Frei nach dem Motto „Wein auf Bier, das rate ich dir“ haben die drei Kindheitsfreunde Niklas Jakobson, Tomas Hallgren und Niklas Lenkel 2012 im Stockholmer Stadtteil Södermalm die Stockholm Brewing Co. gegründet – die erste rundum Bio-Brauerei Schwedens. Sie machen alles, vom Lager bis zum völlig abgefahrenen Bier, also jede Menge crazy shit – halten sich dabei aber immer daran, dass Trinkbarkeit die oberste Maxime ist.
Niklas Jakobson ist eigentlich Weinimporteur, spezialisiert auf Naturweine. Also viel biologisch. Das ist in Skandinavien, viel länger und viel stärker als in Deutschland, eine richtig große Sache. Bier und bio hingegen war es bis vor einigen Jahren erstaunlicherweise noch nicht. Bis Niklas Jakobson und seine zwei Freunde Stockholm Brewing gründeten.
Gebraut wird hier, was Spaß macht. Also eigentlich alles. Einziges Maß ist im Grunde die „drinkability“, ein Muss für Stockholm Brewings Biere. Und so machen sie aus biologischen und konsequenterweise auch lokalen und nach Möglichkeit saisonalen Zutaten Lagerbiere, Saisons, fassgelagerte, gemischt fermentierte Biere mit Trauben, Beeren und Gewürzen. Viele Sude sind One-Offs, die gibt es einmal und nie wieder (das Prinzip Cloudwater).
Sie starteten mit einer Location im superhippen Södermalm – in einer alten Papiersackfabrik in der Grev Turegatan. Nach knapp sechs Jahren wurde die alte Wirkungsstätte schließlich zu klein. Seit September 2018 läuft die neue Brauerei in Stockholms Osten, in Frihamnen. Diesmal mit eigenem Restaurant und Taproom mit 20 Zapfhähnen: die FARM.
Schnell mischten die Schweden auch international mit. Was da ja immer hilft: Kollaborationen. Davon haben sie einige gemacht. Mit De la Senne, Cascade, Other Half oder New Belgium – um nur ein paar zu nennen. Demnächst kommt dann die erste Kollaboration mit Heidenpeters aus Berlin. Die Idee entstand kurz vor der diesjährigen „Wurst & Bier“ in der Markthalle 9 in Kreuzberg. Stockholm Brewings Braumeister Michel Ahlin Wigardt und Brauer Albin Larsson haben mit Johannes Heidenpeter einen Maibock mit grünen Pfefferkörnern gebraut.
Wir haben uns während des Besuchs der Schweden in der Hauptstadt mit Olly Bartlett getroffen, der den Vertrieb bei Stockholm Brewing und der Schwesterfirma WINE TRADE leitet, und mit ihm über schwedisches Recht und Bier-Wein-Hybride gesprochen.
Olly, wie war euer Brautag bei Heidenpeters? Was habt ihr gebraut?
Es war die Hölle! Johannes ist ein Arsch, Andrew ist Kanadier, also wieso fragst du? (lacht) Nein, im Ernst, es war großartig. Heidenpeters hat uns per Mail kontaktiert. Eigentlich hat Johannes nur gesagt: „Wir hatten euer Bier noch nie hier, euer Instagram Account sieht gut aus. Wollt ihr nicht zu meiner ’sausage party‘ kommen?“ (lacht) Also er hat’s nicht genauso gesagt, aber fast! Er ist einfach ein super netter Typ, darum sind wir wirklich froh hier zu sein.
Und als wir uns entschieden haben herzukommen, wollten wir unbedingt mit Johannes brauen. Michel, unser Braumeister, und Johannes haben dann das Rezept besprochen. Es wird ein Maibock mit grünen Pfefferkörnern – ganz klassisch!
Heidenpeters und Stockholm Brewing sind ungefähr gleich groß, also ergeben sich bestimmt gute Synergien. Außerdem haben sie dieselbe Philosophie über die „drinkability“ von Bier – wir machen Bier, von dem du ein paar trinken kannst. Darum wollten wir mit ihm brauen.
Ihr macht aber auch eine ganze Menge verrückte Biere in eurer Brauerei. Ihr benutzt zum Beispiel regionale Produkte und kombiniert sie mit wilden Hefen und Trauben aus Frankreich. Wie würdest du euer Alleinstellungsmerkmal definieren?
