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CRAFT BEER MARKT: Craft Beer ist für alle da!

Jan-Peter Wulf

Oder sollte es zumindest sein, findet der Journalist und Gastroblogger Jan-Peter Wulf und wünscht sich deshalb, gutes Craft Beer irgendwann an jeder Ecke zu bekommen. Noch aber ist das Thema Verfügbarkeit ein Problem im Craft Beer Business

Craft Beer Festival Berlin

So viele Menschen. Alle wollen Craft Beer. (Craft Beer Festival 2014 in Berlin, Foto: StP)

 

„Fuck tradition, give me flavour.“

„Das amerikanische Craft Beer schmeckt besser als deutsches Bier.“

Dass sich Dradio-Wissen-Kolumnist Jim Kavanaugh mit seiner kürzlich gesendeten, humorvoll-pöbelnden Polemik  gegen das geschmacksbeschränkende Reinheitsgebot keine Freunde unter den Hörern machen würde, dessen war er sich wohl bewusst. Schließlich beginnt er mit dem Satz: „Liebe Deutsche, gleich werdet ihr mich hassen.“ Die Reaktionen auf den Facebook-Post zum Radiobeitrag folgten sogleich: Sollen die Amis ihre genetisch veränderte, dünne Plörre doch selber saufen, kann man da lesen. Am besten schmecke sie zu Chlorhähnchen und dergleichen mehr. Reflexartige Reaktionen auf das, was man hierzulande mit US-Bier verbindet: fade schmeckendes Einheitsgebräu aus der Großindustrie. Dabei ging es Kavanaugh doch ums Craft Beer, also die verflüssigte Gegenbewegung. Dass viele Kommentatoren das nicht erkannt haben, dürfte auch daran liegen, dass immer noch viel zu wenige Menschen wissen, was Craft Beer eigentlich ist. Was den geschmacklichen Unterschied zu Standard-Bier ausmacht, und viel weniger noch, dass es in Deutschland – der liebe Herr Kavanaugh wird es wissen – sehr wohl schon sehr schöne Produkte dieser Kategorie gibt. Ironischerweise stellt das Aufmacherbild des Online-Artikels zum Radiobeitrag die Gläser eines bekannten Hamburger Craft-Beer-Brauers dar. Und die meisten hiesigen Erzeugnisse zeigen gar, was innerhalb des fast 500 Jahre alten Gebots geschmacklich möglich ist.

Und, wo kann ich es trinken?

Craft Beer in Deutschland: Bei diesem Thema ist noch viel Aufklärungsarbeit nötig. Die allerdings kann nicht alleine medial erfolgen. Es ist freilich schön, dass immer mehr Zeitungen, Zeitschriften und Online-Magazine wie dieses über handwerklich erzeugte oder, sagen wir, „besonders schmeckende Biere“ schreiben – sowie über die Menschen, die sich diese ganze Arbeit aus Leidenschaft zum Produkt aufhalsen. Aber viel wichtiger ist doch: Probieren muss man das Zeug können! Angenommen, ein Leser des Bahnmagazins stößt auf einen Artikel über diese uns so am Herzen liegenden Biere. Jemand, der nichts, aber auch gar nichts mit dieser Szene zu tun hat (soll es geben!), aber dem das Wasser beim Lesen über fruchtige Aromen, würzige Noten und wiederentdeckte Stile schon im Munde zusammenläuft. Was fragt er sich wohl? Na klar: „Wo kann ich das trinken?“

Craft Beer Festival Berlin

Die Gelegenheit ist selten: 50 verschiedene Craft Beers auf einem Haufen. (Foto: StP)

 

Bier im Internet bestellen?

