TANTRIS: Der Guide zum Glück

Nina Anika Klotz

Bier. Im Sternerestaurant. Und noch dazu in München. Ein in Kanada geborener, Geige spielender Ex-Rockmusiker mit Sinn für Mode macht das. Der Sommelier Justin Leone bringt Craft Beer ins Tantris.

Eigentlich spricht Justin Leone sehr gut deutsch. Bayerisch sogar. Mit allen Fachtermini, „Servus“ und „Halbe“, „Absacker“ und so weiter. In einem Interview darüber, warum ein Weinsommelier wie er sich so brennend für Bier interessiert, würde er dennoch lieber Englisch sprechen, sagt er, wenn das OK ist. „Better when I’m hungover“, sagt er und grinst. Sieht man ihm gar nicht an, so aus-dem-Ei-gepellt-mäßig wie er da sitzt, mit Hemd, Weste, breiter Krawatte. Ist, wie er erklärt, eine Art chronische Berufskrankheit: „Im Grunde vergiften wir Sommeliers uns alle langsam aber sicher selbst mit diesen ungesunden Arbeitszeiten und der ganzen Verkosterei. Das hat sich seit Jahrhunderten nicht geändert. Dieser Beruf ist traditionell mit einem gesundheitlichen Risiko verbunden.“

Halb Vier am Nachmittag. Die letzten Mittagsgäste des Tantris verabschieden sich, der Sommelier schenkt sich ein Glas stilles Wasser ein und nimmt auf der Galerie oberhalb der Bar an einen ovalen Tisch Platz. Von hier aus kann man über einen guten Teil des Restaurants schauen, in dem alles noch so orange-schwarz-plüschig aussieht wie in den Siebzigern, als der Bauunternehmer Fritz Eichbauer Münchens erstes Haute-Cuisine-Restaurant eröffnet hat, als es weit und breit noch nur Schweinsbraten-und-Zigeunerschnitzel-Wirtshäuser gab. Eckart Witzigmann war der erster Küchenchef, der für die Schickeria, so erzählt man sich, hier virtuos-dekadent aufgekocht hat. Jede Woche ist er auf den Großmarkt nach Paris gefahren um einzukaufen, Bressehühner, Foie Gras, Flaschenweise Bordeaux und so. Bekam man ja seinerzeit auf dem Viktualienmarkt alles nicht. Seit 1991 steht der Österreicher Hans Haas am Herd und sichert dem Restaurant Jahr um Jahr seine zwei Michelin-Sterne. Und Justin Leone aus Chicago serviert seit zwei Jahren dazu die passenden Weine. Oder das Bier. Er plant, die Weinkarte des Tantris um rund 30 internationale Spitzenbiere zu erweitern. Im Keller habe er schon ein paar besondere Fläschchen eingebunkert, sagt er.

Berater, Bonvivant, Biersommelier

Für ihn sei es eigentlich ganz normal, dass ein Weinsommelier auch Bier kann, sagt der Kanadier. Das habe mit den Ursprüngen seiner Zunft zu tun: Ein Sommelier war ursprünglich derjenige am Hofe, der auf Reisen für den Wagen des Königs zuständig war, für das Proviant aber auch alles andere. Eine ungemein wichtige Position, mitten im Inner Circle, quasi. Man habe für diesen Posten sogar bezahlen müssen und bekam das Privileg, zu leben wie ein König ohne einer zu sein.