Drinkable Beer! Auf der einen Seite machen wir Biere mit niedrigem Alkoholgehalt, auf der anderen Seite aber auch richtig „dreckiges“ Zeug – vor allem die Barrel Aged Biere, die Weinfass Biere, unsere Cellar Series. Sie sind besonders, weil sie mit unserer Haushefe fermentiert werden. In diesem Jahr noch installieren wir ein Kühlschiff auf Karshamra Trädgård (Anm. d. Red.: ein Hof, auf dem viele Produkte für die Brauerei und das Restaurant angebaut werden). Das gab’s in Schweden seit mindestens hundert Jahren nicht mehr. Wir sind so eine Art Pioniere der wilden Biere in Schweden.
Also Lager, Saisons und Pale Ales auf der „sauberen“ Seite, Funk, Brett und Lacto auf der „dreckigen“ Seite.
Wie viel Einfluss hat euer Weinbusiness auf die Biere, die ihr bei Stockholm Brewing braut?
Sehr viel! Wir arbeiten mit Naturweinen. Da geht’s um Balance. Der Geschmack kommt nur über die Traube, Hefen auf der Haut der Trauben und das Terroir – keine Zusätze, höchstens ein bisschen Schwefel. Diese Weine tendieren dazu, etwas weniger alkoholisch zu sein, balancierter, saurer, frischer und weniger schwer. Beim Bier ist es dasselbe. Wir haben denselben Fokus bezüglich der Trinkbarkeit.
Und es passt super zum Essen. Das ist nicht unbedingt unser Hauptaugenmerk, aber es ist immer gut, das im Hinterkopf zu haben. Auch weil wir viel mit Restaurants zusammenarbeiten. Wir denken gleich, egal ob über Bier oder Wein und haben bei beidem dieselbe Philosophie. Wir sind die erste Brauerei in Schweden, die hundert Prozent biologische Zutaten verwendet. Außerdem nutzen wir gerne saisonale Zutaten wie Holunder oder Früchte. Da gibt es viele Gemeinsamkeiten zum Wein.
Wie kombiniert ihr Bier und Wein?
Wir machen zum Beispiel ein Bier namens Cuvée Alexandria. Es ist mit Weintrauben aus dem Roussillon, vom unglaublich guten Weingut Matassa gemacht. Wir importieren deren Weine und der Winzer „schmuggelt“ dabei ein paar hundert Kilo Muscat d’Alexandria Trauben mit in die Fracht. Wir pressen sie dann und fermentieren sie unter Kohlensäure. Anschließend gießen wir unsere belgische Würze darüber. Das Ganze fermentiert und reift dann mit den Hefen der Traubenhaut alles zusammen für ein Jahr lang. Daneben machen wir noch mehr Hybride – Dame de Raisin zum Beispiel. Anderes Bier, aber dieselbe Idee.
Anderes Thema. Kannst du mir den Einfluss des staatlichen Alkoholverkaufsmonopols, dem Systembolaget, auf Brauereien wie euch erklären?
Der gesamte Alkohol in Schweden wird über das Monopol verkauft, außer du hast ein Restaurant oder eine Bar. Du, als privater Kunde, bekommst dein Bier für zuhause nur in deren Läden. Ich will nicht schlecht darüber reden, aber das nervt ziemlich, besonders im Vergleich zu anderen Ländern. Systembolaget neigt dazu, gehypte Biere zu kaufen. Die Zusammenarbeit ist ziemlich schwer, aber wir arbeiten daran und glauben, dass sie langsam mehr an uns glauben.
Also haben es vor allem die kleinen Brauereien schwer, ihr Bier zu verkaufen?
Sie müssen dir ein bisschen was abkaufen, das ist gesetzlich festgelegt. Stockholm Brewing gibt es jetzt seit über sechs Jahren und verglichen mit amerikanischen Brauereien, Other Half zum Beispiel, sind wir immer noch total klein. Other Half braut seit drei oder vier Jahren, aber verglichen mit uns sind sie riesig. Klar, sie sind total gehypt und extrem talentiert, was natürlich auch eine Rolle spielt, aber in Schweden hält dich das System klein. Die meisten Zapfhähne hier gehören zwei oder drei großen Brauereien (Carlsberg und Spendrups in erster Linie).