Tja, das ist der Haken an der Sache. Im Zweifelsfall bleibt seine Kehle trocken. Natürlich könnte er sich im Netz einen Schwung bestellen, direkt beim Hersteller oder in einem anderen Onlineshop. Aber sich Bier im Internet zu bestellen, das ist im Gegensatz zu Schuhen, Arzneimitteln oder auch Wein nicht gerade selbstverständlich. Schon naheliegender ist der gute alte Getränkeabholmarkt. Dort wird man ihm derzeit in Sachen Craft Beer noch selten weiterhelfen können. Und in der Gastronomie, zumal außerhalb der hippen Viertel der großen Metropolen, sieht es aktuell nicht besser aus. Um Craft Beer in sein Glas zu bekommen, muss man es wirklich wollen und man muss einiges dafür tun. Kann man das vom Konsumenten bei einem ubiquitären Produkt wie Bier ernsthaft erwarten?

Das Craft Beer Business muss raus aus der Nische!

Vertriebler benutzen gerne Floskeln wie „die PS auf die Straße bringen“. Genau das muss mit Craft Beer jetzt endlich passieren: Raus aus der Nische, guter Geschmack ist für alle da! Natürlich ist das schwierig, Barrieren gibt es zuhauf. Wie komplex und hart das Thema Handel ist, muss ich hier  nicht weiter ausführen. Aber Gastronomien, die sich selbst ihr Craft Beer besorgen (neulich erzählte mir ein Betreiber mit leuchtenden Augen, dass er jetzt das Bier des hippen Brauers XY verkaufen dürfe) oder spezialisierte neue Shops wie „Getränkefeinkost“ in Berlin oder die „Bierfreunde“ in Leipzig, die mit ihren Konzepten ein bieriges Pendant zur Weinhandlung darstellen, werden wohl die Ausnahmen bleiben. Plus: Die großen Brauer schlafen nicht mehr. Viele der Dickschiffe tummeln sich bereits im Segment der „besonderen Biere“ oder arbeiten mit Hochdruck daran. Sie werden mit ihren „craftig“ anmutenden Line Extendern schnell die Gastronomie und den Handel erreichen und erschließen. Und ob groß oder klein – ist das beim Bier überhaupt eine Denkkategorie für den Konsumenten? Wird es ihm tatsächlich wirklich wichtig sein, dass sein Pale Ale von Hand im Wedding abgefüllt wurde und nicht aus einer Großbrauerei im Sauerland, der Eifel oder sonstwo kommt? Ich glaube: Manchmal bestimmt. In der Regel nicht. Es muss „nur“ schmecken. Marks & Spencer verkauft in seinen Supermärkten diverse IPAs unter eigener Marke – undenkbar bei Rewe, Edeka und Co.

marketing Brewdog

Eben. Craft Beer für alle! (Foto:NAK)

 

Der Konsument verdient gutes Bier

Deswegen: Um die große Zielgruppe der Nicht-Craft-Beer-Trinker, ja sogar Nicht-Bier-Trinker zu erreichen, müssen die Produkte den Menschen schmackhaft gemacht werden. Sie müssen sie endlich probieren, erleben, genießen, austrinken und gleich nochmal bestellen können. Wie wäre es mit einem Verbund nach Vorbild der „Freien Brauer“, einer Interessenvertretung, einer Vertriebsgemeinschaft, die Mengen zusammenführen und sicherstellen kann? Warum keine Kooperationen oder Verträge mit GFGH-Verbänden eingehen? Die sind heute nicht mehr nur Logistiker, sondern auch „Innovations-Dienstleister“ für die Betriebe in ihrer Belieferung und könnten ihnen mit Craft Beer tolle Alleinstellungsmerkmale bieten. Nur wenn die Kleinen sich zusammentun, werden sie dieses große Spiel mitspielen können. Sicher wird es Kleinbrauer geben, die sagen: „Ich brauche den großen Markt doch gar nicht.“ Okay. Aber der Konsument, er verdient mehr Erlebbar- und Verfügbarkeit jener wunderbaren Produkte in ihrer Gesamtheit, die seit einigen Jahren zeigen, wie facettenreich das Ganze schmecken kann. Dann hätte es Jim Kavanaugh mit seiner Polemik gegen hiesiges Bier nicht so leicht.