Später entwickelte sich der Sommelier zu der zentralen Person in der gehobenen Gastronomie. Er war für die Reservierungen zuständig, ebenso wie für die Bar, er arbeitete mit dem Küchenchef die Menüs aus, kümmerte sich um die Bierfässer und um den Wein. „Manchmal frage ich mich, wann wir das vergessen haben. In was für einer Zeit leben wir, in der wir einen Wassersommelier und einen Brotsommelier brauchen? Wenn dein Sommelier keine anständige Wasserempfehlung geben kann, wenn er nicht weiß, wie man eine Zigarre anschneidet und einen guten Cocktail mixt, dann feuer ihn! Du hast da den falschen Mann“, sagt Leone. „ Am Ende des Tages ist der Sommelier der Bonvivant, der Führer zum Glück des Gastes – egal, was es ist. Und dabei gilt auch: Wenn dein Sommelier nicht weiß, wie er ein Hemd und eine Krawatte ordentlich auf einander abstimmt oder die Passform eines Anzugs nicht zu seinem Körperbau passt – dann musst du ihn ebenfalls rausschmeißen. Es geht bei diesem Beruf schließlich um Geschmack.“ Mit diesem Berufsethos war es für Justin Leone immer schon klar, dass er sich nicht nur mit Wein, sondern ebenso mit Kaffee, Tee, Spirituosen und Bier bestens auskennen sollte.

Eigentlich kommt Leone aus einem ganz anderen Bereich. Wobei: So anders auch nicht, Schönes und guter Geschmack sind schon allgemein sein Ding. Nachdem er an der Indiana University, einer der besten Musikhochschulen der USA, klassische Musik studiert hatte, tourte er als Rockmusiker durch die Staaten, spielte E-Bass und trat mit seiner Band im Vorprogramm von John Mayer, den Foo Fighters, der Dave Matthews Band, John Mellencamp, Neil Young und Michelle Branch auf. „Das war super, aber nichts, was man sein Leben lang macht. Solange man nicht Bono ist, macht das keinen Sinn.“ Also suchte er sich einen normaleren, einen Erwachsenen-Beruf. Booking und Künstlermanagement, dachte er erst. Auf dem Weg dahin ein bisschen Gastronomie. Aber dann blieb er da hängen, fing in einem Sandwichshop an, hatte immer in zwei Jobs gleichzeitig, morgens in einem Weinladen, abends hinter der Bar. Oder tagsüber als „cellar rat“ und nachts als Sommelier – und am Ende wurde er der Sommelier eines der besten Restaurants der USA, dem Alinea in Chicago mit seinen drei Michelin-Sternen.

Craft Beer auf Sterne-Niveau

„2002 in Chicago gewesen zu sein, war das perfekte Timing: Damals fing Craft Beer nämlich gerade so richtig an.“ Der Sommelier trank sich – Berufsrisiko hin oder her – jede Menge Fachwissen an und ist seitdem der Überzeugung, dass Bier einen Platz auf der Getränkekarte jedes Sternerestaurants verdient hat. Auch in Deutschland. Und selbst in München.

Natürlich weiß Justin Leone, dass seine Gäste hier das vielfach noch ganz anders sehen. In den USA zuckt keiner mit der Wimper, wenn er zum Menü Bier-Wein-Wein-Bier-Wein-Sake-Whiskey bekommt. Hier in Deutschland mit seiner langen, stolzen Biertradition und den vielen Vorurteilen in den Köpfen der Leute ist das anders. Und natürlich das freakin‘ Reinheitsgebot. Warum das für viele so ein Riesending ist… – „Ich versteh’s echt nicht. Oder: Ich verstehe es eigentlich schon. Liegt daran, dass in Deutschland jede Veränderung eine Million Jahre braucht.“ Aber anyway: Sich der besonderen Schwierigkeiten bewusst, hat der amerikanische Sommelier es zu seiner „persönlichen Herausforderung“ gemacht, den Deutschen die Augen in Sachen Bier zu öffnen. „Gerade den Bayern“, sagt er. Im Tantris fängt er damit an, indem er hier und da mal ein Bier in der Weinbegleitung zum Degustationsmenü versteckt und als Absacker an der Bar eine Alternative zum Gezapften, zum ollen Hellen, vorschlägt. Eine Brooklyn Sorachi Ace, zum Beispiel. Was Belgisches. Oder ein anderes Craft Beer, das der allwissende Sommelier dann auf die Schnelle und mit großer Freude aus dem Keller des Münchner Sternelokals holt.