Systembolaget ist staatlich kontrolliert und du musst wirklich politisch arbeiten, um dein Bier zu verkaufen. Es ist ziemlich schwer zu wachsen, aber wenn du gut bist, wirst du’s schaffen! Es ist nicht unmöglich. Nur der Export läuft einfacher, aber da ist natürlich auch viel mehr Wettbewerb. In unserem Restaurant und der Bar verkaufen wir direkt. Darauf legen wir unser Augenmerk.
Ich habe gesehen, dass ihr im Januar eine Eröffnungsparty in eurem neuen Restaurant FARM gefeiert habt. War das auch die offizielle Eröffnung der neuen Brauerei?
Das war die offizielle Eröffnung. Aber wir sind schon im September letzten Jahres eingezogen. Unsere alte Brauerei war in einer Garage in Södermalm, super hip. Aber um unser Bier dort zu verkaufen, mussten wir uns mit dem schwedischen Staat anlegen, damit wir Bier verkaufen durften.
Europäisches Recht besagt, dass du als Landwirt Proben deiner Produkte direkt an die Leute weitergeben darfst. Schweden hat dem in unserem Fall widersprochen! Wir wollten aber. Also sagten sie: „F*** you!“ Dann haben wir den Staat verklagt.
Ihr Argument war, dass wir kein Getreide anbauen, dementsprechend keine Landwirte sind. Also sagten wir, dass wir Hefe anbauen. Das Ganze lief dann ungefähr so: „Oh, ihr seid also Hefe-Farmer?“ „Yup!” Und wir gewannen! Wir durften eine Bar in der Brauerei eröffnen.
Wir waren damals die Ersten in ganz Schweden. Heute machen das eine Menge kleine Brauereien, was großartig ist. Wir konnten 0,15 Liter Gläser in der alten Brauerei verkaufen, ohne dass wir gleichzeitig auch Essen anbieten mussten. Wir hatten aber auch immer Essen – entweder war ein Gastkoch da, oder wir hatten einen Food Truck vor der Tür!
Die neue Brauerei ist viel größer, wir haben ein Restaurant mit hundert Plätzen und einen Taproom mit 20 Hähnen.
Welche Idee steckt hinter dem Restaurant?
Die Idee ist folgende: Wenn wir Bier mit biologischen Zutaten brauen, können wir die Überbleibsel nach Karshamra Trädgård schicken. Der Hof verfüttert die Reste, wie etwa Treber und Trester, oder nutzt sie als Kompost. Und genau diese Landwirte dort, Mauritz und Agnes, führen auch unser Restaurant, die FARM. Er ist Küchenchef und sie ist die Restaurantleitung. Beide haben einen gastronomischen Background. So schließt sich der Kreis.
Auf der Karte haben wir viel Gemüse. Auf dem Hof leben aber auch alte Bergkühe, Lämmer und demnächst auch ein paar Schweine und Hühner, die wir verarbeiten.
Wie viel Bier wollt ihr in der neuen Brauerei brauen?
Wir haben im letzten Jahr 1000 Hektoliter gebraut, in diesem wird es hoffentlich doppelt so viel! Wenn wir es verkauft bekommen, können wir bis auf 10000 Hektoliter wachsen. Es ist wirklich viel Platz!
Nachdem ihr die neue Brauerei und die FARM eröffnet habt, was habt ihr 2019 geplant?
Unsere Vision, unsere Philosophie ist es eigentlich, dass wir in unserer Auswahl noch ein bisschen abgefahrener werden. Wir wollen verschiedene Schwerpunkte. Wir wollen eine Lager-Saison-Brauerei sein, die großartige IPAs macht, aber auch saisonale Biere mit regionalen Produkten braut. Und dann wollen wir eine Wilde-Biere-Brauerei sein mit den Fässern und dem Wein. Wir wollen die Leute darin unterstützen, dass auch zwei Gläser desselben Bieres in Ordnung sind. Und zu guter Letzt sind wir einfach glücklich, wenn die Leute unser Bier genießen. Beer for the people!
(Titelbild: Stockholm Brewing Co.: Teil des Teams mit Gründer Niklas Jacobson (2.v.r.))