchmal etwas höher sein kann – fair ist. Bei der Recherche haben wir schnell festgestellt, dass es so einfach nicht wird. Was ist überteuert? Was ist fair? Wird in der eigenen Brauerei gebraut oder als Lohnbrauer? Wie hoch sind die Rohstoffkosten? Wo steht die Brauerei, sowohl geographisch als auch unternehmerisch? Die Liste mit Fragen ist beinahe endlos. Jetzt gibt es aber vielleicht doch einen Weg, die Entstehung von Bierpreisen zu verstehen. Beginnen wollen wir mit dem Preis, den die Brauereien an Händler und Zwischenhändler weitergeben. Dafür haben wir uns mit Johannes Heidenpeter (Heidenpeters), Joachim Amrhein (Brauerei Flüggeund der Presseabteilung der Oettinger Brauerei unterhalten. 

Die Kosten

Die Schwierigkeit, eine einheitliche Kostenformel für Brauereien zu finden, liegt darin, dass die Vielfalt an Konzepten es nahezu unmöglich macht. Die Größe variiert extrem. Die Stückkosten sind andere. Rohstoff ist nicht gleich Rohstoff. Pils ist nicht gleich IPA. Berlin ist nicht gleich Bayern.

Die größten Brauereien in Deutschland haben einen jährlichen Bierausstoß von mehreren Millionen Hektolitern, gleichzeitig produzierten über die Hälfte aller Brauereien jeweils unter 1000 Hektoliter (Deutscher Brauer-Bund, 2018). Trotzdem kann man die Grundvariabeln vereinheitlichen:

  • Personal
  • Rohstoffe und Verpackungen
  • Miete/Kauf einer Braustätte und eines Lagers
  • Energie: Strom, Wasser, Gas etc.
  • Brauanlage und Instandhaltung
  • Versicherungen
  • Marketing: Website, Social Media etc.
  • Logistik
  • Sonstiges: Notar, CO2, Reinigungsmittel, Büroeinrichtung, Kredite, Lizenzen, DPG-Abgaben, Steuern etc.

Wie unterschiedlich die Produktionskosten trotz gleicher Variablen sind, zeigen unsere Interviewpartner.

Die Big-Player

In Deutschland gibt es aktuell rund 1500 Brauereien. Allein die 26 größten haben für knapp 60 % der Gesamtbiererzeugung gesorgt, während die 1000 kleinsten noch nicht einmal einen Prozent ausmachten (Deutscher Brauer-Bund, 2018). Da ist es nicht schwer zu verstehen, dass die Kosten kaum vergleichbar sind. Innerhalb der Gruppen sieht das aber ein wenig anders aus.

Die Oettinger Brauerei ist mit einem jährlichen Bierausstoß von rund 8,5 Millionen Hektolitern (Statista, 2018) und etwa 1000 Mitarbeitern eine der größten Brauereien in Deutschland. Eine 0,5l-Flasche Oettinger Pils gibt es nicht selten für 29 Cent. Aufgrund der niedrigen Preise ist das Bier oft als Billigplörre verschrien. Aber warum kostet derselbe Bierstil anderer, in der Größe vergleichbarer Brauereien teilweise dreimal so viel? Was macht Oettinger anders?

Bierpreise Oettinger

Bei solchen Bildern bekommt der Begriff Skaleneffekt eine ganz neue Bedeutung. (Foto: Oettinger Brauerei)

Prinzipiell versuchen natürlich alle Brauereien wirtschaftlich zu handeln. Dennoch werden unterschiedliche Ansätze gewählt. So wollen große Brauereien in der Regel entweder das „Premiumprodukt“ anbieten, oder sie spielen ganz bewusst mit dem Image des günstigen Bieres für alle. Die Preisunterschiede sind dabei oft immens.

Die Presseabteilung der Oettinger Brauerei beschreibt ihre Preisstrategie so: „Unsere Biere, Biermixe und Erfrischungsgetränke müssen so viel kosten, dass unsere Familienbrauerei mit all ihren Ausgaben und Investitionen nachhaltig wirtschaften und den kommenden Generationen ein gesundes Unternehmen übergeben kann.“ Das trifft wahrscheinlich auf alle Brauereien zu, zumindest wollen alle so wirtschaften. Wo aber spart eine Brauerei wie Oettinger gegenüber vergleichbaren Konkurrenten?

Es gibt vier wesentliche Punkte. Erstens: beim Marketing. Während andere Brauereien viel Geld für teure (oft Fernseh-) Werbung ausgeben, spart die Oettinger Brauerei hier nach eigenen Angaben bis zu 3€ pro Kiste. Zweitens: bei der Logistik. Die Brauerei verfügt über rund 140 LKW und direkt bei der Brauerei beschäftigte LKW-Fahrer. Die liefern das Bier direkt in die Supermärkte und in den Getränkehandel. Die Kosten für Transportunternehmen und der Aufschlag der Zwischenhändler fällt weg. Drittens: Die Oettinger Brauerei verzichtet auf das Restaurant- und Gaststättengeschäft. Teures Sponsoring oder zusätzliches Personal (Betreuung der Gastrokunden, Pflege der Schankanlagen, etc.) entfallen. Viertens: hohe Auslastung. Neben den eigenen Bieren produziert die Oettinger Brauerei auch für Fremdmarken.

Anders als oft angenommen, sind die Rohstoffe dieselben, wie bei den meisten anderen Großbrauereien: „Wir nutzen keine anderen Rohstoffe. Im Gegensatz zu manchen Craft-Beer-Brauern brauen wir jedoch mit Hopfenextrakt und nicht mit Hopfendolden.“ Verglichen mit kleineren Brauereien, hat ein derart großer Ausstoß aber selbstverständlich noch ganz andere Kostenvorteile: „Es ist natürlich richtig, dass wir durch unsere Produktionsmaßstäbe Skaleneffekte und damit Kostenvorteile erzielen können.“

Klein und handgemacht

Die Kostenstruktur kleiner Brauereien ist eine ganz andere. Im Handel müssen sie aber trotzdem bestehen. Während von den meisten Großbrauereien im Prinzip dieselben Bierstile auf ähnliche Weise produziert werden, ist die Diversität bei kleinen viel größer. Vergleicht man das Pils zweier Großbrauereien, sind die Unterschiede in jedem Fall überschaubarer, als wenn man das Pils zweier kleinerer vergleicht. Bei anderen Bierstilen sind die Unterschiede oft noch größer. Rohstoffart, Rohstoffmenge, Herstellungsprozess und Lagerzeit können extrem abweichen. Auch die Braustätte kostet in der Stadt oft mehr als auf dem Land. Die Sprünge in der Größe und damit die Skalierung sind wesentliche Unterschiede. Und: Craft-Beer-Brauereien sind oft nicht die wirtschaftlich durchgetakteten Bierproduzenten.

Vieles ist intuitiver und vor allem idealistischer. So erzählt Johannes Heidenpeter, Gründer der Brauerei Heidenpeters: „Der Bierpreis hat sich bei uns von Anfang an über ein Bauchgefühl von mir und die Rückwärtsrechnung definiert. Das heißt, dass wir geschaut haben, dass unser Bier so und so viel im Einkauf kosten soll, damit der Bierpreis dann am Ende nach Aufschlägen vom Zwischenhändler und dem Handel an einer bestimmten Stelle landet. Außerdem haben wir versucht, eine Mischung aus dem Endpreis, den wir uns vorstellen, und den aktuellen Produktionskosten zu finden.“ Daraus resultierten zwei Preiskategorien: 1,20€ für das Standard-Portfolio, 1,50€ für Spezialitäten. Angeboten werden die Biere dann in Bierläden für etwa 2,50€ bis 3€.

Bierpreise Heidenpeters

Viel Auswahl, unterschiedlichste Preise! (Foto: TR)

Damit zählen die Biere aus der Markthalle 9 zu den günstigeren im Craft-Beer-Regal. Und da liegt der Haken. Denn der Ansatz setzt voraus, dass die Produktion reibungslos läuft. Für Heidenperters bedeutet das: „Wir merken selber, wie schwierig es ist, in unserer Größe kostendeckend gut klar zu kommen. Allerdings sehe ich das immer so, dass der Konsument eigentlich nichts dafür kann, dass wir so eine kleine, handwerkliche Brauerei sind und nicht optimal genug arbeiten.“

Ziel ist es dabei aber – anders als beispielsweise bei Oettinger – nicht per se, das Bier möglichst günstig zu verkaufen. Dennoch soll es „ja keine absolute Exklusiv-Veranstaltung werden“, so Johannes Heidenpeter. „Um mich mit der Brauerei gut zu fühlen, will ich ein gutes und ehrliches Produkt zu einem ehrlichen Preis anbieten und mich nicht in irgendeiner Craft Beer Blase befinden.“ Weiter sagt er: „Ich finde es wichtig, keinen Ramsch zu machen – das können wir als kleine Brauerei sowieso nicht – aber zu überteuert rangehen, sodass unser Bier nachher im Späti 4€ kostet, kann’s ja auch nicht sein.“

Die Spezialitätenbrauerei

Ein ganz anderes Konzept fährt die Brauerei Flügge aus Frankfurt. Dominik Pietsch und Joachim Amrhein – die beiden Gründer der Brauerei Flügge – brauen Spezialitätenbiere. Spezialitätenbiere, die völlig von der „Norm“ abweichen. Fruit-Sours, „alte Bauernhefen“ (Kveik), kein Reinheitsgebot, Bier-Wein-Hybride (oder etwas schöner: Grape Ales), alles handwerklich und natürlich.

Bierpreise Flügge

Flügge steht für Vielfalt und Spezialitätenbiere. Das hat seinen Preis! (Foto: Robert Alexandru Szep)

Für derartige Biere eine allgemeine Preisformel zu finden ist unmöglich. Trotzdem gibt es einen ganz „nüchternen“ Weg, den die Brauerei Flügge einschlägt. „Bei uns herrschen die Gesetze der Betriebswirtschaft. Das heißt vereinfacht: Du hast einen Gemeinkostenblock, du hast einen Rohstoffeinsatz und dann nimmst du entweder eine Divisionskalkulation, eine Mischkalkulation oder einen anderen Kalkulationsansatz. Am Ende hast du ein Ergebnis – das muss das Bier mindestens erwirtschaften, damit ich meine Kosten gedeckt bekomme“, erklärt Joachim, der bei Flügge unter anderem für Finanzen und Controlling zuständig ist.

Nun sollte sich aber natürlich auch ein gewisses unternehmerisches Risiko bezahlt machen. Man könnte davon ausgehen, dass bei einem Bier wie dem Otho Blanc 2019 Grape Ale, dass 8,90€ im Flügge-Online-Shop kostet, eine gewisse Marge aufgeschlagen wurde. Das ist aber gerade in diesem Preissegment nicht so einfach. Bei Flügge gibt es diesen Aufschlag in der Form nicht. „Wir wissen natürlich, dass wir preislich relativ weit oben angesiedelt sind. In der Situation, in der wir – insbesondere in der Gründungsphase – sind, gibt es nur eine Formel: Kostendeckend arbeiten. Wir haben keinen Spielraum, um unternehmerischen Puffer einzubauen.“ Dennoch versucht natürlich auch die Brauerei Flügge diesen Puffer irgendwann zu erwirtschaften. Und der Weg dahin ist für Joachim klar: „Der Schlüssel ist der Ausstoß.“ Über die Menge – die natürlich in Relation zur Brauereigröße gesehen werden muss – kommt der Gewinn.

Der höhere Preis entsteht neben der Vielfalt im Sortiment, höherem Rohstoffeinsatz und mehr Zeitaufwand – sowohl in der Planung und Produktion als auch bei der Lagerung – in erster Linie durch den geringen Ausstoß. Am Beispiel der Bier Wein-Hybride wird der Aufwand besonders deutlich. Die Planung wird mit dem Winzer koordiniert. Der Wein und die Trauben müssen entweder geliefert, oder im Falle des Otho Blanc 2019 selbst im Weinberg geerntet werden, die Lagerzeit liegt bei rund 4,5 Monaten, der Ausstoß, mit rund 40 Kisten, ist gering.

Grundsätzlich fasst Joachim auch mit Blick auf Biere anderer Brauereien zusammen, dass „ein Bier genau so viel kosten darf, wie es wert ist“, und, „dass es sich Brauereien mittel- bis langfristig nicht leisten können, irgendwelche Mondpreise aufzurufen.“ Diesen Wert des Bieres bestimmt nur der Kunde. „Wenn der bereit dafür ist, 20€ für ein Bier zu zahlen, dann ist es das Bier wert.“

Was muss ein Bier kosten?

Die Antwort ist dann doch ganz einfach und eint alle Brauereien. Nämlich genau so viel, dass die Brauerei ihre kosten decken kann, ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bezahlen kann und im besten Fall für die Zukunft ein paar Rücklagen aufbauen kann. Wo der Preis genau liegt, das ist völlig individuell und von all den genannten Faktoren abhängig.

Was darf ein Bier kosten?

Natürlich entscheidet der persönliche Geschmack. „Für ein Bier, das mir gefällt, zahle ich gerne mehr. Was mir an diesem Bier gefällt, ist meine eigene, subjektive Sache.“ Das können natürlich Qualität und Geschmack sein. Oder der Preis. Aber das kann und darf auch das Image und die Werbung sein.

Gerade im Bereich der handwerklichen Brauereien birgt aber schlechte Qualität (oft ohne Mitdenken irgendwo lohngebraut), gepaart mit gutem Marketing und einem daraus folgenden, höheren Preis, ein großes Risiko. Startet ein Biertrinker, oder eine Biertrinkerin, mit einem solchen Trunk in die Welt der handwerklich gebrauten Biere, kann das schnell dazu führen, dass das ein einmaliger Ausflug war. Das Nachsehen haben alle anderen kleine, handwerklichen Brauereien, denen damit unverschuldet Kundschaft entgeht. Ronald Mengerink von der belgischen Brauerei De Dochter van de Korenaar fordert alle seine „Kollegen“ deshalb passend dazu auf: „Stop the pollution of the beer market and make your own beers flourish, instead of the marketed product of some shrewd businessmen.“